Auf eine Regierung Weidel hätte die deutsche Wissenschaft keine Antwort
Deutschland bekommt wieder eine demokratische Regierung, doch die Gefahr für die Demokratie ist nicht gebannt. Die USA zeigen, wie hilflos Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf den Angriff der Trump-Autokraten reagieren. Die Wahrheit ist: Die deutschen Wissenschaftsinstitutionen wären im Moment nicht besser vorbereitet.
Bild: Gerd Altmann / Pixabay.
DAS KILLEN LAUFENDER FORSCHUNGSPROJEKTE zu Diversität, Geschlechterforschung oder Klimawandel, das Mundtotmachen der Gesundheitsbehörde CDC, massive Kürzungen bei den National Institutes of Health (NIH), Stichwortlisten zum Herausfischen politisch unliebsamer Förderanträge bei der National Science Foundation (NSF): Die Maßnahmen, die von der Trump-Regierung innerhalb weniger Wochen gegen die Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft ergriffen wurden, sind so zahlreich und einschneidend, dass man fast den Überblick verlieren kann. Was, so sagen Trump-Kenner, zu den Zielen seiner "Overwhelming Force"-Strategie gehört. Und das Kalkül scheint aufzugehen: Die US-Wissenschaft wirkt überrumpelt und verunsichert, auf dem Jahrestreffen der American Association for the Advancement of Science (AAAS) habe es Durchhalteparolen und Appeasement gegeben, berichtete Research Table.
Uns in Deutschland muss die Stille, mit der weite Teile der amerikanischen Hochschul- und Forschungslandschaft gerade den regierungsamtlichen Angriff über sich ergehen lassen, zu denken geben. Die Lenker der deutschen Forschung sollten, anstatt sich mit dem krisengewinnlerisch anmutenden Szenario eines möglichen Massenexodus amerikanischer Wissenschaftler nach Europa und Deutschland abzulenken, vor allem mit einer Frage beschäftigen: Wie resilient, wie widerstandsfähig wären unsere eigenen wissenschaftlichen Institutionen, sollte es irgendwann wirklich darauf ankommen?
Bislang ist die Denke in Deutschland eine völlig andere. Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit werden vor allem von Seiten der Wirtschaft vermutet, über die unbotmäßige Beeinflussung per Drittmittel vor allem, auch wenn die Statistik zur Hochschulfinanzierung das nicht wirklich hergibt. Hinzu kommen Warnungen, der wissenschaftliche Diskurs befinde sich unter dem Druck von, je nach eigener Perspektive, linken oder rechten Wissenschaftlern und Aktivisten. Wenn Hörsäle besetzt werden, Veranstaltungen verhindert oder abgesagt. Oder wenn das rechtskonservative "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit" sich gegen einen angeblichen Genderzwang ausspricht und diesbezügliche staatliche Verbote sogar begrüßt.
Doch weder solche unsinnigen Symbolhandlungen einzelner Landesregierungen noch das verfassungsrechtlich umstrittene bayerische Bundeswehr-Gesetz, das unter anderem die Wissenschaft "aus Gründen der nationalen Sicherheit" zur Kooperation mit der Bundeswehr verpflichten will, änderten etwas am bisherigen Grundkonsens: Der Staat wird in Deutschland als weitgehend neutraler Garant der Wissenschaftsfreiheit gesehen, so dass, Stichwort BMBF-Fördermittelaffäre, bereits der Anschein einer Abweichung von dieser Norm zu entsprechend großer Aufregung führte.
Einen Unterschied zu den USA gibt es, und es ist kein optimistisch stimmender
Genau wie die zwei Antisemitismus-Resolutionen des Bundestages, vor denen Kritikern als mögliche Einfallstore staatlichen Einflusses zulasten der Wissenschaftsfreiheit gewarnt hatten. Entsprechend setzt sich auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zur Wehr gegen politische Einmischungen im Umgang der Hochschulen vor allem mit dem Nahost-Konflikt. "Markige Kommentare von der Seitenlinie bringen niemanden voran", sagt HRK-Präsident Walter Rosenthal der ZEIT.
Was aber, wenn es irgendwann auch bei uns zu mehr käme: zu einer offenen, umfassenden und strategisch betriebenen Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit durch eine Regierung – durch ihre Worte, Gesten, Taten und ihr Förderhandeln? Wäre unser Wissenschaftssystem darauf vorbereitet?
Einen Unterschied zu den USA gibt es, und es ist ein in diesen Zeiten nicht optimistisch stimmender: In Deutschland hängen die meisten Wissenschaftseinrichtungen direkt oder indirekt (über Drittmittel) fast ausschließlich an der staatlichen Finanzierung. Während in Amerika immerhin eine große Gruppe sehr einflussreicher und angesehener Hochschulen existiert, die über einen großen privaten Kapitalstock verfügen, und sich auch die öffentlichen Unis – wohl und übel – zu einem guten Stück über private Studiengebühren finanzieren.
Bei uns legen vor allem die regelmäßig stattfindenden Verhandlungen zwischen Hochschulen und "Zuwendungsgeber" über die nächste Etappe der Hochschulfinanzierung immer wieder dieses diffizile Spannungsfeld tatsächlicher Abhängigkeiten und demonstrativer Hochschulautonomie offen. Dass, wie sich gerade in Berlin abzeichnet, Hochschulen der eigenen Landesregierung mit Klage drohen wegen ihrer Sparpolitik, ist extrem außergewöhnlich.
Zugute kommt Deutschlands Hochschulen die ansonsten oft geschmähte Aufteilung der föderalen Kompetenzen auch in der Wissenschaftspolitik, weil sie das Durchgriffsrecht einer Bundesregierung stark begrenzt. Und doch zeigt auch hier das mahnende Beispiel USA: Ist eine Regierung nur dreist genug, kann sie keine wie auch immer geartete theoretische Kompetenzverteilung stoppen. Einschüchterung und Machtanmaßung kennen keine verfassungsrechtlichen Grenzen.
Zwar befinden sich Demokratie und auch Wissenschaftsfreiheit in Deutschland nach der Bundestagswahl auf absehbare Zeit in einer anderen Situation als in den USA. Schwarz-Rot kommt, doch als potenzielle Koalitionspartner stehen da eine schwache CDU, eine drängende CSU und eine SPD mit dem schlechtesten Wahlergebnis der deutschen Demokratiegeschichte (inklusive Weimarer Republik). Was das für die neue Regierung bedeutet, wenn gleichzeitig eine erfolgstrunkene, ohne Machtoption zunehmend frustrierte AfD den Druck von Rechtsaußen noch verstärken wird, wie sich das auf die politische Kultur und Landtagswahlen gerade im Osten auswirkt, wie insgesamt die politische Landschaft bis zur nächsten Bundestagswahl umgepflügt wird: Keiner kann es sagen.
Am Ende könnte es auf den individuellen Widerstandsgeist ankommen
Gut ist: Die Sorge und das Problembewusstsein in den wissenschaftlichen Chefetagen sind da, das zeigten zuletzt Interviews, Pro-Wissenschaftsfreiheit-Kampagnen und die Unterstützung von Tageszeitungs-Anzeigen, die vor der Wahl zur Verteidigung der pluralistischen Gesellschaft aufriefen. Und doch sollte sich die deutsche Wissenschaft wie alle anderen gesellschaftlichen Institutionen schon jetzt so dringend wie schonungslos der Frage stellen, wie strategisch, mutig und konzertiert sie tatsächlich reagieren würde, wenn eine Regierung im Bund oder auch nur in einzelnen Ländern selektiv gegen einzelne Wissenschaftsdisziplinen und Wissenschaftler vorgeht und im Gegenzug für eine künftige Finanzierung Gesten der Anbiederung und des Gehorsams verlangt.
Der Satz Alice Weidels, eine AfD-Regierung werde alle Profs der Gender Studies rauszuschmeißen, sollte trotz seiner jetzt auch vom BMBF bescheinigten verfassungsrechtlichen Unmöglichkeit alle Alarmglocken schrillen lassen. Zu Recht wurden aus den Fächern heraus Protestnoten dazu verfasst. Auch deshalb bin ich mir sicher: Individuell ist der Widerstandsgeist bei vielen – längst nicht allen – Wissenschafterinnen und Wissenschaftlern groß, und auf ihn könnte es am Ende ankommen.
Denn: Würde irgendwann eine solche Regierung in Deutschland Wirklichkeit – im Augenblick, so scheint mir, hätten die deutschen Wissenschaftseinrichtungen keine Antwort darauf.
Dieser Kommentar erschien in kürzerer Fassung zuerst im ZEIT-Newsletter Wissen3.
Kommentare
#1 - Schaut man sich die Ergebnisse der AfD in den ostdeutschen…
#2 - Doch, es gibt eine Möglichkeit: die AgD zu verbieten.
#3 - Wie wäre es, wenn die Parteien, die immerhin ca. 80 % der…
Beredtes Schweigen (oder durchschaubare Floskeln) beim Thema Rente, beim Thema Mieten, Sanierung der Krankenhäuser auf Kosten der gesetzlich Versicherten, etc. Und leider machen sich viele auch Sorgen bei der Zuwanderung - wobei genau hier die "Nicht-AfD" positive Signale setzen könnte: Statt Immigranten ihre fehlende Integration vorzuwerfen, wäre es an der Zeit, Integration zu erleichtern. Es ist ja eigentlich egal, wie jemand ins Land gekommen ist - wenn sich ein Arbeitsplatz findet, der vorher den Einheimischen vergeblich angeboten worden ist, spricht doch nichts gegen Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis. Statt dessen Unterbringung in Sammelunterkünften und Arbeitsverbot.
Und wenn psychisch kranke und / oder islamistisch gesinnte Asylbewerber schlimme Gewalttaten verüben, rufen Merz, Söder & Co "alle abschieben", was sie natürlich nicht erfüllen können. (Und schweigen über das Versagen der Behörden - die Täter hätten vorher entweder tatsächlich abgeschoben werden müssen, oder aber ärztlich behandelt, oder zumindest mit einer Meldeverpflichtung beglückt.)
Etc. etc.
#4 - Nachtrag: Ein Parteienverbot bewirkt nichts außer…
#5 - Hinzuzufügen wäre dem Kommentar, dass es in unserem Land…
Es ist aber sicher eine Illusion zu glauben, dass dauerhaft die Sorgen und Nöte eines größeren Teils der Bevölkerung zugunsten elitärer Probleme ignoriert werden können, ohne dass die Demokratie Schaden nimmt.
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