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Keine Angst vorm unreinen Wasser

Der Schweizer Physiker Dieter Imboden hat die Geschicke der Wissenschaft weit über sein Heimatland hinaus geprägt. Jetzt hat er seine Autobiographie veröffentlicht. Ein Gastbeitrag von Wolfgang Rohe.

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Artikelbild: Keine Angst vorm unreinen Wasser

Dieter Imboden. Stephan Röhl/Heinrich-Böll-Stiftung. CC BY-SA 2.0.

DIETER IMBODEN IST in Deutschland vor allem bekannt als Vorsitzender jener oftmals nach ihm benannten Kommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative. Die 2016 vorgelegten Ergebnisse und Empfehlungen mündeten seinerzeit, wie man weiß, in einen komplexen Aushandlungsprozess, an dessen Ende der Beschluss über die Fortführung des Programms stand. Dass dabei Vieles anders kam, als die Kommission es empfohlen hatte, verarbeitet Dieter Imboden eher lakonisch, auf den nur vier Seiten, welche er dieser Episode in seiner soeben erschienenen Autobiographie widmet. Dazu später mehr. Zunächst ist die Knappheit seiner Befassung mit der Exzellenzinitiative durchaus charakteristisch; aber nicht etwa in dem Sinne, dass durch die Kürze die Marginalisierung eines zweifellos epochalen wissenschaftspolitischen Projekts beabsichtigt wäre. Vielmehr geht es Imboden durchgängig gerade nicht darum, seinen Anteil an einer wissenschaftlichen Epoche auszumalen oder gar der Nachwelt zu überliefern, was er in Person bewirkt oder verhütet habe.

"Zugefallen" – wie der Titel seiner im Verlag "Zytglogge" erschienenen Autobiographie es programmatisch kundtut – sei ihm das Wichtigste im Leben, so Imboden, nicht planmäßig hervorgebracht habe er es. Diese Haltung bewahrt Leser*innen von vornherein davor, mit Heldengeschichten oder Rechthabereien gelangweilt zu werden. Man darf diese Haltung freilich nicht mit Passivität verwechseln. Was uns im Leben begegnet und zustößt, muss vielmehr ergriffen und mit beharrlicher Energie gestaltet werden. Vom ganzen Leben handelt dieses Buch, und nichts könnte Imbodens Intention darum mehr zuwiderlaufen als es nach dem Schema "ein Leben im Dienst der Wissenschaft" zu lesen. Vielmehr geht das Buch, das den Untertitel "Ein Leben zwischen Menschen, Wissenschaft und Umwelt" trägt, in unangestrengter Diktion der altmodisch anmutenden und doch so aktuellen Frage nach, wie denn die Wissenschaft sich ins Leben einfügt, das doch mehr bieten soll als nur seine widerspruchsfreie Erklärbarkeit.

"Von der reinen Physik zum unreinen Wasser"

Dieses Grundthema durchzieht das Buch in zwei Varianten. Für epistemologisch gesonnene Leser*innen wird das Thema zum einen anhand des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft durchdekliniert. Und kaum eine wissenschaftliche Laufbahn dürfte sich besser eignen als die Imbodens, der als 28-Jähriger mit einer Arbeit in der theoretischen Festkörperphysik promovierte, um seinen Berufsweg danach an der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (EAWAG) fortzusetzten. "Von der reinen Physik zum unreinen Wasser", wie er es später einmal pointiert ausgedrückt hat. Dass fortan reale Probleme, umkippende Seen zum Beispiel, seine Forschung bestimmten und nicht die zwangsläufig sich aus jeder Dissertation ergebende Anschlussfrage, ist ein Glücksfall für die Illustration des dialektischen Verhältnisses von Grundlagen- und angewandter Forschung. So wie nämlich erst das Grundlagenwissen des Physikers ihn zu erfolgreichen Problemlösungen befähigte, so führten Problem- Anwendungskontexte wiederum der Grundlagenforschung neue Anstöße zu.

Auf solche Weise kann am Ende ein Fach wie die Umweltnaturwissenschaft auch (oder gerade) an einer renommierten Universität wie der ETH Zürich entstehen und sie vom Ruf einer "einäugigen Technokratenschule" befreien. Und wer durch dieses Exempel aufs Neue bewiesen sehen möchte, wie nützlich die Grundlagenforschung am Ende doch stets sei, der sollte sich der korrespondierenden Einsicht nicht verschließen, wie das in der Universität hochnäsig vertretene Reinheitsgebot der Wissenschaft selbst ihrem eigenen Fortschritt oftmals im Wege steht. Auch das kann man in einem spannenden Kapitel bei Dieter Imboden lernen.


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Artikelbild: Keine Angst vorm unreinen Wasser

Dieter Imboden:

Zugefallen. Ein Leben zwischen Menschen, Wissenschaft und Umwelt.
Basel: Zytglogge. 32,00 Euro.


Für eher biographisch interessierte Leser*innen wird das Thema Wissenschaft und Leben aber auch ganz unmittelbar erzählt. Den Autor treibt zeitlebens die Frage um, ob es angesichts des Erklärungsimperativs der Wissenschaft das – wie Imboden es nennt – "nicht Vereinnehmbare" überhaupt noch geben könne: Darf ausgerechnet ein Naturwissenschaftler seinen intuitiven Einwand gegen die "vollständige Entzauberung der Welt" (Max Weber) hartnäckig behaupten? Kann er gegen den Erklärungsimperativ trotzig am Gedanken der Unverfügbarkeit des Menschen festzuhalten? Darf er Momente der Transzendenz gegen die Einsicht ins Faktische für möglich halten? Diese Fragen sind ein wiederkehrendes Motiv in Imbodens Buch, das an manchen Stellen tatsächlich auch persönliche Lebenserinnerungen preisgibt – taktvoll selbstverständlich, wie es einem Schweizer geziemt.


Die "Hoffnung, das wissenschaftlich Erklärbare möge nicht alles sein, was es zu erfahren gibt auf dieser Welt, und das Geheimnis des Lebens würde dereinst nicht vollständig zwischen Zahlen und chemischen Formeln zerrinnen", diese Hoffnung Dieter Imbodens verbindet ihn mit seinem großen Zürcher Landsmann Gottfried Keller. Viele von dessen Werken strebten danach, einer mehr und mehr erklärbaren Welt das unerklärbar Schöne und Geheimnisvolle nicht zu rauben. Am Beginn von Kellers "Sinngedicht" (1881) etwa reißt der Naturwissenschaftler Reinhart in seinem Laboratorium die Fenster zur Welt impulsiv weit auf in der Sorge, durch weitere Experimente hinter fest verschlossenen Läden sein Augenlicht zu verlieren und sein Leben zu verpassen. Dieter Imboden, so scheint es, hat durch Geschick und Fügung die harte Alternative von Labor oder Welt stets zu vermeiden vermocht und sich an beiden Orten gleichermaßen sicher und glücklich bewegt.

So liegt ein großer Reiz darin, zu lesen, wie Dieter Imboden den Rückzug in die Natur, in die Musik, ins Kontemplative, ins Innerliche, ins Unverfügbare sucht, ohne sich diese Rückzüge durch rationale Kritik abzuschneiden oder sie jenem Objektivierungszwang zu unterwerfen, dem der Wissenschaftler gleichen Namens zweifellos in seinen wissenschaftlichen Publikationen folgt. Es liegt ein ebenso großer Reiz darin, seine Reflexionen über Vorder- und Hinterbühnen in der Wissenschaft, über die Dialektik von Ordnung und kreativem Chaos oder über die Unvermeidlichkeit des Politischen auch in der Wissenschaft mit zu vollziehen.

Keine Invektive, keine Enthüllungen in Sachen Exzellenzinitiative

Vor diesem Hintergrund wird es nicht überraschen, dass die von deutschen Leser*innen womöglich besonders gespannt erwartete Kommentierung der Exzellenzinitiative und ihrer Evaluation weder mit Invektiven noch mit Enthüllungen aufwartet. Dass Dieter Imboden und die anderen Kommissionsmitglieder "als Anwälte für die in Deutschland unterfinanzierten und bürokratisch vielerorts geknechteten Universitäten" mehr zu erreichen gehofft hatten, ist bereits eine Mutmaßung. In Imbodens Diktion paart sich konsequent auch beim Thema Exzellenzinitiative rationale Einsicht – hier in die Notwendigkeit eines funktional differenzierten Hochschulsystems – mit dem Unwillen, von einer "utopischen Universität" zu lassen, "welche keine Lehrpläne kennt".

Am Ende legt man das Buch aus der Hand mit dem festen Eindruck, nicht ans Ende gelangt zu sein: Dieter Imbodens Integration von Modellierung und realer Welt, von Wissenschaft und Gesellschaft markiert keinen Abschluss, keinen erreichten und historisch gewordenen Standpunkt. Das "unreine Wasser" nicht zu scheuen, taugt mehr denn je als Maxime wissenschaftlicher Tätigkeit in einer Zeit massiver globaler Umweltprobleme und gesellschaftlicher Ordnungen, die an ihren Spannungen zu zerfallen drohen.

Wolfgang Rohe ist Geschäftsführer der Stiftung Mercator und promovierter Germanist. Dieter Imboden lernte er 2012 im Rahmen einer Evaluation von Wissenschaftseinrichtungen in Bayern kennen. Das Gespräch führte rasch darüber hinaus und dauert fort.


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