Chaos 2.0
Mangelhafte Projektsteuerung und fehlende Expertise: Internen Gutachten zufolge scheitert die Stiftung für Hochschulzulassung erneut am eigenen Zeitplan. Endlich reagiert die Politik.
DIE PROBLEME bei der Stiftung für Hochschulzulassung sind noch größer als bislang angenommen. Am Wochenende wurde bekannt, dass die fürs Wintersemester 2018/2019 geplante Einbeziehung der bundesweiten NC-Studiengänge in die Online-Plattform DoSV auf unbestimmte Zeit verschoben werden muss.
Das vor acht Jahren initiierte „Dialogorientierte Serviceverfahren“ sollte das sich jährlich wiederholende bundesweite Zulassungschaos bei der Studienplatzvergabe beenden: Keine Bewerber mehr, die monatelang auf eine Zusage warten und dann mitunter anderswo leer ausgehen, während anderswo Plätze frei werden. 15 Millionen Euro spendierte Bundesregierung für die Entwicklung einer Software, die international Standards setzen sollte.
Bereits im Oktober hatte der Vorsitzende der Amtschefskommission „Qualitätssicherung an Hochschulen“, Thomas Grünewald, in einer internen Sitzung der Kultusministerkonferenz (KMK) Alarm geschlagen. Grünewald, zugleich Stiftungsratsvorsitzender der Stiftung für Hochschulzulassung, berichtete, dass der Aufwuchs bei den lokalen-Fächern hinter den Erwartungen zurückbleibe. Eine nähere Betrachtung der Zahlen mache deutlich, „dass von ca. 4.000 örtlich zulassungsbeschränkten Studienangeboten letztlich lediglich 19 Prozent am DoSV teilnehmen." Bis 2018/2019 sollten ursprünglich möglichst alle 4000 Studiengänge ins DoSV eingebunden sein.
Und nun die nächste Hiobsbotschaft: Während Grünewald noch im Oktober bekräftigt hatte, zumindest die Integration der so genannten „zentralen Verfahren“, also bundesweiter NC-Fächer wie Medizin oder Pharmazie, laufe „nach Plan“, musste er am Freitag in der eigens eingerichteten Hochschul-KMK-Taskforce berichten, dass aufgrund massiver technischer Probleme und Organisationsdefizite der „avisierte Termin der Fertigstellung in 2018 nicht zu halten sein wird“. So bestätigen es mehrere Sitzungsteilnehmer.
Schon bei der Entwicklung der Basis-Software von DoSV hatten massive Schnittstellenprobleme eine Verzögerung um mehrere Jahre verursacht. Besonders in die Kritik geraten war damals das öffentlich-rechtliche Hochschul-Informations-System (HIS), das nach dem Fiasko 2014 von Bund und Ländern in mehrere Teile zerschlagen wurde. Während die Hochschulforschung ins neue Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) abwanderte, verblieb eine Rumpf-HIS als „IT-Dienstleister der Hochschulen“.
Dabei war es im ersten Schritt „nur“ um die Integration von Einfach-Studiengängen gegangen. Schon die darauf aufbauende Anbindung komplexerer Mehrfach-Studiengänge klappt bei vielen Hochschulen bis heute nicht. Um es im nächsten Anlauf besser zu machen, entschied die KMK vor drei Jahren, die für die Hinzunahme der zentralen NCs nötige Software-Ergänzung von der Stiftung für Hochschulzulassung selbst entwickeln zu lassen. Die in Dortmund ansässige Stiftung, die sich selbst in Anlehnung an ihre Website als „hochschulstart.de“ vermarktet, eröffnete eigens zu diesem Zweck in Berlin eine eigene Software-Entwicklungsabteilung.
Insider berichten, dass es der Stiftung nicht gelungen sei, angesichts des leergefegten Arbeitsmarkts für Informatiker und Software-Entwickler ausreichend versierte Fachleute zu verpflichten. „Das staatliche Gehaltsgefüge ist für die einfach uninteressant“, sagt einer. Schon bei der Entscheidung der KMK, eine stiftungseigene Entwicklungsabteilung einzurichten, hatten mehrere Amtschefs ihre Skepsis geäußert; die Mehrheit hatte jedoch nicht auf die Warnungen hören wollen.
Die Stiftung selbst ist vielen noch unter ihrem alten Namen „Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen“ (ZVS) bekannt, aus der sie 2008 hervorgegangen ist. Angesichts hoher Studienanfängerzahlen und eines Verfassungsgerichtsurteils hatten sich die Bundesländer Anfang der 70er Jahre verständigt, über die Zentralstelle einheitliche Zulassungsbeschränkungen für besonders nachgefragte Studienfächer zu gewährleisten. Bis in die 80er hinein wurden immer mehr Studiengänge in die bundesweite Vergabe aufgenommen, so dass die ZVS im Laufe ihres Bestehens mehrere Millionen Zulassungsbescheide versandte. Als in den 2000er Jahren mehr und mehr Studienfächer aus der zentralen Vergabe fielen, wurde die Behörde mit über 100 unkündbaren Beamten in die neue Stiftung umgewandelt und sollte statt hoheitlicher Akte den Hochschulen und Studienbewerbern plötzlich Service bieten. Vor allem aber sollte die Stiftung die neue Online-Plattform an den Start bringen, galt aber von Anfang an als überfordert mit der Projektsteuerung. „Die ehemalige ZVS hat ihre neue Rolle bis heute nicht richtig gefunden“, sagt ein KMK-Mitglied. (Ausführliche Schilderungen der ersten Hochschulstart-Misere lesen Sie hier und hier).
Und doch glaubte man noch vor kurzem, die mit HIS erlittenen Fehlschläge ausgerechnet unter der Führung der alten/neuen ZVS wettmachen zu können.
Thomas Grünewald, seit 2014 Wissenschaftsstaatsekretär in Nordrhein-Westfalen, glaubt das offenbar nicht mehr. Wie er der Taskforce am Freitag mitteilte, will er dem langjährigen ZVS-Chef Ulf Bade, der bis heute die Stiftung leitet, einen „Beauftragten des Stiftungsratsvorsitzenden“ für die Gesamtkoordination zur Seite stellen, und zwar den ehemaligen Kanzler (hauptamtlichen Vizepräsidenten) der Universität Hannover, Günter Scholz, 68, der in der Szene als profilierter Wissenschaftsmanager gilt, und das möglichst ab sofort. Eine faktische Entmachtung des bisherigen Geschäftsführers. Die stiftungseigene Entwicklungsabteilung in Berlin wiederum soll mit den Programmierexperten Peter Pepper von der Technischen Universität Berlin einen führenden deutschen Informatiker als eine Art zusätzlichen externen Chef auf Zeit erhalten. >>
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>> Pepper gehörte zu den Fachleuten, die kurz vor Weihnachten eine externe Bestandsaufnahme zu „DoSV 2.0“ vorlegten und darin konstatierten, dass der Termin 2018/2019 gerissen werden wird. Weder lägen die nötigen Lastenhefte vollständig vor, noch existiere eine Software-Architektur. Auch eine Testplanung bestehe „bestenfalls in vagen Umrissen“. Ein niederschmetterndes Zeugnis der Stiftungsarbeit.
Ebenfalls Gutachter war Stefan Jähnichen, ehemaliger Leiter des Fraunhofer-Institut für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik. Jähnichen hat Erfahrung mit der DoSV-Misere, seit sein Institut 2009 im so genannten Lastenheft die Anforderungen an die neue Online-Plattform beschrieben hatte – Anforderungen, die HIS und die Telekom-Tochter T-Systems umsetzen sollten und damit immer wieder scheiterten.
Bis die DoSV 2.0 genannte Einbeziehung der Medizin-Studiengänge ins Dialogverfahren funktioniert, werde die bisherige Vergabepraxis auf jeden Fall fortgesetzt, versicherte Thomas Grünewald auf meine Anfrage hin. Und auch wenn bis 2018/19 nicht alle 4000 örtlich zulassungsbeschränkten Studiengänge angeschlossen sein werden, konzentrierten sich die Anstrengungen jetzt darauf, bis zu diesem Zeitpunkt immerhin die Studiengänge mit den meisten Standorten und Bewerbern anzubinden. „Und das werden wir schaffen.“
Vor Jahren habe ich die unendliche Geschichte um Hochschulstart, DoSV und HIS mit dem Toll-Collect-Deaster verglichen. Inzwischen glaube ich, der Berliner Flughafen ist die bessere Analogie. Natürlich nicht vom Finanzvolumen her. Sehr wohl aber in Sachen Kreativität, mit der das Chaos eine unmögliche Situation nach der anderen produziert. Dem wackeren Thomas Grünewald kann man nur Glück wünschen.
Kommentare
#1 - Die HIS als "IT-Dienstleister der Universitäten" treibt…
#2 - Bitte, bitte, bitte lasst es endlich gut sein. Auch die…
#3 - ...ob Herr Grünwald und Herr Pepper mit ihrem akademischen…
Und auch die Universitäten darf man m.E: hier nicht aus der Pflicht nehmen. Gemeckert ist schnell. Vielmehr müssen diese ihre Chance erkennen und Verantwortung übernehmen.
#4 - Solange Leute das Sagen haben, die Unternehmen, für die…
#5 - Hinsichtlich der Softwarearchitektur sollte man sich fragen…
Warum wurde auf den Hilferuf diesbezüglich aus dem Kreis der angestellten Entwickler nicht angemessen reagiert?
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