· 

Hoffen auf den Katharsis-Effekt

Was bedeutet der erste Durchbruch in den DEAL-Verhandlungen für die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens? Und wie geht es jetzt mit Elsevier weiter?

EINER DÜRFTE das dickste Grinsen im Gesicht haben: Horst Hippler, bis zum Sommer Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und noch immer Sprecher des sogenannten Projektlenkungsausschusses bei DEAL. Hippler gilt als der Strippenzieher in dem Wissenschaftskonsortium, das die großen Wissenschaftsverlage in bundesweite Lizenzverträge befördern möchte.

 

Unermüdlich hat er geschoben hinter den Kulissen, Gespräche im kleinen Kreis geführt und im ganz großen. Er hat gedroht, wo er es für nötig hielt, und geschmeichelt, wenn das die Sache weiterbrachte. Trotzdem wuchs in den vergangenen Monaten unter den fast 700 im DEAL-Konsortium versammelten Hochschulen, Wissenschaftseinrichtungen und Bibliotheken die Unruhe angesichts der seit Jahren laufenden Verhandlungen, erst recht nachdem der Schlagabtausch mit dem umsatzstärksten Verlag Elsevier im Sommer 2018 eskaliert war. 

 

Doch gestern Nachmittag konnten Hippler und seine Mitstreiter den ersten Durchbruch verkünden. "Wiley und Projekt DEAL schließen zukunftsorientierte Partnerschaft", hieß es in einer gemeinsamen Pressemitteilung.

 

Gegen eine jährliche Gebühr können nun alle DEAL-Institutionen gleichermaßen auf alle wissenschaftlichen Journals des Verlages bis zurück ins Jahr 1997 zugreifen. Und ihre Forscher können Artikel als "Open Access" in Wiley-Zeitschriften veröffentlichen. Damit hat das Konsortium seine zwei wesentlichen Ziele – eine Nationallizenz und den Umstieg auf Open Access und Publishing & Read – erreicht. Letzteres bedeutet im Kern, dass eine einzige Gebühr sowohl die Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Publikation von Erstautoren der DEAL-Institutionen abdeckt als auch den erwähnten Zugang zu allen Zeitschriften von Wiley. Ein bemerkenswertes Zusatzstatement des Verlages kann man darin sehen, dass Wiley eine neue interdisziplinäre Zeitschrift gründen will, das ein "Flaggschiff unter den Open-Access-Journals" werden soll. Auch soll es eine Art gemeinsame Steuerungsgruppe von Verlag und Wissenschaft geben, die die Entwicklung neuer Publikationskonzepte vorantreiben soll. Und jedes Jahr wollen die Partner ein gemeinsames Symposium zur Forschungskommunikation veranstalten, das speziell junge Wissenschaftler ansprechen soll. 

 

Erfreuliche Nachrichten, es gibt allerdings auch ein Aber: Der gestern geschlossene Vertrag ist erstmal auf drei Jahre befristet, und in der Pressemitteilung ist von einer "Erprobung neuer Publikationsmodelle" die Rede. Eine Hintertür wollte Wiley sich offenbar offen halten.

 

Trotzdem wählte Hippler wuchtige Worte bei der Pressekonferenz, zu der die HRK und Wiley gestern eingeladen hatten. "Ein wichtiger Meilenstein" sei erreicht, "ein faires Preismodell", und es sei "revolutionär, dass wir diesen Weg zu einer Open-Access-Publikationspraxis gemeinsam mit Wiley gehen." 

 

Hippler griff auch deshalb so tief in die Adjektiv-Kiste, weil er die Einigung nicht nur um ihrer selbst willen hochjazzen muss. Der eigentlich schwere Brocken bleibt Elsevier mit den meisten Publikationen, da liegen die Verhandlungen brach, inzwischen befinden sich über 200 Wissenschaftseinrichtungen in einem vertragslosen Zustand mit dem Verlag. Je höher Hippler und DEAL jetzt die Einigung mit Wiley heben, desto stärker – so ihr Kalkül – gerät Elsevier unter Zugzwang. Hinter den Kulissen wird schon von "Katharsis-Effekten" gesprochen, die man sich durch den Wiley-Erfolg erwartet. Laut Handelsblatt kommentierte Hippler, er hoffe, dass jetzt viele Forscher mit ihren Publikationen zu Wiley hinüberwechselten. Ordentlich Getöse, natürlich. Fest steht, dass sie in der Elsevier-Chefetage im Moment nichts unversucht lassen, an den noch unveröffentlichten Vertragstext der Wiley-Einigung zu kommen. Während das DEAL-Konsortium sich erstmal Luft verschafft hat.

 

Unmittelbar stellt sich aber noch eine andere Frage: Was ist eigentlich mit Springer, dem dritten Großverlag in den Verhandlungen? In der Vergangenheit waren Wiley und Springer meist in einem Atemzug genannt worden als die kooperativen, diejenigen, mit denen die Gespräche weit fortgeschritten seien. Es überrascht daher fast, dass die HRK jetzt zunächst nur den Durchbruch mit Wiley verkünden konnte. Schon aus dramaturgischen Gründen – und für sowas hat Chef-Unterhändler Hippler durchaus einen Faible – muss zumindest Springer jetzt schnell hinterherkommen. Ob auch das gelingt?

 

In der Gesamtschau hat der Ex-HRK-Präsident also in seiner Einschätzung durchaus recht: Die Einigung mit Wiley ist ein Meilenstein – und ja: es ist ein wichtiger. Aber eben nur ein Meilenstein.

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    tmg (Mittwoch, 16 Januar 2019 12:33)

    Leider wenig informativ der Artikel. Wichtiger, statt selber
    Getöse zu veranstalten und herumzukritteln, wäre gewesen, den Leser sachlich über die finanzielle Ausgestaltung des Vertrags mit Wiley zu informieren. Das ist ja das eigentlich Interessante.

  • #2

    MaLös (Mittwoch, 16 Januar 2019 13:04)

    Interessanter Wandel, der sich dort vollzieht. Im Endeffekt wirkt dieser Vertragsabschluss aber dennoch eher als weiteres aufgebautes Druckmittel gegenüber Elsevier denn als weitreichende Lösung aller Probleme.

    @tmg
    Wie auch im Text erwähnt, ist darüber noch nichts an die Öffentlichkeit geraten:

    "Fest steht, dass sie in der Elsevier-Chefetage im Moment nichts unversucht lassen, an den noch unveröffentlichten Vertragstext der Wiley-Einigung zu kommen.".

    Selbst nach gefühlten 10 Sekunden eigener Recherche könnte man zu einer Beantwortung der Frage kommen, schreibt doch DEAL selbst:

    "Alle weiteren zentralen Aspekte des Vertrages werden in den gesammelten FAQ erläutert.
    Diese sind ab Mitte Februar zu finden.".

  • #3

    tmg (Mittwoch, 16 Januar 2019 17:57)

    @MaLös

    Sämtliche Unis und Forschungseinrichtungen sowie die betroffenen Bibliotheken verfügen seit gestern per Rundschreiben von der HRK über Detailinformationen zur finanziellen Ausgestaltung. Man muss halt anrufen bei einer dieser Institutionen ... sollte von einem Journalisten erwartet werden können.