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Die Daten, das Versagen und das große Erstaunen

Wie viele Menschen sind bislang geimpft? Noch immer gibt es in Deutschland keine repräsentative Bevölkerungsstichprobe, die diese und weitere zentrale Fragen zur Corona-Pandemie beantworten könnte. Doch die Politik reagiert mal wieder nur mit einem Achselzucken.

DAS ERSTAUNLICHSTE war mal wieder das Erstaunen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) hatte am vergangenen Mittwoch vermeldet, dass es eine Differenz zwischen den offiziell registrierten Impfzahlen und Umfragen zur Impfquote bei den Unter-60-Jährigen gebe. So hätten 79 Prozent der 18- bis 59-Jährigen angegeben, bereits mindestens eine Impfung erhalten zu haben – 20 Prozentpunkte mehr, als das Impfmonitoring zu dem Zeitpunkt verzeichnete.

Wie kann das sein, fragten sich Kommentatoren. Ist die amtliche Datenlage tatsächlich so mies? Ja, ist sie. Und nein, neu ist das überhaupt nicht. "Die Datenerhebungskatastrophe" hatte ich Ende April einen Artikel hier im Blog betitelt, weil Deutschland auch mehr als ein Jahr nach dem Beginn der Pandemie noch kein repräsentatives Corona-Panel hatte, keine regelmäßig wiederholten Massentests und Befragungen derselben repräsentativ ausgewählten Bevölkerungsstichprobe. Hat Deutschland übrigens vier Monate später immer noch nicht.

Die Geschichte, warum anders als zum Beispiel in Großbritannien bei uns Politik und Wissenschaft ein solches Panel nicht hinbekommen haben, macht die Sache, siehe meinen Artikel von April, nur noch haarsträubender. Und ist darüber hinaus nur ein Beispiel von deprimierend vielen für die die Pleiten, Pech und Pannen des deutschen Corona-Monitorings. Dabei könnten wir nur mithilfe eines solchen Panels quasi in Echtzeit nachvollziehen, wie sich die Pandemie entwickelt, wer sich wann wie häufig angesteckt hat und welche Alters- und Berufsgruppe wie auf welche Eindämmungsmaßnahmen reagiert.

Und mit den Impfungen ist längst ein weiteres schlagendes Argument hinzugekommen: Nicht nur ließe sich mit einem repräsentativen Corona-Panel die Impfquote altersgenau ermitteln und regelmäßig mit den offiziellen Meldezahlen abgleichen. Auch ließe sich erkennen, wieviele Geimpfte sich trotzdem mit dem Virus infizieren und wie viele von ihnen schwer erkranken.

Impf-Durchbrüche werden, je größer der Anteil der Geimpften ist, ein immer wichtigerer Faktor. Doch wie oft kommen sie, gerechnet auf die tatsächliche Zahl der Geimpften, vor? Wie stark hängen sie vom Alter ab? Und schaut man auf die vom RKI registrierten 7-Tages-Inzidenzen: Wieviel davon geht auf Ungeimpfte zurück, wieviel auf Geimpfte? Und wie hoch ist der Anteil Geimpfter, die sich nicht nur infizieren, sondern einen schweren Krankheitsverlauf haben? Zwar verläuft die Infektion eines Geimpften meist weitaus weniger schwer, Krankenhauseinweisungen sind viel seltener. Doch wieviel seltener?

Über all das wissen wir derzeit viel zu wenig. Doch all diese Fragen ließen sich mithilfe einer solchen Stichprobe verlässlich beantworten. Dieses Wissen wäre zentral, denn Inzidenz ist eben nicht gleich Inzidenz. 50.000 bis 100.000 Stichproben-Tests alle ein bis zwei Wochen würde das erfordern. Ein großer Aufwand, ja. Aber selten gut investiert.

An kaum einer Stelle ist das Versagen der deutschen Gesundheitspolitik und von Teilen der Corona-Forschung so offensichtlich und eklatant wie bei der Erhebung repräsentativer Daten. Die Defizite und Versäumnisse sind seit Monaten bekannt. Doch alles, was Bund und Länder dafür übrig haben, scheint ein Achselzucken zu sein. Und jedes Mal aufs Neue das große Erstaunen.


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