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Hü Hott? Ja. Eine dumme Idee? Nicht unbedingt

Die KMK ist erleichtert, dass sie Schleswig-Holsteins Alleingang
beim Abi abgewendet hat. Von einer differenzierten Bilanz der Debatte sollte einen das nicht abhalten.

ERST WOLLTE Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) die Abiturprüfungen in ihrem Land absagen, dann ruderte sie innerhalb von 24 Stunden zurück. Und einigte sich mit den übrigen Kultusministern darauf, dass doch überall im Land Prüfungen stattfinden sollen – "soweit dies aus Infektionsschutzgründen zulässig ist", wie es im gestern Nachmittag gefassten KMK-Beschluss heißt.

 

Die meisten Kommentatoren sind sich heute ebenfalls einig: ein Glück. Priens Vorstoß sei eine "absurde Idee" gewesen, befindet die Süddeutsche Zeitung. Die FAZ meint, die Kultusminister hätten "in letzter Minute... den endgültigen Totalschaden des ohnehin schon reichlich zerbeulten Bildungsföderalismus nochmal abgewendet". Und der Bildungsforscher Olaf Köller hatte, noch bevor Prien ihren Absage-Plan zu einem "Vorschlag" zurückstufte, in der ZEIT gesagt: Was ihn schockiere, sei die "Fantasie- und Mutlosigkeit. Die Politik kapituliert vor der fraglos schwierigen Situation, ohne nach konstruktiven Lösungen zu suchen." 

 

Nein, "kapituliert" hat die Politik dann doch nicht, zumindest wenn man Köllers Deutung folgen und die Absage der Abiturprüfung als solche bezeichnen möchte. Doch sollte man bei der Bewertung dieser seltsamen Hü-Hott-Episode durchaus ein paar unterschiedliche Aspekte unterscheiden.

 

Erstens: Der Stil

 

Karin Prien, die als einer der Aktivposten der christdemokratischen Bildungspolitik und ja, der CDU insgesamt gilt, die auch bundespolitisch immer wieder Akzente setzt in ihrer Betonung einer liberalen Grundausrichtung der Partei, hat durch ihr Manöver einen großen Imageschaden erlitten. Was genau sie dazu bewogen hat, erst demonstrativ vorzupreschen, Tausenden Abiturienten in Schleswig-Holstein eine für diese extrem wichtige Ansage zu machen und diese Ansage dann, übrigens, wie Teilnehmer der KMK-Telefonschalte berichten, ohne viel Gegenwehr, gleich wieder zu kassieren, ist eine auch menschlich interessante Frage. Die einfachste Erklärung dürfte lauten, dass Prien, der Aktivposten, ihr eigenes Standing dann doch überschätzt hat und überrascht wurde davon, dass ihre eigene Landesregierung nicht bereit war, ihr bei der Prüfungs-Absage einfach so zu folgen. Weswegen ihre Kultusministerkollegen gar keine großen Widerstände mehr einreißen mussten – zum Beispiel mit der Drohung, dass sonst die bundesweite Anerkennung des Schleswig-Holstein-Abiturs gefährdet sei. Schwer erträglich ist das Hin und Her für die betroffenen Schulabgänger, die sich auf die Prüfungen für Abitur und die weiteren Abschlüsse vorbereiten und die 24 Stunden lang ein Wechselbad der Gefühle erleben mussten.

 

Zweitens: Die Kultusministerkonferenz

 

Wie Heike Schmoll in der FAZ zu Recht schreibt, hätte Prien durchgezogen, wäre das der Super-GAU für den Unfälle gewohnten Club der Kultusminister gewesen. Erst recht, wenn dann am Ende ein Teil der Länder Schleswig-Holstein gefolgt wäre und andere nicht. Zumal Rheinland-Pfalz schon jetzt größtenteils mit dem schriftlichen Abi durch ist und Hessen mittendrin steckt. Von diesem Signal der Uneinigkeit und des Chaos hätte sich die KMK, die inmitten eines Reformprozesses steckt, mittelfristig kaum erholt – vom internen Arbeitsklima ganz zu schweigen. Die Frage ist freilich, welchen Eindruck die KMK in paar Wochen hinterlässt, falls aus besagten "Infektionsschutzgründen" die Prüfungen in etlichen Bundesländern dann doch noch abgesagt werden müssten. Die Minister werden sagen: Wenigstens hatten wir dabei eine gemeinsame Linie. Die Abiturienten werden sagen: War es wirklich nötig, uns diese unzumutbare Zitterpartie so lange zuzumuten? Womit wir angelangt sind bei

 

Drittens: Priens inhaltliche Begründung 

 

Hatte sie nicht Recht, dass sie den Schülerinnen und Schülern weitere Wochen der Unsicherheit und des Angespanntseins ersparen wollte durch eine "klare Ansage"? Denn auch wenn die Kultusminister es anders behaupten: eine "klare Ansage" ist das, was sie gemacht haben, vielleicht politisch gesehen. Praktisch für die betroffenen Jugendlichen bedeutet sie jedoch nichts Anderes als: Warten wir mal ab. Schon das ist emotional eine Zumutung. Möglicherweise mit dem Ergebnis, dass die Prüfungen dann doch noch ausfallen. Und die Benachteiligung gegenüber "normalen" Jahrgängen wird in jedem Fall noch wachsen, selbst wenn am Ende tatsächlich überall geschrieben werden sollte. Weil die Prüfungen  dann unter Infektionsschutzbedingungen ganz anders ablaufen werden als in anderen Jahren. Und weil auch die Vorbereitung der Jugendliche eine andere sein wird. Vor allem, wie Prien im Interview ausführte, für die Absolventen des Mittleren Schulabschlusses und des Ersten Allgemeinbildenden Schulabschlusses. Vor allem, das kommt noch hinzu, für ohnehin schon sozial benachteiligten Jugendlichen, die aus bildungsfernen Elternhäusern stammen und dort in den Shutdown-Wochen nicht dieselbe Unterstützung erfahren wie ihre Mitschüler. Kein Wunder also, dass, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, auch auf der Arbeitsebene der Kultusministerkonferenz schon Absage-Überlegungen existierten. Für einen solchen Weg hätte im Sinne des kleineren Übels, der "am wenigsten unfairsten Lösung", über die ich gestern Morgen schrieb, einiges gesprochen – und das obwohl die Abiturienten aus Rheinland-Pfalz und Hessen dann zu Recht geschimpft hätten. 

 

Wer nach der KMK-Entscheidung "Ein Glück!" gerufen hat, dem kann man nur wünschen, dass er oder sie damit auch nach Ostern Recht behält. Andernfalls könnte Prien irgendwann rufen: Wusste ich es doch. Wird sie allerdings nicht. Denn für sie bleibt das Hin und Her in jedem Fall peinlich. 


Nachtrag am 27. März: 

Heute hat Bildungsministerin Karin Prien einen Offenen Brief an die Schülerinnen und Schüler in Schleswig-Holstein geschrieben. Den Wortlaut finden Sie hier. 



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