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Vergebliche Digital-Schwüre

Auch 2020 konnten angehende Lehrkräfte studieren, ohne ein Modul zum digitalen Lernen zu belegen. Es braucht bundesweite Vorgaben.

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Artikelbild: Vergebliche Digital-Schwüre

Bildmontage: Alexas_Fotos / pixabay.

EIGENTLICH IST ES KAUM ZU FASSEN. Vor fünf Jahren hat die Kultusministerkonferenz (KMK) ihre Strategie "Bildung in der digitalen Welt" beschlossen. Vor zweieinhalb Jahren startete der Digitalpakt. Nachdem schon jahrelang darüber diskutiert worden war. Und bald sind zwei Jahre vergangen, seit die Schulen über Nacht in den ersten flächendeckenden Corona-Lockdown mussten. Ein Turbo nach dem anderen für die Digitalisierung der Schulbildung, sollte man denken.

Bis man liest, was Forscher an aktuellen Zahlen für eine neue Ausgabe des "Monitors Lehrerbildung" zusammengetragen haben. Das wichtigste – und verstörende – Ergebnis: Noch immer ist es in Deutschland möglich, ein Lehramtsstudium abzuschließen, ohne auch nur eine Veranstaltung zu digitalen Medien und Lehrformaten zu belegen.

Nicht als seltener Sonderfall, sondern an vielen Orten, in vielen Fächern. Das Tempo der Veränderung war in den vergangenen Jahren so niedrig, dass es nach einer Hochrechnung der Forscher bis 2040 dauern würde, bevor zum Beispiel alle künftigen Gymnasiallehrer im Studium verpflichtend Digitalkompetenzen vermittelt bekämen.

Den "Monitor Lehrerbildung" gibt es seit 2012. Regelmäßig vergleicht er den Status Quo des Lehramtsstudiums an den lehrerbildenden Hochschulen und die bildungspolitischen Vorgaben aller 16 Bundesländer. Beispiel Grundschul-/Primarschullehramt: 2017 hatten elf Prozent aller bundesweit untersuchten Studiengänge das Thema verpflichtend im Curriculum aller Fächer.


Im Sommersemester 2020, trotz aller Adhoc-Maßnahmen wegen Corona, ging es lediglich auf 15 Prozent rauf. Am größten war der Fortschritt noch bei den beruflichen Schulen. 2017: ebenfalls elf Prozent. 2020: 27 Prozent.

Auch die Ampel verspricht, die Digitalisierung zu forcieren

Klar, womöglich ist der Knoten seitdem geplatzt. Dann wird es der nächste "Monitor Lehrerbildung" freudig berichten. Zumal die die aktuelle KMK-Präsidentin Britta Ernst das Update der länderübergreifenden Digitalstrategie zum Thema ihrer diesjährigen Präsidentschaft erklärt hatte. Und die Ampelparteien legen in ihrem Koalitionsvertrag einen Schwur ab, die Digitalisierung in den Schulen zu forcieren, inklusive einem Digitalpakt 2.0, auch wollen sie die Lehrkräftebildung besser koordinieren und die nächste – digitale – Qualitätsoffensive starten.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass es schon im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von 2017 nicht an digitalen Bildungsschwüren fehlte. Und dass die KMK sich den großen Aufbruch schon von ihrer Strategie vor fünf Jahren versprochen hatte.

Gute Ideen für die nötige Modernisierung der Lehrerbildung gibt es glücklicherweise genug, nachahmenswerte Modelle ebenfalls. Mehr Geld, vor allem auf Dauer, wird den Schulen bei der technischen und didaktischen Weiterentwicklung helfen. Was fehlt, und das seit Jahren, sind verbindliche bundesweite Vorgaben von Zielmarken für alle Studiengänge und von konkreten Umsetzungsschritten für alle Hochschulen. Die KMK kann und muss sie mit ihrem Digitalstrategie-Update jetzt liefern. Alles Andere wäre sonst wirklich nicht mehr zu fassen.

Dieser Kommentar erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel. Der "Monitor Lehrerbildung" ist die nach eigenen Angaben bundesweit einzige Datenbank zum Lehramtsstudium und ein gemeinsames Projekt von Bertelsmann-Stiftung, CHE Centrum für Hochschulentwicklung, Deutsche-Telekom-Stiftung, Robert-Bosch-Stiftung und Stifterverband.

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