Führt die Impfpflicht für Erwachsene ein!
Die Kinder müssen ausbaden, dass die Politik die Älteren schont: Mit dieser Corona-Praxis muss endlich Schluss sein.

Foto: Markus Winkler / Pixabay.
DAS ZWISCHEN-LUFTHOLEN bei den Corona-Neuinfektionen ist vorbei. Vergangene Woche stagnierten die Corona-Zahlen, demnächst dürften sie mit dem kälteren Wetter wieder stärker steigen. Und anders als im Juli und August sind es dann nicht mehr die Folgen von Sommerferien und nicht mehr vorrangig Kinder und Jugendliche, deren Pflichttests zum Schulstart die Meldezahlen hochtrieben. Schon jetzt sind Ältere zunehmend betroffen.
Und so droht Deutschlands Krankenhäusern auch in diesem Herbst keine Pandemie der Jungen, sondern die nächste Pandemie der Alten. Der Anteil der über-60-Jährigen an allen stationären Aufnahmen ist binnen eines Monats von 32 auf 50 Prozent gestiegen. Ein Drittel davon ist ungeimpft. Aber auch die Zahl der Impfdurchbrüche unter Senioren wächst.
Was das mit Kindern, jungen Erwachsenen, mit Schulen und Hochschulen zu tun hat? In allen bisherigen Corona-Wellen waren sie, abgesehen von Altenheimen und deren Bewohnern, am stärksten von Einschränkungen betroffenen. Und obgleich gerade bei den Kindern die Politik geschworen hat, sie künftig anders zu behandeln: Vor der großen Herbst- und Winterwelle 2020 klangen die Versprechungen fast identisch.
Dabei war es schon, bevor ausreichend Impfstoffe zur Verfügung standen, nicht zu rechtfertigen, Schulen zu schließen, während Büros offenblieben; Kinder und Jugendliche zwei-, dreimal wöchentlich zu Pflichttests heranzuziehen, die Erwachsenen aber ohne an den Arbeitsplatz zu lassen.
Nach Monaten des Impfstoff-Überflusses ist es das erst recht nicht. Es gibt Zweitklässler, die nur wenige Monate regulären Unterricht erlebt haben und jetzt zum ersten Mal am Platz ohne Maske lernen dürfen. Es gibt Studierende, die ins vierte Semester kommen und hoffen, ihre Uni endlich von innen kennenlernen. Mit 2G-Bändchen ums Handgelenk oder Impf-Aufklebern auf dem Studierendenausweis. Während ungeimpfte Ältere ins Restaurant gehen, gern auch ungetestet, weil dort ohnehin kaum einer den lästigen Nachweis sehen will.
Den Alten wird der Eindruck vermittelt, die Pandemie sein vorbei
Dass von den über-60-Jährigen 14 Prozent überhaupt nicht geimpft sind, während es bei Studierenden je nach Standort zehn Prozent und weniger sind, lässt sich nur mit ihren bisherigen Ungleichbehandlung in der Pandemie erklären: Gehen die Zahlen hoch, werden vor allem die Jungen eingeschränkt, obwohl die Alten es sind, die das viel höhere Risiko tragen. Doch denen wird in ihrem Alltag der Eindruck vermittelt, die Pandemie sei so gut wie vorbei, also keine Zurückhaltung mehr nötig.
Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Schieflage zu beenden. Stichwort Freedom Day: Alle hatten die Chance, sich impfen zu lassen. Also heben wir alle Beschränkungen auf, lassen die Zahlen hochgehen, und wenn es die Ungeimpften erwischt – selber schuld.
Nur ist das zu kurz gedacht. Denn wenn die Ungeimpften die Intensivstationen überfüllen, bleibt für Geimpfte, die aus anderen Gründen behandelt werden müssen, kein Platz mehr. Hinzu kommt: Je höher die Corona-Dynamik unter Ungeimpften, desto häufiger infizieren sich auch Geimpfte. Und haben, je älter sie sind, wieder ein erhöhtes Risiko einer schweren Erkrankung. Auch gibt es Menschen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Und für die unter 12-Jährigen steht die Impfstoff-Zulassung noch komplett aus.
In Sachen Generationengerechtigkeit ist etwas
aus den Fugen geraten
Die zweite Alternative ist: Der Staat muss seine Verantwortung endlich ernstnehmen und eine Impfpflicht für alle Erwachsenen durchsetzen. Ja, das ist ein Eingriff in die Grundrechte. Nur wäre es unerträglich, wenn die Politik vor diesem zurückschreckt, nicht aber vor der erneuten empfindlichen Verletzung des Grundrechts auf Bildung und Teilhabe. Und genauso das wären weitere Einschränkungen im Schul- und Hochschulbetrieb. Vom Leiden und Sterben geimpfter Alter, solange umgeimpfte Erwachsene die Inzidenz hochtreiben, ganz zu schweigen.
In Sachen Generationengerechtigkeit ist etwas aus den Fugen geraten in der Pandemie – oder es war schon aus den Fugen, und ist nur so richtig sichtbar geworden. Zuungunsten der ganz Jungen und der ganz Alten.
Zur Generationengerechtigkeit gehört nicht nur, unabhängig von Inzidenzen die Bildungseinrichtungen im Präsenzbetrieb zu halten. Sondern auch, wenn demnächst die Impfstoff-Zulassung für 5- bis 11-Jährige da ist, die STIKO diesmal ohne Druck zu einer Einschätzung kommen zu lassen. Und sollte sie dann keine generelle Impf-Empfehlung für Kinder geben, weil diese kaum schwer erkranken und selten Folgeerscheinungen haben: Dann ist das als Votum der Wissenschaft und im Interesse der Kinder zu akzeptieren. Dass die junge Generation den Kopf hinhalten soll, weil die Politik die Älteren schont: Damit muss es jetzt vorbei sein.
Dieser Kommentar erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
Kommentare
#1 - Hi, spätestens wenn die "Pille danach" rausgekommen ist…
Ungeimpft; 34 Jahre
#2 - Jetzt die Impfpflicht einzuführen würde nicht viel…
Möchte man das wirklich ???
#3 - @Michael: Interessant, dass Sie einem in Rekordtempo…
#4 - Diesen Beitrag würde ich zu 100% unterschreiben.…
Geimpft, 43 Jahre
#5 - Dass die Politik keine Versprechen einhält, vorliegende…
#6 - Die Frage ist doch was es bringt alle zwangszuimpfen, zudem…
#7 - Ich finde hier wird zu sehr über einen Kamm geschert. Was…
Mein Schwiegervater ist doppelt so alt wie ich und hat trotz doppelter Impfung immer noch ein deutlich höheres Corona-Risiko.
Trotzdem darf er alles und ich nichts, mit der Begründung, man möchte das Gesundheitssystem nicht überlasten. Das ist für mich nicht mehr glaubwürdig. Die meisten Regeln, die uns einschränken, richten sich aber nicht an die Menschen mit dem wirklich hohen Risiko (hohes Alter), sondern an die arbeitende "Mitte".
Man sagte auch, man könne "die Alten" nicht einsperren wegen ihres hohen Risikos - damit, die Kinder einzusperren, hatte die Regierung kein Problem.
Das widerspricht sich alles - für mich völlig unverständlich.
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