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"Offenbar wollen einige Länder den Digitalpakt umdeuten"

Das Fünf-Milliarden-Vorhaben hat es in den Koalitionsvertrag geschafft. Ein großer Erfolg, sagt der Informatiker Andreas Breiter vom Bremer ifib – wenn da die politischen Nebengeräusche nicht wären.

Andreas Breiter ist Direktor des Instituts für Informationsmanagement (ifib) an der Universität Bremen und erforscht den Umgang mit Informationen und neue Formen des Lernens im digitalen Zeitalter. Foto: privat
Andreas Breiter ist Direktor des Instituts für Informationsmanagement (ifib) an der Universität Bremen und erforscht den Umgang mit Informationen und neue Formen des Lernens im digitalen Zeitalter. Foto: privat

Herr Breiter, im Sondierungsergebnis fehlte er noch, in ihren Koalitionsvertrag haben Union und SPD dann den Digitalpakt Schule hineingeschrieben. Das Happy End einer an Irrungen und Wirrungen reichen Politgeschichte?

 

Jetzt heißt es erstmal Daumen drücken, dass die Koalition auch wirklich kommt. Aber so, wie das auf dem Papier steht, ist das erstmal ein großer Erfolg. Die monatelangen Ausweichmanöver sind vorbei, jetzt kann keiner mehr zurück. Einerseits. Andererseits bin ich schon nicht mehr ganz so optimistisch, wenn ich auf die politischen Nebengeräusche lausche. 

 

Welche meinen Sie?

 

Im Sommer haben Bund und Länder in einem Eckpunktepapier vereinbart, wie der Digitalpakt aussehen soll, was mit den versprochenen fünf Bundesmilliarden passieren soll. 

 

Ist das Papier überhaupt wirklich vereinbart worden? Immerhin hat es einen gemeinsamen Unterschriftstermin nie gegeben. 

 

Später hat Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) dann nachdrücklich versichert, sie stehe zur Vereinbarung. Aber Ihre Frage ist trotzdem sehr berechtigt. Denn höre ich mir die Wortmeldungen der vergangenen Tage genauer an, scheint es so, als wollten einige Länder die im Eckpunktepapier eingegangenen Verpflichtungen neu definieren. 

 

Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) etwa, der sich per Pressemitteilung freute: "Hamburgs Schulen können sich jetzt über richtig viel Rückenwind für einen Ausbau der Computer- und digitalen Medientechnik". Dabei hieß es in den Eckpunkten, mit dem Geld sollten keine sogenannten Endgeräte finanziert werden.

 

Wenn man Rabe und einige seiner Kollegen hört, könnte man auf die Idee kommen, die Minister wollten den im Digitalpakt vorgesehenen Länderanteil umdeuten, obwohl Eckpunkte und auch die im Dezember 2016 von der Kultusministerkonferenz beschlossene Strategie zur "Bildung in der digitalen Welt" die Aufgabenverteilung sehr eindeutig umreißen. Der Bund übernimmt demzufolge die digitale Anbindung der Schulen und die WLAN-Ausstattung.  Die Länder, und da ist auch der Koalitionsvertrag deutlich, sind zuständig für zusätzliche Investitionen in die Lehrerausbildung und die Fortbildung – und im Zusammenspiel mit den Kommunen sicher auch für die digitalen Endgeräte. Anstatt das Bundesgeld für den Kauf von Computern zu verplanen, sollten die Minister also lieber sagen, mit welchen Maßnahmen sie zum Beispiel die Lehrer von heute und morgen fitmachen wollen – und wer den Universitäten und Studienseminaren die dafür nötigen Kosten erstattet. 

 

Aber es ist doch klar, dass ohne Handys, Tablets oder Laptops erst recht nichts geht!  

 

Bei den Bundesgeldern handelt es sich aber um eine grundlegende Investitionshilfe, und ich hielte es aus Nachhaltigkeitsgründen für einen gravierenden Fehler, wenn die Länder mit dem Paktgeld Endgeräte kaufen. Dringendste Aufgabe muss sein, die digitale Infrastruktur endlich auf ein Niveau zu heben, mit dem die Schulen überhaupt mal vernünftig arbeiten können – ein Niveau, das für jeden Mittelständler und fast jeden Privathaushalt mittlerweile selbstverständlich ist. Vor allem damit sind viele Kommunen überfordert.

 

Warum reden einige Minister trotzdem wieder über die Computer und Tablets, obwohl das Thema eigentlich schon abgehakt war?

 

Womöglich, weil sie sich jetzt durch den Koalitionsvertrag plötzlich sehr sicher fühlen, dass das Bundesgeld kommt. Weil sie glauben, deshalb in einer stärkeren Verhandlungsposition zu sein. Das ist aber nur das eine. Denn vor allem merken die Länder immer stärker, was da für eine Welle auf sie zurollt. Die Digitalisierung der Schulen wird extrem teuer, und wenn die Länder schon absehbar so viel Geld in die Hand nehmen müssen, dann soll man wenigstens etwas dafür sehen. Glasfaserkabel, die sie bis rauf in die Schwäbische Alb ziehen, kosten ein Vermögen, aber sehen kann sie keiner. Die Tablets in den Händen der Schüler umso besser.  

 

Ein bisschen Show gehört halt dazu.

 

Das wirkliche Problem liegt aber eben woanders. Man muss den Prozess parallelisieren: Es braucht pädagogische Konzepte, eine Internet-Anbindung, interne Schulnetze und funktionierende Lernplattformen. Und darauf aufbauend müssen die Länder, mit den Kommunen und Schulen Konzepte zu entwickeln, wie man die nötigen Endgeräte an die Kinder und Jugendlichen bringt. Und da kann es keine Lösung von oben geben, denn jede Kommune wird hier ein bisschen anders verfahren bei der Entscheidung, welche Modelle angeschafft werden, ob sie geleast oder gekauft werden und worin der Anteil der Eltern besteht. Alles Entscheidungen, die am Ende und ziemlich regional anstehen und insbesondere davon abhängen, welches pädagogische Konzept die Schulen fahren wollen.  

 

Sogar wenn sie rückwärtsgewandte Konzepte verfolgen? In Ihrer Berechnung, welche digitale Ausstattung Schulen mindestens brauchen, führen Sie sogar noch Computerräume auf. Sollten die nicht längst Vergangenheit sein?

 

Was die Computerräume in unseren Kostenszenarien angeht, sind wir in der Tat heftig kritisiert worden. Aber wieso eigentlich? Wenn eine Schule einen Computerraum will und gute pädagogische Gründe dafür anführen kann, ist das legitim. Das Ziel kann doch nicht sein, dass wir jetzt Laptops für alle anschaffen, Handys für alle, Tablets für alle. Wenn wir ehrlich sind, wissen wir nicht einmal, welches Endgerät in vier, fünf Jahren das zeitgemäße sein wird. Eine stabile Basisinfrastruktur hält länger.

 

In der Koalitionsvereinbarung zum Digitalpakt, die ansonsten recht allgemein bleibt, steht ein sehr konkreter Satz drin, der viele auf die Palme bringt: Union und SPD wollen "eine gemeinsame Cloud-Lösung für Schulen schaffen". Droht doch die Bundescloud, vor der die meisten Experten warnen?

 

Nur, wenn man die Passage sehr einseitig liest. Ich sehe da eher einen sehr pragmatischen Ansatz.

 

Der im Eckpunktepapier noch nicht drin stand und erst im Dezember von Helge Braun, CDU-Staatsminister im Kanzleramt ins Spiel gebracht wurde. Am schnellsten protestierte damals ausgerechnet Ties Rabe. Es sei ihm unverständlich, warum der "sicher nicht einfache Prozess" der Eckpunkte-Verhandlungen nun wieder von vorn losgehen solle", gab Rabe in der Märkischen Oderzeitung zu Protokoll. "Man kann aus einem so umfangreichen Paket nicht einzelne Bausteine isolieren und neu verhandeln, weil alle Bausteine ineinander greifen."

 

Damals war mir selbst noch unklar, worauf Helge Braun hinauswollte. Inzwischen bin ich davon überzeugt, dass die Passage im Koalitionsvertrag anders gemeint ist. Viele Länder haben sich längst auf den Weg gemacht und arbeiten an eigenen Plattformen und Diensten, gerade Hamburg oder Bremen sind da schon sehr weit. Es kann und wird nicht darum gehen, diese Anstrengungen der Länder zunichte zu machen. Im Gegenteil: Die gemeinsame Cloud-Lösung, die Union und SPD meinen, könnte bedeuten, dass ein bundesweit kompatibles System zur Identitätsverwaltung entsteht, also ein Vermittlungsdienst zwischen unterschiedlichen Softwarelösungen zum sicheren, datenschutzkonformen und autorisierten Zugriff auf Inhalte. Ein System, das die unterschiedlichen Lösungen vor Ort miteinander verbindet, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

 

Können Sie das für einen Nicht-IT-Experten genauer erklären?

 

An den Unis gibt es seit vielen Jahren "Education Roaming (eduroam)", das es Studierenden und Wissenschaftlern ermöglicht, sich an allen teilnehmenden Unis und Forschungseinrichtungen weltweit mit demselben Benutzernamen und Passwort anzumelden, um einen Zugang zum Internet zu bekommen. So etwas brauchen wir für die Schulen, und das kann ruhig noch einen Schritt weitergehen, womöglich in Form umfassender und einheitlicher Schnittstellen, so dass Software-Anbieter nicht für jedes Produkt eine neue Schnittstelle entwickeln müssen. Das war's dann aber auch.

 

Helge Braun erläuterte seinen Vorschlag im Dezember, es gehe darum, dass "auch im Bildungsbereich über eine engere Kooperation im Bereich der Bereitstellung digitaler Plattformen nachgedacht wird". Letztlich hätten alle technischen Lösungen gemeinsam, "dass sie mit mehr oder weniger Aufwand Interoperabilität sicherstellen."

 

Exakt.

 

Helge Braun sagt, das dürfe man ruhig Bundescloud nennen.

 

Soll er. Ist es aber nicht. Der Trend geht zu mehr Zentralisierung, aber mit einem hohen Maß an inhaltlicher Flexibilität auf dezentraler Ebene, also bei den Kommunen und Schulen. Ein föderiertes System wie eduroam kann eine Lösung sein. Wie genau, das wird ein Aushandlungsprozess sein. Hoffentlich so, wie ich ihn gerade beschrieben habe. 

 

Apropos Kommunen: Seit die Debatten um den Digitalpakt begonnen haben, warnen Sie, dass die Kommunen mit an den Tisch müssen. Weil sie als Schulträger die Hauptlast trügen.

 

Und hat es geholfen? Ich bin unsicher. Bei der Passage im Koalitionsvertrag, die einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung bis 2025 ankündigt, heißt es, der Bund werde sicherstellen, "dass insbesondere der laufenden Kostenbelastung der Kommunen Rechnung getragen wird". Beim Absatz zum Digitalpakt fehlt so ein Satz. Und ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist: Die Länder wollen die fünf Milliarden erstmal selbst verwalten. Zum Teil durchaus berechtigt, denn sie müssen einige der zentralen Dienste bereitstellen und die medienpädagogische Kompetenz der Lehrkräfte fördern. Zum Teil aber auch, weil sie die Kommunen kontrollieren wollen. Kommunen sind sicher bereit auf Freiheiten durch zentrale Lösungen zu verzichten, aber nur dann, wenn diese dann auch richtig gut funktionieren. 

 

Außerdem haben Sie erst im November in der Neuauflage Ihrer Studie darauf hingewiesen, dass die Digitalisierung an den Schulen eine Daueraufgabe ist und dass ihre angemessene IT-Ausstattung mindestens 2,8 Milliarden Euro kostet. Jedes Jahr. 

 

Und der Digitalpakt ist ein auf fünf Jahre befristetes Programm, ich weiß. Ich glaube schon, dass Union und SPD den vielen – nicht nur meinen – Warnungen zugehört haben, aber sie haben keine Lösung für das Problem. Einmal weil die Verfassung auch nach der Veränderung des Grundgesetz-Artikel 104c ein Dauerbundesprogramm für Digitales nicht zulassen wird. Zum anderen, weil es haushalterisch gar nicht geht, dass der Bund jetzt für die nächsten 12 oder 20 Jahre Finanzmittel zusagt.

 

Beim Hochschulpakt haben es die potenziellen Koalitionäre doch auch getan. Der soll verstetigt werden, haben sie angekündigt, obgleich das natürlich nur eine Willensbekundung für kommende Legislaturperioden sein kann. 

 

Bei der Neuauflage der Exzellenzstrategie war es genauso. Insofern ist es vielleicht so, dass ein neues Programm erst ein, oder zwei Durchläufe erleben muss, bevor es auf Dauer gestellt wird. Das wäre zumindest meine Hoffnung, denn ich finde die Digitalisierung der Schulen ist genauso eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern wie der Hochschulpakt. Allein der technische Support wird langfristig eine Stelle pro größerer Schule erfordern - selbst wenn die Administratoren womöglich gar nicht direkt an den Schulen sitzen werden. Das werden sich viele Kommunen nicht leisten können. 

 

Apropos Daueraufgabe: Die Digitalisierung unserer Welt geht nicht mehr weg. Trotzdem gibt es hunderttausende Lehrer, die noch Jahrzehnte im Dienst sind und noch nie einen Kurs zu digitalen Unterrichtsmethoden besucht haben.

 

Wenn Sie wirklich eine Veränderung in den Schulen erreichen wollen, müssen Sie die Lehrerbildung in diesem Bereich intensivieren. Ach was, sie müssen sie überhaupt erstmal aufbauen. Doch, wie Sie richtig sagen, wie schaffe ich es, zusätzlich in möglichst kurzer Zeit möglichst flächendeckend alle Lehrkräfte fortzubilden? Einmal fachdidaktisch, denn was pädagogisch sinnvoll in Bio ist, muss es noch lange nicht in Englisch sein. Aber auch fachübergreifend, wenn es um die grundlegende Medienkompetenz bei den Schülern geht, die quer zu den Fächern erworben werden muss. 

 

Bislang sind Fortbildungen in den meisten Fällen freiwillig.

 

Was bei diesem Thema nicht geht. Da brauchen wir eine Pflicht zur Fortbildung, sonst verlieren wir noch mehr Zeit. Das ließe sich bei den Referendarinnen und Referendaren schon leicht umsetzen - schwieriger wird es bei den Lehrkräften im Dienst, da sie mit vielen Herausforderungen konfrontiert sind. Eine gute, eine zeitgemäße Lehrkraft wird das eingesetzte Unterrichtsmedium immer an den zu vermittelnden Stoff und Kontext anpassen. Dazu braucht sie aber zwangsläufig das nötige Wissen, um abwägen zu können, welche Methode wann pädagogisch angemessen ist. Nicht dass Sie mich missverstehen: Meinetwegen können Lehrkräfte, wenn sie dafür eine gute Begründung haben, gern weiter mit Kreide arbeiten. Aber sie sollten es nicht vor allem deshalb machen, weil sie nichts Anderes kennengelernt haben.   


Nachtrag am 07. Februar, 10.30 Uhr: Koalitionsvertrag steht

Der Koalitionsvertrag steht, wie SPD und Union mitteilen. Die finale Version liegt noch nicht vor, aber im Entwurf wird im Unterkapitel "Digitale Kompetenzen für alle Bürger in einer modernen Wissensgesellschaft" weiter konkretisiert, was die Unterhändler unter der angestrebten "gemeinsamen Cloud-Lösung für Schulen" verstehen: eine "nationale Bildungsplattform", "die auch eine offene Schnittstelle für das Zusammenwirken mit bestehenden Lernplattformen und 

Cloudlösungen anbietet". Eine umfassende Open-Educational-Resources-Strategie wird angekündigt, die Entstehung, Verbreitung und den "didaktisch fundierten Einsatz" offen lizensierter und damit frei zugänglicher Lehr- und Lernmaterialien fördern soll. Regionale Kompetenzzentren für Digitalisierung sollen, vernetzt mit bestehenden Initiativen vor Ort," technisches und pädagogisches Know-how zu vermitteln sowie Best Practice vorzustellen".


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Kommentare: 2
  • #1

    Jstangenberg (Dienstag, 20 Februar 2018 13:58)

    Ties Rabe ist Hamburgs Schulsenator.
    Unsere Senatorin für Hochschule und Wissenschaft ist Katharina Fegebank

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 20 Februar 2018 14:16)

    Liebe/r Jstangenberg,

    vielen Dank für den Hinweis. Blöder Flüchtigkeitsfehler meinerseits. Ich habe es korrigiert und bitte sowohl Ties Rabe als auch Katharina Fegebank um Entschuldigung.

    Viele Grüße
    Ihr J-M Wiarda