Direkt zum Inhalt

Intellektuelle Hilflosigkeit

Die Stellungnahme des Ethikrats zur Künstlichen Intelligenz legt das Innovationsproblem unserer Gesellschaft insgesamt offen.

Bild
Artikelbild: Intellektuelle Hilflosigkeit

Bild: Michael Schwarzenberger / Pixabay.

MANGELNDE GRÜNDLICHKEIT kann man dem Deutschen Ethikrat nicht vorwerfen. Beauftragt im Herbst 2020 vom damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble, hat das Gremium jetzt auf 287 Seiten seine Stellungnahme zum Verhältnis von "Mensch und Maschine" und zu den "Herausforderungen durch Künstliche Intelligenz" vorgelegt. Die "Chancen" kommen im Titel der vergangene Woche veröffentlichten Stellungnahme nicht vor.

In den zehn Kapiteln dafür schon, ausführlich sogar, und doch zieht sich ein warnender Unterton durch das Papier. "Künstliche Intelligenz darf den Menschen nicht ersetzen", das war denn auch der Satz der Ethikratvorsitzenden Alena Buyx, der nach der Präsentation des Papiers am häufigsten zitiert wurde. Buyx Stellvertreter Julian Nida-Rümelin erweiterte die Mahnung zu: "KI-Anwendungen können menschliche Intelligenz, Verantwortung und Bewertung nicht ersetzen."

Damit legen Statements und Stellungnahme das Innovationsproblem unserer Gesellschaft insgesamt offen. Bei der radikalen digitalen Transformation hält Deutschland bestenfalls noch in der Grundlagenforschung mit. Im Wettbewerb um die wirtschaftliche Verwertung nimmt die Bundesrepublik dagegen fast immer die Rolle des zögernd-kritischen Beobachters ein. Mit potenziell weitreichenden Wohlstandsverlusten für künftige Generationen, die auch einmal der Betrachtung durch den Ethikrat wert wären.

Fast schon wieder ein Anachronismus

Diese intellektuelle Hilflosigkeit ist auch dessen Stellungnahme anzumerken. Etwa wenn der Ethikrat ernsthaft eine europäische öffentlich-rechtliche Alternative zu Facebook & Co erörtert. Oder wenn KI in der Schule mit der Empfehlung versehen wird, die Tools sollten "kontrolliert und als ein Element innerhalb der Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden eingesetzt werden". Ein Satz, der angesichts der Dynamik, mit der die – natürlich aus den USA stammende – Technik ChatGPT gerade das Bildungssystem überrollt, schon wieder wie ein Anachronismus klingt.

Wenn wir als Gesellschaft den Einsatz von KI ethisch mitprägen wollen, müssten wir schon bei deren Schaffung und wirtschaftlichen Vermarktung vorn mit dabei sein. Was wiederum nur ginge, wenn wir eine grundsätzlich positive Haltung zu ihr entwickelten, Motto: Die Chancen sind groß. Und die Risiken beherrschbar. Leider hat hier die Stellungnahme des Ethikrats nicht wirklich geholfen.

Dieser Kommentar erschien heute in kürzerer Fassung auch in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.

Kommentare

#1 -

Udo Michallik | Mo., 27.03.2023 - 16:36
Vielen Dank Herr Wiarda,
eine aus meiner Sicht treffende Reflektion. Es kann ja viel gestritten werden, ob und wie und an wem wir uns orientieren sollen. In den letzten Jahren haben wir uns gesamtgesellschaftlich daran gewöhnt, dass ANGST für den Staat ein guter Steuerungsfaktor sein kann. Die meisten von uns haben angstgetrieben willig mitgemacht. In den USA, in Stanford und an der Arizona State University habe ich weiter Vorsicht im Umgang mit der Pandemie/Endemie erlebt, aber auch ein typisch amerikanisches Mindset. Ich verspürte etwas wie eine neue Aufbruchstimmung in der Wissenschaft, die uns KI beschert, ein neuer Geist Neues zu entdecken, wie es zur Zeit der Mondkampagne weltweit zu verspüren war. Die "New Space Initiative" an der ASU wird getrieben aus Forschung in Technology and Science, Klimawandel, Sicherung der natürlichen Ressourcen. Die jungen Leute brennen, um Teil dieser Entwicklung zu sein. Ich war überwältigt von dieser unbändigen Energie. Die Geschwindigkeit in der Technologieentwicklung wird gerade dort bestimmt, durch einen rasanten Strukturwandel. Wir philosophieren über die Gefahren und nicht die Chancen. Selbst der gerade moderne Slogan "First Generation College" wird als gesamtgesellschaftliche Chance gesehen, den Qualifikationspool zu verbreitern, weil er von den technologieorientierten Unternehmen dringend benötigt wird, will man sich nicht weiter von China abhängig machen. Ja, Bildungsgerechtigkeit ist auch dabei. Aber auch ganz viel vom traditionellen American Dream. Wovon träumen wir denn in Deutschland? Von der Wärmepumpe für alle, E-Auto für alle und Abitur für alle. Das scheint unser Anspruchsniveau zu sein. Ist das in einer neuen globalen Welt wettbewerbsfähig?

#2 -

Bernd Käpplinger | Mi., 29.03.2023 - 02:00
Wir sind halt weltweit für "German Angst" bekannt... Bei uns saßen die Menschen noch verpflichtend mit Masken in den Zügen während fast ganz Europa einen entspannteren Umgang mit der Pandemie schon gefunden hatte und im Flugzeug die Viren anscheinend nicht existent waren.
An dem Zitat aus dem Papier des Bildungsrates finde ich diesen Satz erstaunlich:
"Die vorgestellten Tools sollten deshalb im Bildungsprozess kontrolliert und als ein Element innerhalb der Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden eingesetzt werden."
Das wirkt wir eine typisch deutsche Kontrollphantasie! Als ob irgendeine Bildungseinrichtung heutzutage noch komplett den Einsatz digitaler Medien und ihren Einfluss auf Lehr-/Lernprozesse "kontrollieren" könne. Sorry, das ist komplett weltfremd. Aber in Deutschland brauchen wir halt KONTROLLE!

Neuen Kommentar hinzufügen

Ihr E-Mail Adresse (wird nicht veröffentlicht, aber für Rückfragen erforderlich)
Ich bin kein Roboter
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.

Vorherige Beiträge in dieser Kategorie


  • allgemeines Artikelbild - Der Wiarda Blog

Nach dem großen Knall

Sie hatten mit fast allen in der Wissenschaft geredet und monatelang gefeilt an ihrer WissZeitVG-Reform. Trotzdem ernteten BMBF und Ampelfraktionen mit ihrem Vorschlag einen Shitstorm. Jetzt ringen sie um die Schlussfolgerungen. DIE ERLEICHTERUNG, ein paar Tage Zeit gewonnen zu haben, müsse jetzt sehr schnell von...


  • Artikelbild: Gefangen in der Verhandlungsfalle

Gefangen in der Verhandlungsfalle

Es ist für viele Wissenschaftler in Deutschland verrückter Alltag: Sie haben auf große Teil der wissenschaftlichen Literatur keinen unmittelbaren Zugriff. Weil der Großverlag Elsevier sich seit Jahren in einem vertragslosen Zustand mit den meisten Hochschulen und Forschungsinstituten befindet. Und jetzt?


  • Artikelbild: Wir wollen keine normale medizinische Fakultät

Wir wollen keine normale medizinische Fakultät

Brandenburgs Landesregierung hat die Gründung einer Medizin-Universität beschlossen. Bezahlt wird größtenteils mit Kohlegeldern. Was die neue Hochschule einzigartig machen soll und was sie zu den Sorgen der anderen Hochschulen in Brandenburg sagt: Wissenschaftsministerin Manja Schüle im Interview.


Nachfolgende Beiträge in dieser Kategorie


  • allgemeines Artikelbild - Der Wiarda Blog

Fragen an die Senatsvorsitzende

Spesenskandal, Rücktrittsforderungen und Rechnungshof-Ermittlungen: Hildegard Müller muss als Chefin des Fraunhofer-Aufsichtsgremiums die Führungskrise um Reimund Neugebauer lösen. Als VDA-Präsidentin hat sie sich derweil festgelegt. Die Eröffnungsrede des wichtigsten VDA-Kongresses übernimmt: Reimund Neugebauer.


  • Artikelbild: Wir werden wieder für Debatten sorgen

Wir werden wieder für Debatten sorgen

Der SWK-Vorsitzende Olaf Köller über die Kritik an den wissenschaftlichen Empfehlungen zum Lehrermangel, die Reaktion der Kultusministerkonferenz und Stark-Watzingers Pläne einer "Taskforce Team Bildung".


  • Artikelbild: Mehr als ein Schaulaufen?

Mehr als ein Schaulaufen?

Das BMBF hatte zum öffentlichen Gespräch über die WissZeitVG-Reform eingeladen. Was hat die Runde gebracht? Und wie geht es jetzt weiter? Eine erste Einschätzung.