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Was wichtig wird (Teil 2): Neue Dynamik in der Debatte über Schulschließungen

Rechtfertigen Omikron und absehbare Rekord-Inzidenzen, dass Kinder und Jugendliche wieder von zu Hause lernen müssen? Über diese Frage wird in den nächsten Wochen noch erbitterter gestritten werden. Wann ich persönlich für Schulschließungen plädieren werde – und wann nicht.

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Artikelbild: Was wichtig wird (Teil 2): Neue Dynamik in der Debatte über Schulschließungen

Bild: Taken/Pixabay.

HEUTE KONFERIEREN die Kultusminister, am Freitag die Regierungschefs, und währenddessen setzen die Corona-Zahlen zum großen Sprung an. Bundesweite 7-Tages-Inzidenzen von 700, 1000 oder mehr innerhalb der nächsten zwei, drei Wochen scheinen realistisch zu sein. Damit steuert auch eine seit bald zwei Jahren erbitterte Debatte auf ihren pandemischen Höhepunkt zu: Können, sollen, müssen Schulen geschlossen werden? Distanzunterricht überall und für alle Klassenstufen?

Schulen und Corona, das war eines der beherrschenden Bildungsthemen 2020 und 2021. Und wird es 2022 erneut sein. Soviel ist klar zu Beginn der Omikron-Welle, die voraussichtlich auch in Deutschland wie eine Wand daherkommen wird. Nur dass sich mir schon 2020 und 2021 eine Frage stellte, die in diesen Tagen noch drängender wird: Warum reden die Deutschen, sobald es um Optionen zur Corona-Bekämpfung geht, eigentlich immer und immer noch als erstes darüber, ob man Kinder und Jugendliche zu Hause lassen sollte? Warum löst es in Deutschland weniger Gegenwehr aus, für geschlossene Schulen zu plädieren als für geschlossene Fußballstadien, Restaurants oder Büros – oder gar für flächendeckende Ausgangssperren?

Woher die Schieflage in Deutschland kommt

Nein, ich erwarte jetzt keine juristischen oder verfassungsrechtlichen Antworten auf meine Frage. Und auch keine epidemiologischen Pros und Contras. Worauf ich hinaus will, sind soziologisch-gesellschaftliche Begründungen, warum 2021 mehrere europäische Länder Schulschließungen auf ein Minimum beschränkt oder gar ganz ausgelassen haben – während Deutschland mit ihnen erst so richtig losgelegt hat. Warum haben Frankreich oder Spanien die Erwachsenen zur Pandemie-Eindämmung so viel stärker in die Pflicht genommen als die Bundesrepublik?

Meine These: Die Schieflage in Deutschland hat mit dem Bild und der Stellung von Kindern, Frauen und Care-Berufen in unserer Gesellschaft zu tun. Hinzu kommt die besonders ausgeprägte Macht der mittleren Generation, die nicht nur besonders starke Geburtenjahrgänge aufweist, sondern auch fast alle mächtigen Positionen im Land besetzt. Die Mittelalten sind es, schrieb ich neulich im Freitag, die die Wirtschaft am laufen halten. Vor allem die ohne Kinder unter 18. Sie sind es, die in diesem Land am meisten zu sagen haben. Sie protestieren am lautesten und mächtigsten, wenn etwas gegen ihre Interessen geht. Die meisten Politiker gehören direkt in diese Altersgruppe. Sie treffen die Corona-Entscheidungen und richten sie an ihrer eigenen Lebenswirklichkeit aus.


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Natürlich kann man trotzdem mit guten Gründen für Schulschließungen sein. Selbst ich, der sich vermutlich seit Beginn der Pandemie den Ruf eines notorischen Anwalts offener Bildungseinrichtungen erworben hat, würde unter ganz bestimmten Umständen für Distanzunterricht plädieren – übrigens unabhängig davon, dass das Bundesinfektionsschutzgesetz diesen derzeit gar nicht hergibt.

Was mich nicht dazu bewegen wird, für Schulschließungen zu sein

Zunächst aber sollte ich erwähnen, was für mich nicht ausreicht, um für Schulschließungen zu sein.

Erstens: wenn Lehrerverbände dies fordern. Ich empfand es als auffallend und verstörend, dass vor und über Weihnachten erneut und vorneweg einige der offiziellen Repräsentanten hunderttausender Lehrkräfte Richtung Schulschließungen gepusht haben. Was mein Kollege Paul Munzinger von der Süddeutschen Zeitung in einem Kommentar äußerst passend eingeordnet hat: "Nach allem, was mittlerweile über die eher bescheidene Rolle von Schulen für das Infektionsgeschehen und die verheerenden Folgen von Schulschließungen bekannt ist, darf man von den Lehrerverbänden erwarten, dass sie sich endlich nicht nur als Sachwalter ihrer eigenen Interessen verstehen – sondern auch der Interessen von Schülerinnen und Schülern." Ich gehe übrigens nicht davon aus, dass die Mehrheit der Lehrkräfte sich an dieser Stelle gut vertreten gefühlt hat.

Zweitens: wenn auf sozialen Medien besonders aktive Eltern Distanzunterricht verlangen – aus Sorge um ihre Kinder und/oder weil sie sich als Akademiker zutrauen, erfolgreich Homeschooling zu betreiben. Weshalb diese Eltern zurzeit auch schnell dabei sind, wegen Corona für die Aussetzung der Präsenzpflicht zu plädieren, als "das Mindeste". Derweil zeigen Statistiken in den Bundesländern, die in den vergangenen zwei Jahren zwischenzeitlich die Präsenzpflicht ausgesetzt hatten, dass 97, 98 und mehr Prozent der Kinder trotzdem hingegangen sind. Das ist die Realität und nicht die Debatte auf Twitter oder anderswo.

Drittens: Ich werde auch dann nicht für flächendeckende Schulschließungen sein, wenn in den ersten zwei Wochen nach den Weihnachtsferien der relative Anteil von Kindern und Jugendlichen an allen Neuinfektionen sprunghaft in die Höhe geht. Denn dies hat dann mit dem Wiedereinführen der Pflichttests zu tun, die es in dem Umfang nur bei Schülern gibt, und damit, dass schon die Sommerferien der Pandemietreiber in der jungen Generation waren und nicht die danach folgende Unterrichtszeit.

Unter welchen Umständen ich sehr wohl für flächendeckenden Distanzunterricht sein werde

Sehr wohl werde ich für Schulschließungen sein, wenn die gesamtgesellschaftlichen Corona-Infektionszahlen erstens dramatisch ins bislang ungekannte Höhen schnellen – und wenn zusätzlich der relative Anteil von Kindern und Jugendlichen ab der dritten Woche nach Schulstart stark überdurchschnittlich steigt. Weil es dann nämlich tatsächlich einen Hinweis dafür gäbe, dass Schüler sich eher im Unterricht mit Omikron infizieren als anderswo.

Es müssten aber noch weitere Voraussetzungen gegeben sein: Die Zahl der Krankenhausaufenthalte speziell von Kindern und Jugendlichen müsste nachweislich besonders drastisch hochgehen. Solange das vorrangig bei den Erwachsenen geschieht, wären Schulschließungen nämlich wieder vor allem eines: fremdnützig. In Frage, um die Eigennützigkeit von Schulschließungen festzustellen, kommen für mich nur eine Berufsgruppe und deren Verbände: die Kinder- und Jugendärzte. Wenn diese für flächendeckenden Distanzunterricht plädieren, werde ich mir als Journalist die Forderung zueigen machen.

Nur dass die Verbände der Kinder- und Jugendärzte sich seit Beginn der Pandemie eigentlich immer für mehr Teilhabe und Schulpräsenz eingesetzt haben, für offene Schulen und Bildungseinrichtungen, solange es geht. Solange diejenigen es tun, die besonders die Gesundheit und das Wohlbefinden der Kinder im Blick haben, werde ich mir nicht anmaßen, das Gegenteil zu verlangen. Und solange werden mich auch jene nicht überzeugen, die sagen, für das Abwarten einer klaren Lageeinschätzung sei keine Zeit mehr.

Hören wir auf die professionellen Anwälte der Kinder und Jugendlichen

Zumal allen, die so argumentieren, auch klar sein sollte: Das Schließen von Kitas und Schulen ergibt nur Sinn, wenn sich die Erwachsenen gleichzeitig mindestens genauso stark oder besser noch stärker einschränken müssen. Was bedeutet: geschlossene Restaurants, Läden und Büros und Ausgangsbeschränkungen. Andernfalls säßen die Kinder und Jugendlichen nämlich zu Hause, und es würde noch nicht einmal etwas bringen – weil die Erwachsenen die Corona-Dynamik hochhalten und wiederum die Kinder und Jugendlichen anstecken würden.

Derzeit verdichten sich übrigens die Anzeichen, dass Kinder und Jugendliche im Vergleich zu anderen Altersgruppen nicht stärker von Omikron betroffen sind als zuvor von den Delta- oder Alphavarianten. Dasselbe gilt für ihr ohnehin schon geringes Risiko, wegen einer Omikron-Infektion ins Krankenhaus zu müssen.

Trotzdem wird es im Jahr 2022 in den öffentlichen Debatten wieder und besonders um Schulschließungen gehen. Angefangen mit dem Treffen der Kultusminister und Regierungschefs diese Woche. Wie wäre es, wenn dabei die Interessen der Kinder und Jugendlichen im Vordergrund stünden – und nicht die einer abstrakten Pandemiebekämpfung, deren Konsequenzen die Erwachsenen schon zu oft den Jüngsten aufgedrückt haben? Hören wir auf die besten professionellen Anwälte der Kinder und Jugendlichen. Auf die Bildungsforscher, die Pädagogen, Psychotheraupeuten. Vor allem auf die Kindermediziner. Sie werden uns auch dieses Jahr wieder viel zu sagen haben.

Kommentare

#1 -

Markus Pössel | Mi., 05.01.2022 - 20:59
Ich bin neugierig: Warum gehört die Krankenhausbelegung in der relevanten Altersgruppe bei Ihnen zwingend dazu? Nachdem die Hamburg-City-Health-Studie ja gerade neue Daten zu langfristigen Schädigungen selbst bei milden Verläufen geliefert hat (klar, in einer älteren Altersgruppe) zeigt sich doch, wie wenig wir derzeit noch über solche Folgen wissen. Angenommen, Omikron rauscht wirklich durch die Schulen (was ja eines Ihrer Kriterien war): Warum fallen die Unsicherheiten bezüglich solcher Schäden selbst bei milderem Verlauf bei Ihnen so wenig ins Gewicht? Bei der Impfung schauen wir zu Recht sehr genau auf die Nebenwirkungen in den verschiedenen Altersgruppen. Sollten wir ein Experiment "großflächige Ansteckung von Kindern/Jugendlichen mit Omikron" nicht mindestens ebenso kritisch begleiten?

Außerdem bleibt natürlich noch die Frage, wie Risikogruppen-Angehörige unter der Schülerschaft geschützt werden – und wie wir mit Schüler*innen umgehen, die Risikogruppen-Angehörige in der eigenen Familie haben und sich der Verantwortung, die nicht anzustecken, in der Regel ja sehr wohl bewusst sein dürften. Die Forderungen danach, für solche in verschiedener Hinsicht besonders gefährdeten Schüler*innen geeignete besondere Angebote zu schaffen höre ich – allgemein, aber meinem Eindruck nach auch bei Ihnen – kaum oder nur sehr leise. Sie sollte ruhig lauter zu hören sein.

#2 -

firstnamebunch… | Do., 06.01.2022 - 02:14
Wow, Kinderärzte sind "Anwälte der Kinder", aber Lehrer nicht, denn die handeln nur aus Eigeninteresse? - Darf ich Sie daran erinnern, wie Kinderärzteverbände immer wieder Schulöffnungen gefordert haben, weil ihnen im Lockdown die Patienten weggebrochen sind, weil Kinder weniger Infekte hatten? Da stehen monetäre Interessen dahinter! (zumindest bei den Verbänden, nicht unbedingt bei jedem einzelnen Arzt)

Lehrer dagegen sitzen im selben Boot wie die Kinder. Wenn die Gesundheit der Kinder gefährdet ist und das Unterrichtsklima vor Ort schlecht ist (Stichwort offene Fenster), dann befinden sich Lehrer wie Schüler in derselben Situation. Lehrer sind die Einzigen außer den Schülern, die von den Entscheidungen zu Schulen SELBST direkt Tag für Tag betroffen sind (im Gegensatz zu Kinderärzten). Und gerade denen, die im engsten Kontakt mit den Schülern sind und deren Situation am ehesten nachvollziehen können, weil sie DABEI sind, sprechen Sie ab, urteilen zu können? - Sorry, da bin ich raus.

#3 -

Carsten Funke | Do., 13.01.2022 - 17:07
Was genau ist denn schädlich an der Aussetzung der Präsenzpflicht, wenn sie nur von wenigen Eltern genutzt wird?
Diese können ihre Kinder vor der infektionsträchtigen Schulumgebung schützen, alle anderen können ihre Kinder hinschicken. Klar wäre dann eine Distanzbeschulung, zumindest eine Unterstützung der Heimbeschulung durch die Schule sinnvoll, und die wird es nicht geben, aber irgendwas is' ja immer.

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