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Jetzt reden wir!

Zu oft wird über sie statt mit ihnen gesprochen: Das Hochschulforum Digitalisierung hat zwölf Studierende zur "Zukunfts-AG #DigitalChangemaker" zusammengebracht. Wie denken sie über die Zukunft der Hochschulbildung? Ein Gastbeitrag.

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Artikelbild: Jetzt reden wir!

Foto: IA / pixabay - cco.

WENN UNIVERSITÄTEN ÜBER die Digitalisierung und ihre Folgen debattieren, spielen die Bedürfnisse der Studierenden eine Riesenrolle. Eigentlich. Denn das Problem ist: Oft wird nur über uns geredet anstatt mit uns. Doch wissen wir Studierende oft ziemlich genau, welche Maßnahmen und Strategien uns beim Lernen, aber auch die Universitäten insgesamt in ihrer Entwicklung voranbringen würden.

Deshalb wollen wir mit 17 Diskussionspunkten zum Austausch einladen und Impulse geben für die Hochschulbildung im digitalen Zeitalter. Unsere 17 Punkte haben wir in drei Themenbereiche unterteilt, um auf die "großen Fragen" studentische Antworten zu formulieren:

1. Wozu braucht es eigentlich Digitalisierung?

2. Wie soll Digitalisierung implementiert werden?

...und 3. Welche Tools sollen genutzt werden?

Dieser Beitrag stellt eine Auswahl unserer Kernforderungen vor, die Sie ungekürzt von heute an hier finden. Die Kernforderungen selbst haben wir im Text kursiv markiert.

1. Wozu braucht es eigentlich Digitalisierung?

"Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein": Dieser Satz steht in nahezu jedem Strukturentwicklungsplan zur Digitalisierung an Universitäten und wird doch nur sehr selten explizit ausbuchstabiert. Allzu oft liegt der Fokus von Hochschulen darauf, dass Studierende ihre Abschlüsse möglichst in Regelstudienzeit erreichen, und dabei soll ihnen künftig die Digitalisierung helfen. Doch das wird nicht gelingen. Das Studium wird durch die Digitalisierung nicht perse schneller, und auch die zweite oberflächliche Hoffnung, Kosteneinsparungen durch die digitale Lehre, wird sie nicht erfüllen. Auch sollte die universitäre Ausbildung nicht durch das reine Bedürfnis nach Arbeitsmarkttauglichkeit getrieben sein. Für uns gilt auch im digitalen Zeitalter: Die Universität erzieht die Studierenden primär zu mündigen Bürger*innen und nicht nur zu guten Arbeitnehmer*innen.

Wozu braucht es aber dann die Digitalisierung? Unsere Antwort: Sie kann die Lehre besser machen. Durch die Verknüpfung von Online- und Offlinemedien, das Miteinander von Präsenzphasen und digitale Lehr-/Lernszenarien wird ein Maß an Selbstbestimmung ermöglicht, das früher undenkbar gewesen wäre. So ist ein intrinsisch motiviertes Studium möglich, in dem Bildung auch im digitalen Zeitalter einen eigenen Wert erhält.

Flexibilität for Future!

Diese Mündigkeit wird durch Selbstständigkeit geübt. Hier bietet die Digitalisierung eine einzigartige Möglichkeit: Dank der Vielzahl der Online- und Offlineangebote ist die Flexibilität beim Lernen so hoch wie noch nie. Während digitale Tools im Bereich der internationalen Mobilität von Studierenden viele logistische Probleme mit der Partnerhochschule lösen können, helfen sie auch dabei, Fakultäts- und Fächergrenzen innerhalb der eigenen Hochschule aufzuweichen und durchlässiger zu machen. Eine Gesellschaft, in der es um Zusammenarbeit und die Lösung von realweltlichen Problemen geht, benötigt interdisziplinäre Bildung.

Der ungekannte Grad an Flexibilisierung kann sich aber auch positiv auf die immer noch unzureichende Chancengerechtigkeit in unserem Bildungssystem auswirken: Alleinerziehende oder pflegende Studierende können ihre knappe Präsenzzeit durch MOOCs ausgleichen, erst so wird ihnen eine echte Teilhabe an der Universität möglich. Auch können digitale Kommunikationskanäle helfen, die Inklusivität zu erhöhen. Die Digitalisierung der Hochschule kann also eine bessere Chancengerechtigkeit bieten, da sowohl die Anwesenheits- als auch Kommunikationsbarrieren niedriger angesetzt werden. Diese Möglichkeiten müssen ausgeschöpft werden.

Zwei Seiten derselben Medaille

Nachhaltigkeit und Digitalisierung sind zwei Trends unserer Zeit. Doch noch allzu selten werden sie zusammengedacht. Wir verstehen die Universität jedoch als gesellschaftlichen Innovationsmotor, der die Lehrkräfte und Entscheidungsträger*innen von morgen ausbildet und gerade deswegen gesellschaftliche Herausforderungen in Lehrplänen aufgreifen, mit Hilfe der Digitalisierung sinnvoll integrieren und mitgestalten sollte.

2. Wie soll Digitalisierung umgesetzt werden? Nicht ohne uns!

Für die digitale muss genauso wie für die traditionelle Hochschulbildung gelten, dass sie vor allem die Bedürfnisse der Studierenden in den Vordergrund rückt: Wir Studierenden als zentrale Nutzer*innengruppe sollten daher viel mehr in zentrale Entscheidungs- und Beteiligungsformate eingebunden werden.

Sonst droht die Gefahr, dass neue digitale Tools oder Lehr-/Lernformate an den Bedürfnissen der Studierenden vorbei geplant und implementiert werden. Um die Beteiligung von Studierenden an den entscheidenden Weichenstellungen zu erhöhen, bedarf es konkreter Anlaufstellen für Studierende, wie eine*n Student Information Officer, der*die in die Strategieprozesse der Hochschule involviert ist und den Studierenden Rede und Antwort stehen kann.

Mithilfe des Ausbaus analoger und digitaler Partizipationsformate, seien es Workshops, Hackathons oder Online-Abstimmungen zu hochschulrelevanten Themen, kann ein gesamt-universitärer Diskurs geschaffen werden, der alle beteiligten Akteur*innen einbezieht. Angesichts fachspezifischer Termini wie “Data Literacy” oder auch “Open Educational Resources” wird dieser Diskurs jedoch nur gelingen, wenn seine sprachliche Gestaltung dazu einlädt, am Diskurs teilzunehmen und mitzudenken.

Ohne Moos nix los?

Wenn es um digitale Lehre geht, bleibt die Debatte derzeit meist bei Fragen der technischen Infrastruktur und der dafür nötigen Bereitstellung von Förder-Milliarden stehen. Doch so wichtig die Finanzierung digitaler Lehre ist, sie ist noch keine hinreichende Bedingung für eine benutzer*innenorientierte Digitalisierung. Anstatt unkommentiert (teure) Tablets bereitzustellen, sollten die knappen finanziellen Mittel in der Lehre sinnvollerweise in die didaktische Qualifizierung von Lehrenden und ihre Freistellung für die Etablierung neuer digitaler Lehrformate investiert werden, die ihren Namen dann auch verdienen.

3. Digitale Tools: Qualität vor Quantität

Oftmals sind Studierende an ihren Hochschulen mit einer Vielzahl digitaler Tools konfrontiert, deren konkreter Mehrwert sich weder ihnen noch den Lehrenden erschließt. Dass diese Lösungen zudem wenig nutzer*innenfreundlich gestaltet sind und man beispielsweise mehrere Konten und Profile anlegen muss, hat zur Folge, dass sich Studierende mit kommerziellen Anwendungen behelfen.

Eigene Lösungen sind trotzdem gegenüber privatwirtschaftlichen Angeboten zu bevorzugen, um Marktmacht und einen unzulänglichen Datenschutz zu vermeiden. Für hochschuleigene Lösungen gilt dabei: Qualität vor Quantität! Gerade im Bereich der Software-Lizenzen und von Lern-Management-Systemen sollten Hochschulen nicht unnötig Geld für Insellösungen ausgeben, sondern die Kooperation mit anderen Hochschulen suchen und gemeinsam hochschulübergreifende Open-Source-Lösungen implementieren. So stellen sie sicher, dass bestehende Lösungen kontinuierlich weiterentwickelt und bei einem Wechsel der Hochschule, Daten über Plattformen hinweg übertragen werden können.

It’s the (data) privacy, stupid!

Wir erkennen an, dass Learning Analytics dabei helfen kann, Lernlücken von Studierenden frühzeitig zu erkennen und individuelle Lernpfade aufzuzeigen. Gerade in Verbindung mit dem Eigeninteresse der Hochschulen, Studierende schnell zu Abschlüssen zu führen, müssen Hochschulen jedoch der Versuchung widerstehen, aus ihren Plattformen umfangreiche Daten zu sammeln. Andernfalls droht die mündige Selbstbestimmtheit der Studierenden massiv eingeschränkt zu werden. Wir fordern daher einen breiten inner-universitären Konsens darüber, welche Daten von den Studierenden zweckgebunden erhoben werden dürfen und wer Zugriff darauf hat.

Wenn die Digitalisierung als partizipativer Prozess gestaltet werden soll, der kreative und innovative Ideen schafft, dann muss sie mehr sein als der bloße Selbstzweck einer auf Papier geschriebenen Digitalisierungsstrategie. Der Weg führt über einen intensiven Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden, über transparente Prozesse und demokratische Beratung.

Die studentische AG des Hochschulforum Digitalisierung, die "#DigitalChangemaker", setzt sich im Jahrgang 2018/19 aus 12 studentischen Expertinnen und Experten von Hochschulen aus ganz Deutschland zusammen. Sie sind: Jan Baumann, Alexa Böckel, Frederic Denker, Philipp Gross, Eva Kern, Marcus Lamprecht, Julian Reimann, Berenike Rensinghoff, Zaim Sari, Elisa Schopf, Elisabeth Wächtler und Henrika Meyer. Ihr Papier mit 17 Thesen zur Hochschulbildung im Zeitalter der Digitalisierung wird heute veröffentlicht. Sie finden es in ungekürzter Fassung hier.

Kommentare

#1 -

Peter England | Di., 15.10.2019 - 12:33
Bravo! Wichtiger Beitrag mit klugen Gedanken. Nur beim Satz "Für uns gilt auch im digitalen Zeitalter: Die Universität erzieht die Studierenden primär zu..." musste ich etwas stutzen. "Erziehen?!" Ernsthaft? ;-) Das beißt sich wohl etwas mit intrinsisch motivierten und selbstständig denkenden & handelnden Studierenden. Ansonsten: Wichtige Forderungen und hoffentlich die Einsicht auf allen Seiten, dass Lernerfolg nur gemeinsam, partnerschaftlich und partizipativ erreicht werden kann.

#2 -

Marcus Lamprecht | Di., 15.10.2019 - 20:14
Das war natürlich nur ein Test, ob wem der Widerspruch zwischen Selbstbestimmtheit, Mündigkeit und Erziehung dazu auffällt. ;-)

Im Ernst ist die Anmerkung natürlich berechtigt, obwohl natürlich auch eine Konsumhaltung bei Studis existiert und es oft Not täte, Studis aufzuzeigen und bewusst zu machen, dass es Gelegenheit zum selbstständigen lernen, studieren und denken gibt, bzw. genau das eingefordert werden kann..

#3 -

LaChn | Mi., 16.10.2019 - 20:05
Herr England scheint sich wohl noch nicht wirklich damit befasst zu haben, wie wir Studis heute durch eben dieses gehen.
Der durch die Modularisierung eingeführte Schulcharakter verhindert (fast) jegliche Entwicklung intrinsischer Motive. (Zumindest wenn man das Studium schon ohne solche beginnt.)

Was hier zwar als Inkongruenz wahrgenommen wird, bleibt leider nicht weiter hinterfragt. Die Wahrnehmung der Studis wird als fehlerhaft abgetan, ohne die Gründe für diese Wahrnehmung zu beleuchten.
Wir müssen erinnern, nicht die tatsächliche Welt ist für den Einzelnen/die Einzelne relevant, sondern nur wie er/sie diese für sich selbst sieht.

Sollten mehr Lehrende dieses Mindset haben, die Perspektiven der Studierenden nie zu hinterfragen, wird aus "Universität 4.0" bald womöglich wirklich die "Schule 2.0".

#4 -

Peter England | Mi., 16.10.2019 - 22:56
Ach herr je, wer muss denn da gleich persönlich werden, wenn Herr England lediglich über ein Wort ("erziehen") gestutzt hat? - Aber spannend zu lesen, dass offensichtlich äußere Umstände ("der durch die Modularisierung eingeführte Schulcharakter") dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Entwicklung intrinsischer Motive (fast) verhindert wird. Darauf muss man motivationstheoretisch erstmal kommen! ;-) "Ich selbst wollte gar nichts lernen, weil die Module so verschult waren." Auf die Herleitung bin ich gespannt. ;-) Spaß beiseite. Vielleicht unterliegt #3 schlicht einem Missverständnis: Die Wahrnehmung der Studis wurde gar nicht als "fehlerhaft abgetan" (was für eine negativ konnotierte Unterstellung!). Es wurde lediglich auf einen klitzekleinen Widerspruch im Artikel aufmerksam gemacht, wonach "erziehen" sich nicht mit "selbstständigem Denken & Handeln" verträgt. Durch die einleitenden Worte "Für uns [Studierende] gilt..." klingt es sogar noch fast nach einer Forderung: "Liebe Unis, erzieht uns bitte im digitalen Zeitalter dort und dort hin!" - Das löst zugegeben mindestens Verwunderung aus, zumal der sonstige Tenor des Artikels ja wunderbar den digitus in die Wunde legt. Aber vielleicht scheint sich Herr England ja einfach nicht wirklich damit befasst zu haben. ;-)

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