4 ist besser als 2
Drei Gründe, warum zwei Jahre Postdoc-Höchstbefristung verschiedene Nachteile und ganz sicher keinen Systemwechsel brächten. Ein Gastbeitrag von Anja Steinbeck.
Anja Steinbeck ist Rektorin der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, Vizepräsidentin der Hochschulrektorenkonferenz und Sprecherin der Mitgliedergruppe der Universitäten in der HRK.
Foto: HHU.
DIE HOFFNUNGEN, die mit der geplanten Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) verbunden wurden, gingen bisweilen weit über die Möglichkeiten des Gesetzes hinaus und waren daher überhöht. Ein Bundesgesetz, dass arbeitsrechtliche Befristungsmöglichkeiten regelt, ist nicht das richtige Werkzeug, um Karrieren in der Wissenschaft zu gestalten – schon gar nicht, wenn für wichtige institutionelle Rahmenbedingungen weitere Player verantwortlich sind: die Bundesländer, die Hochschulen und die außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Seit das BMBF im März Eckpunkte für eine Reform vorgelegt und innerhalb weniger Stunden wieder zurückgenommen hat, sind alle Beteiligten in der Realität angekommen. Damit möchte ich nicht sagen, dass das WissZeitVG nicht geeignet ist, eine Transformation anzustoßen oder zu flankieren, aber eine Reform des Befristungsrechts kann nicht mehr sein als ein erster Schritt, dem weitere Schritte folgen müssen.
Nun aber "zur Sache", die ich hier begrenzen möchte auf die Diskussion, ob Arbeitsverhältnisse in der Postdoc-Phase, die der Qualifizierung dienen, zwei Jahre oder vier Jahre sachgrundlos befristet werden sollten. In beiden Alternativen wäre eine weitere Befristung nur mit Anschlusszusage für den Fall der Erfüllung einer Zielvereinbarung erlaubt.
Um es vorweg zu sagen: Ich bin keine Freundin der Anschlusszusage in diesem Zusammenhang, weil sie in der Realität fast immer faktisch der Zusage einer Dauerstelle gleichkommt. Für jeden Postdoc muss eine konkrete Dauerstelle vorhanden sein, denn es ist ja nicht so, dass mehrere Postdocs eingestellt würden und nach Ablauf der Zielvereinbarung nur die/der Beste eine Dauerstelle erhielte.
Zwei Jahre wären in jedem Fall der falsche Weg,
vier Jahre sind eine tragfähige Lösung
Vielmehr zeigen unsere Erfahrungen, die wir mit Juniorprofessuren mit Tenure-Track gemacht haben, dass die Verstetigungsquote sehr hoch ist. Warum sollte sie bei fair gestalteten Zielvereinbarungen im Postdoc-Bereich niedriger ausfallen? Zumal die Ziele wohl eher weniger anspruchsvoll sein sollten, denn die Anschlusszusage bezieht sich nicht nicht auf eine W2- oder W3-Professur, sondern auf eine Dauerstelle als wissenschaftliche*r Mitarbeiter*in. Dass diese Ziele unter Umständen inhaltlich gar nicht mit der Weiterbefähigung zu Professur kompatibel sind, ist ein weiteres Problem.
Bleibt also die Frage: zwei oder vier Jahre Befristung ohne Anschlusszusage? Meine Antwort: Zwei Jahre wären in jedem Fall der falsche Weg, vier Jahre sind eine tragfähige Lösung. Dafür sprechen drei Gründe.
1. Die Zwei-Jahres-Lösung verliert den Sinn und Zweck der Postdoc-Phase völlig aus dem Blick. Mit der Promotion hat man seine Fähigkeit zum eigenständigen wissenschaftlichen Arbeiten, begleitet durch einen Betreuer oder eine Betreuerin, unter Beweis gestellt. Die anschließende Postdoc-Phase dient dazu, ein eigenes wissenschaftliches Profil zu entwickeln. Dieses Profil ist die Grundlage für die Bewerbung auf eine Juniorprofessur oder eine Professur. Erkennt man diesen Sinn und Zweck der Postdoc-Phase an, wird offensichtlich, dass zwei Jahre nicht genügen – insbesondere nicht in experimentellen Fächern. Auch die vier Jahre, die unser Vorschlag als Hochschulrektorenkonferenz waren und die jetzt im BMBF-Referentenentwurf stehen, sind knapp – aber eben ein Kompromiss, bei dem ich optimistisch bin, dass sie den Sinn der Postdoc-Phase noch erfüllen können.
Meines Erachtens wissen auch die Vertreter*innen der Zwei-Jahres-Lösung um ihre mangelnde Eignung zur wissenschaftlichen Profilbildung. Aber ihnen geht es gar nicht um eine sinnvoll gestaltete Postdoc-Phase, sondern darum, mit der WissZeitVG-Reform diese Phase sachwidrig so zu verkürzen, dass es zu einem "Kipppunkt für einen Systemwechsel" kommt. Die Erwartung ist, dass eine zweijährige Befristung so unattraktiv ist, dass die Hochschulen alle Postdocs gezwungenermaßen zunächst mit einer Zielvereinbarung und anschließend dauerhaft beschäftigen.
2. Der mit der Zwei-Jahres-Lösung erhoffte "Systemwechsel" wäre – wenn er eintreten würde – verhängnisvoll für die Wissenschaft. Warum die Aufregung, könnte man fragen. Es wäre doch möglich, das eigene wissenschaftliche Profil ab dem dritten Jahr auf einer Stelle mit Zielvereinbarung zu entwickeln. Dies würde allerdings dazu führen, dass (eine Übergangsfrist der neuen Regelung von zwei Jahren unterstellt und die Laufzeit der vierjährigen Zielvereinbarung eingerechnet) innerhalb von 8 bis neun Jahren alle Postdoc-Stellen dauerhaft besetzt wären.
Für kommende Postdocs würde erst Platz, wenn und soweit die Inhaber der Dauerstellen einen Ruf auf eine Professur erhielten oder die Wissenschaft – trotz Dauerstelle – verließen. Es ist eine durch nichts belegte und zudem eher unwahrscheinliche Prognose, dass Dauerstellen in größerem Umfang frei würden, weil deren Inhaber "innerhalb des Systems" wechseln. Zum einen wird es wohl eher selten vorkommen, dass jemand eine Mittelbaustelle für eine andere tauscht. Zum anderen werden für nachrückende Generationen keine Stellen frei, solange die Inhaber der Dauerstellen nur innerhalb des Systems wechseln.
Man kann ein solches "Generationenargument" immer wieder als "olle falsche Kamelle" bezeichnen. Richtig bleibt es trotzdem. Das haben auch einige Vertreter*innen von "#IchbinHanna" eingesehen und sich daher für Höchstgrenzen für befristete Arbeitsverhältnisse ausgesprochen. Das wäre aus meiner Sicht ein gangbarer Weg, wobei hier der Teufel im Detail steckt, da die Verhältnisse in den einzelnen Fachkulturen sehr unterschiedlich sind. Zudem ist das WissZeitVG hierfür nicht der richtige Ort.
3. Die zwangsläufige Folge: Das Zwei-Jahres-Modell wird – eben weil seine nachteiligen Wirkungen offensichtlich sind – den erhofften Systemwechsel nicht bringen. Die Universitäten werden nach zwei Jahren Befristung keine Zielvereinbarung mit Anschlusszusagen abschließen. Sie sehen sich in der Verantwortung, dafür Sorgen zu tragen, dass für jede Generation ausreichend Stellen vorhanden sind. Ausreichend Stellen, damit Promovierte sich entwickeln können –hin zu einer Professur oder zu einer Karriere neben der Professur, und zwar innerhalb wie außerhalb der Wissenschaft.
Kommentare
#1 - Eine der wenigen Einlassungen zur Sache, die sachlich…
#2 - Wie oft muss es eigentlich noch wiederholt werden? Das…
#3 - Es ist nur dann eine "Bevormundung", wenn es tatsächlich…
Und der Ärger fängt dann an, wenn man jemandem sagen muss "Für Sie gibt es keine Stelle mehr". Oder nur eine für acht Monate am anderen Ende der Republik. Dann wird die "freie Entscheidung" vergessen und, von Presse und Parteien unterstützt, eine Verpflichtung letztlich des Staats herbeigeredet, ihn/sie bis zum Rentenalter zu beschäftigen (ohne dass es eine freie Entscheidung der Institution dazu geben soll, ob das wissenschaftlich tatsächlich ein Gewinn ist).
#4 - Sehr geehrte Frau Steinbeck,meinen Sie das eigentlich…
meinen Sie das eigentlich ernst, wenn Sie schreiben:
"Man kann ein solches "Generationenargument" immer wieder als "olle falsche Kamelle" bezeichnen. Richtig bleibt es trotzdem. Das haben auch einige Vertreter*innen von "#IchbinHanna" eingesehen und sich daher für Höchstgrenzen für befristete Arbeitsverhältnisse ausgesprochen."
Wen meinen Sie denn mit "einige Vertreter*innen"? Sie bringen durch Ihren Beitrag zum Ausdruck, dass Sie keinen Milimeter auf die Anliegen der nun zweijährigen Bewegung #ichbinhanna zugehen! - Sie liefern kein einziges belegbares Argument, weshalb Befristung in dem aktuellen horrenden Ausmaß (91% der Wiss. Mitarbeitenden) für das deutsche Wissenschaftssystem gut sein solle, gar Vorteile bringe? Alle anderen Länder gehen einen anderen Weg.
Herr Wiarda, glauben Sie, dass uns die im Blog geführten Debatten über 6, 3+3, 4+2, 2+4, 1+1+1+1+1+1, 9-3 substanziell weiterbringen? Was sich zeigt, ist der sog. Zielkonflikt bzw. unterschiedliche Machtinteressen bei Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, die sich durch Wiederholung der Argumente für die jeweils eigene Position nicht auflösen. Auch wenn die Wissenschaftler:innen des Mittelbaus als Verstandesmenschen lange auf die Durchsetzung des besseren Arguments gehofft hatten, scheint mit diesem Statement von Frau Steinbeck und dem Referentenentwurf des Ministeriums die Zeit der Argumente abgelaufen zu sein.
Die befristeten Arbeitnehmer:innen müssen nun für ihre Rechte aufstehen. Betriebliche Organisation muss zunehmen, Arbeitskämpfe und politische Entscheidungen müssen die Dinge nun regeln. Die Gewerkschaften sollten, auch wenn sie nur wenige Mitglieder an den Universitäten haben, mit den 5-10% Organisierten ein Zeichen setzen, streiken und den anderen zurufen: "Schließt euch an!"
#5 - @IchbinHannaSie begreifen es einfach nicht. Es gibt kein…
Sie begreifen es einfach nicht. Es gibt kein Recht auf unbefristete Beschaeftigung, nur weil man schon einige Jahre im System ist. Woher sollte dieses Recht auf einmal kommen? Sie setzen sich durch im Konkurrenzkampf oder eben nicht. Und dieser Konkurrenzkampf ist notwendig. Wir brauchen keine 8 bis 4 Mentalitaet in der Wissenschaft.
#6 - @IchBinHanna:Ich glaube, dass es eine Frage der Fairness…
Ich glaube, dass es eine Frage der Fairness ist, verschiedene Perspektiven zu Wort kommen zu lassen. Und am Freitag waren die Befürworter von "2+4" an der Reihe.
Beste Grüße!
Ihr Jan-Martin Wiarda
#7 - Ach, diese Empirie-befreiten Beiträge von Menschen die…
Fangen wir mal an: Wuerde man im Text "Universitäten" durch "Stadtverwaltung Duisburg" und "Postdoc" durch "Referentin" ersetzen läse sich der Text schon ganz anders...tatsächlich, die Stadtverwaltung stellt jemanden ein und vielen gefällt der Job, ihre Anstellung wird verstetigt und niemand wird diesen wundervollen Arbeitspltaz jemals verlassen...dolles Ding: So läuft der öffentliche Dienst natuerlich nicht. Menschen kommen und gehen, Abteilungen verändern sich, manche bleiben bis zur Pension, andere gehen in die Wirtschaft etc-nur Unis will man das natuerlich auf Teufel komm' raus nicht zugestehen. "Stellt euch vor", ruft die Uni-Präsidentin, "wir gäben einem 34-jährigen Postdoc eine volle E-13-Stelle an der Uni Duesseldorf-die wird Postdoc doch im Leben nicht mehr her geben!". Und hier setzt die Empirie ein: Trotz aller Kritik gibt es bei jobs.ac.uk ganz viele Stellen in UK, in den nordischen Ländern gibt es ähnliche, kleinere, aber flexible Arbeitsmärkte. Da werden Stellen verstetigt, die Professur ist ein Beförderungstitel (Schock, Horror...kein "Lehrstuhl"!) und es gibt natuerlich auch Nachwuchs. Natuerlich haben diese Systems auch Schwächen-aber die hat heutzutage eben jedes akademische System in OECD-Ländern-das Scheinargument "wenn es in Deutschland keine Lehrstuehle gibt dann gehen die besten nach..." ja, wohin denn? Aber von mir aus, gestehen wir den "Besten" 5% zu, dass sie zwischen Stanford, Oxford & Heidelberg frei wählen können-und die anderen 95%? Eben, die sind eigentlich nach der Promotion "ausgelernt" und können problemlos fast alle Aufgaben in Forschung, Lehre, Verwaltung oder Wissenschaftskommunikation uebernehmen-man bildet sich eben weiter wie in anderen Sektoren auch. An alle diese Themen wollen Deutschland's Wissenschaftsgranden natuerlich nicht ran-zu gemuetlich ist der Lehrstuhl, zu einfach verfängt das Narrativ das Unis "natuerlich" ganz anders sind als der öffentlich Dienst-besonders die Uni Duesseldorf-und zu problemlos bekommt man "Nachwuchs" den man ohne grosse Probleme nach 6, 12 oder wie vielen Jahren aussortieren kann. Die Entfremdung vom Uni-Management sehen wir auch in fast allen Uni-Systemen-in verschiedenster Ausprägung-in USA mehr Kulturkampf oder Anti-Tenure-Rhethorik, in UK durch einen harten, teilweise unfairen Arbeitskampf und in Deutschland eben in der Ausprägung, dass das bestehende System verteidigt wird im Zweifelsfall auch ohne Empirie...
#8 - Eine Universität unterscheidet sich selbstverständlich…
Für eine (hoch)schulische Bildungseinrichtung ist es typisch, dass sich viele Schüler eine kürzere Zeit und wenige Lehrer eine längere Zeit dort aufhalten. Von den Schulen der Primar- und Sekundarstufe unterscheiden sich Universitäten allerdings dadurch, dass sie nicht nur der Lehre, sondern auch der Forschung dienen und keine so strikte Abgenzung zwischen Lehrern und Schülern kennen: Unter den wissenschaftlichen Mitarbeitern sind die zweifellos noch in Ausbildung befindlichen Doktoranden, und in der Lehre (und Forschung) wirken schon studentische Hilfskräfte mit. Hinsichtlich der Doktoranden und ggf. auch einem darüber eine gewisse Zeit hinausreichenden Postdoc-Erfahrungsgewinn gilt das auch für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Die entscheidende Frage ist nun, welches der richtige Zeitpunkt ist für die Grenze zwischen einer qualifizierenden Ausbildung Lernender und einem gewöhnlichen Weiterlernen (on the job) in einem permanenten Arbeitsverhältnis. Wenn die Forschungs- und Lehrtätigkeit, in manchen Fachgebieten vielleicht schon während der Promotionszeit, nicht mehr als Qualifikation für einen nennenswerten außerakademischen Arbeitsmarkt zu betrachten ist, sollte die Anzahl der Aus- bzw. noch etwas Weiterzubildenden wohl nicht wesentlich größer ausfallen als der akademische Personalbedarf. Dass den Aktivisten und Aktivistinnen die dann schon in einem früheren Stadium notwendigerweise striktere Bestenauslese gefallen würde, wage ich allerdings – auch auf Grundlage des letzten Gastbeitrages – zu bezweifeln.
#9 - Wenn es um die semantischen Verrenkungen geht warum die Uni…
#10 - @oh je. Sie schreiben: "Es gibt kein Recht auf unbefristete…
Doch gibt es: fast überall, nur nicht in der Wissenschaft. Es hat sich zudem herausgestellt, dass das aktuelle Sonderbefristungsrecht auf keiner argumentativ belastbaren Grundlage fußt. Wer es nicht abschafft, duldet einen ungebührlichen Eingriff in das Arbeitsrecht.
"Sie setzen sich durch im Konkurrenzkampf oder eben nicht. Und dieser Konkurrenzkampf ist notwendig. Wir brauchen keine 8 bis 4 Mentalitaet in der Wissenschaft."
Sie missverstehen das Wissenschaftssystem, indem Sie es einzig auf seine Qualifikations-/Auswahlfunktion reduzieren bzw. diese überbetonen. Wissenschaft ist keine Gladiatorendisziplin um burnoutresistente W3-Professor:innen zu generieren. Das System muss stattdessen leistungsfähig sein, um in der Breite nachhaltig qualitativ exzellente Studiengänge, Lehre und Forschung anbieten zu können, damit unser Land ein exzellentes Bildungs- und Fachkräfteniveau aufweist. Das geht nicht nur mit wenigen Professor:innen und lauter befristeten Doktorand:innen.
Ihr Beitrag ("Wir brauchen keine 8 bis 4 Mentalitaet in der Wissenschaft") spiegelt zudem eine überkommene Vorstellung von Arbeitskultur wieder: Selbstausbeutung, unbezahlte Mehrarbeit, (Aus-)Brennen für die Karriere, Mehrfachabhängigkeiten von Vorgesetzten, Befristungsdruck, Step up or out. Die Gesellschaft hat sich längst entschieden, achtsamer, gesünder, familienfreundlicher zu arbeiten. Eine toxische Arbeitskultur können sich die Universitäten heutzutage einfach nicht mehr leisten. Das sehen die Karrieredinosaurier, die aktuelle Führungspositionen bekleiden und unter diesen Bedingungen mit großen Entbehrungen ihre Positionen erkämpft haben, natürlich anders. Eine:n Postdoc:in einfach so entfristen? Womit hat er/sie sich das verdient? Ich musste ja auch immer noch abends und am Wochenende arbeiten und Leistung bringen, die mir niemand gezahlt hat. - Solche Führungspersonen sehen jedoch nicht, dass sie durch ihr eigenes selbstausbeuterisches Verhalten und unbezahlte Mehrarbeit erst alle anderen auch dazu gebracht haben, sich immer noch mehr anzustrengen. Und zwar soweit bis junge Wissenschaftler:innen Kinderwünsche zurückstellen, Partner- und Freundschaften durch Fernbeziehungen strapazieren oder aufgeben, Dauersingle sind, einen ungesunden Workaholic-Lifestyle entwickeln und sich viele hochgeeignete Menschen einfach keine Karriere in der Wissenschaft antun wollen. Womöglich haben also gerade die aktuellen Professor:innen die tatsächlich brilliantesten, klügsten Köpfe nicht etwa durch einen überlegenen Intellekt sondern schlichtweg durch selbstausbeuterischen Arbeitsfleiß aus dem System gedrängt. Nach dieser Logik sitzt aktuell das Mittelmaß auf den Professuren, nicht die intellektuelle Exzellenz.
Das deutsche Wissenschaftssystem, v. a. das Universitätssystem, wird sich ohne Hilfe von außen nicht von seiner toxischen Arbeitskultur befreien können. Seien Sie Initiativen wie #ichbinhanna dankbar, dass diese die arbeitsrechtlich miserablen Zustände anprangern.
#11 - Liebe Leserinnen und Leser,zur Erinnerung: Gepöbel…
zur Erinnerung: Gepöbel jeglicher Art wird in diesem Blog nicht freigeschaltet. Die Kommentare bei mir zeichnen sich meist durch einen wertschätzenden Ton aus – bei allen Diskussionen in der Sache. Dabei bleibt es bitte auch.
Beste Grüße
Ihr Jan-Martin Wiarda
#12 - »Einen normalen mehrjährigen Vertrag an einer normalen…
Was einen normalen Vertrag oder eine normale Uni kennzeichnen soll, weiß ich nicht. Vor dem Wechsel in meine aktuelle unbefristete Tätigkeit in der Bundesverwaltung war ich jedenfalls an einer (großen) staatlichen Universität in Deutschland fünfeinviertel Jahre lang als wiss. Mitarbeiter beschäftigt, etwa eineinhalb Jahre davon, nach meiner Doktorprüfung vor wenigen Jahren, als Postdoc mit voller Stelle. (Einen "mehrjährigen Vertrag" gab es, bei einer maximalen Länge von 18 Monaten, zugegebenermaßen nicht unter meinem halben Dutzend befristeter Arbeitsverträge.)
Aufgrund der Finanzierung durch DFG-Projektmittel hatte ich zwar keine formelle Lehrverpflichtung, aber ich war trotzdem in der Mehrzahl der Semester in der Lehre tätig: Unabhängig von der Art der Finanzierung wurden Lehrverpflichtungen am Institut im Ergebnis von den wiss. Mitarbeitern etwas solidarisch wahrgenommen, sodass meines Wissens auch auf Landesmittelstellen kein qualifizierungsbefristeter Doktorand (mit Stellen bis zu 75%) oder Postdoc mehr als eine Übungsgruppe oder Übungsleitung im Semester übernehmen musste. Aufgrund der, vermute ich, in der theoretischen Physik generell günstigeren Relation von Professoren zu Studenten und Doktoranden bzw. Mitarbeitern gab es zudem keine Notwendigkeit dafür, die Betreuung einer allzu großen Vielzahl von Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten hauptsächlich den befristet beschäftigten Doktoranden und Postdocs zu überlassen.
Während die Abgrenzung von Daueraufgaben nicht in jedem Fall trivial ist, scheint mir die »Verwaltung von Studiengängen« eindeutig dazuzugehören. Bei Drittmittelanträgen dürfte nichts gegen eine Beteiligung befristet Beschäftigter sprechen, die ihnen idealerweise einen gestaltenden Einfluss geben kann. Wenn aber der bürokratischen Aufwand überwiegend von den befristeten Kräften getragen wird, scheint es in der Tat zu wenige wissenschaftliche (oder wissenschaftsverwaltende) Dauerstellen zu geben.
Eine Dauer von 20 Jahren ab dem Schulabschluss ist sicherlich zu lang für eine Ausbildung, wobei aus meiner Sicht allerdings die Studien- und Promotionsdauer ebenfalls in den Blick zu nehmen sind. (Eine Befristungsregelung etwa, die auch bei schnellerem Abschluss der Promotion einfach an diesen Zeitpunkt anknüpft, würde möglicherweise ungünstige Anreize zur Ausdehnung der Promotionszeit auf das erlaubte Maximum schaffen.)
Eine zu kurze Qualifikationsphase – oder eine zu geringe Zahl befristeter Stellen – nähme dagegen vielen jungen Leuten die Möglichkeit, nützliche und interessante wissenschaftliche Erfahrungen zu machen und Kenntnisse zu erwerben, und würde sogar der Chancengleichheit und gerechten Bestenauslese bei der dauerhaften Besetzung anspruchsvoller wissenschaftlicher Arbeitsplätze im Wege stehen. Deswegen bin ich sehr an Ideen und konkreteren Vorschlägen für die Ausgestaltung der Auswahlverfahren und Entfristungskriterien bei zukünftigen Stellen mit Anschlusszusage interessiert.
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