Direkt zum Inhalt

Das große Strategieversprechen

Berlins Bildungssenatorin verspricht einen Paradigmenwechsel für mehr Bildungsqualität an den Schulen in der Hauptstadt. Der Plan ist ambitioniert. Ob er funktioniert, entscheidet sich im Alltag der Klassenzimmer.
Schultafel, auf der in Schreibschrift mit weisse rKreide das Wort Hoffnung steht.

Bild KI-generiert.

ES WAREN ungewohnt ambitionierte Töne, die da in einer Grundschule in Berlin-Hellersdorf erklangen. Das Ziel sei, in sieben oder zehn Jahren über die Schülerleistungen sagen zu können: "Auch Berlin hat sich von einem der letzten Plätze, ähnlich wie Hamburg, weit nach vorne gearbeitet – indem wir nicht mehr nach gefühlten Wahrheiten handeln, sondern datenbasiert, mit evidenzbasierten Maßnahmen gezielt unsere Schülerinnen und Schüler unterstützen."

Gesagt hat den Satz Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU), während vom Schulhof Kindergeschrei durch die offenen Fenster hineindrang. Die Gegenwart, sagte sie, sehe so aus: "Wir sind bundesweit Spitzenreiter, was den Schlüssel zwischen pädagogischem Personal und Schülerinnen und Schülern betrifft. Leider spiegelt sich das nicht in den Kompetenzen, in den Leistungen und den Abschlüssen der Berliner Schülerinnen und Schüler."

Tatsächlich liegt die Hauptstadt in Bildungsrankings überwiegend im letzten Drittel der Bundesländer, so zuletzt beim "Bildungsmonitor 2025", und beim IQB-Bildungstrend für Mathe und die Naturwissenschaften verfehlten fast durchgängig mehr Berliner Schüler die Mindeststandards als im Bundesschnitt. Zuletzt beschleunigte sich die Abwärtsbewegung bei den Schülerleistungen sogar noch.

Eine neue "Strategie zur Steigerung der Bildungsqualität" soll jetzt den Aufstieg bringen, Günther-Wünsch präsentierte sie am Donnerstagmittag in einem Klassenraum der Pusteblume-Grundschule inmitten einer Großraumsiedlung am Berliner Stadtrand. Vor ihr dicht gedrängt auf zu kleinen Schülerstühlen Dutzende Journalisten und Mitarbeiter der Berliner Bildungsverwaltung.

Mehr Daten, weniger Zufall

Die Strategie orientiere sich an drei miteinander verknüpften Handlungsfeldern: Es gehe um eine "verlässliche und datengestützte Qualitätsentwicklung", die "Stärkung der Unterrichtsqualität insbesondere in Deutsch und Mathe" und die "kooperative Verantwortung im Bildungs- und Sozialraum" zwischen Kita, Schulen, Jugendhilfe, Familien und weiteren Partnern vor Ort.

Konkret heißt das unter anderem: Ab Mitte 2027 müssen alle Kitas verpflichtend das neue Beobachtungs- und Dokumentationsinstrument BeoKiz einsetzen, was integriert in den Kita-Alltag die intellektuelle und motorische Entwicklung einschätzt. Für die Schulen beginnt parallel der schrittweise Aufbau durchgängiger digitaler Lernstandserhebungen. Die bundesweiten Vergleichsarbeiten VERA 3 und VERA 8 werden ab dem Schuljahr 2026/27 wie bisher verpflichtend durchgeführt und jeweils im Folgejahr durch eine Re-Testung ergänzt, um Lernentwicklungen genauer sichtbar zu machen. Ab 2027/28 kommt in den ersten Klassen digitale Diagnoseverfahren StarS („Stark in die Grundschule starten“) hinzu, das derzeit am Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) entwickelt wird. Ab 2028/29 soll StarS auch in den zweiten Klassen laufen. Für weitere Jahrgänge sollen darauf aufbauend zusätzliche digitale Verfahren zur Lernstandserfassung sukzessive entwickelt und eingeführt werden.

Bisher, sagte Günther-Wünsch, habe "Projektitis" das Handeln bestimmt: Jedes Mal, wenn es schlechte Ergebnisse gab, seien reaktiv immer neue Maßnahmen eingeführt worden. "Bisher hatten wir viele lose Enden und keinen roten Faden. Die neue Qualitätsstrategie soll genau diese losen Enden zusammenbinden." Klingt gut und zugleich ernüchternd – gesteht Günther-Wünsch doch damit die bisherige Strategielosigkeit der Berliner Schulpolitik ein.

Als sie das sagte, saß die Senatorin da, wo normalerweise die Lehrer sitzen, vorn bei der Tafel, neben ihr Norbert Maritzen, Vorsitzender des 2020 von der Senatsverwaltung eingesetzten Qualitätsbeirats für Bildung – und Hamburger. Was Günther-Wünsch gleich mehrfach betonte, denn die Hansestadt gilt bundesweit als Vorbild in der strategischen Schulentwicklung. Maritzen hatte an dieser Entwicklung einen gehörigen Anteil: Er leitete über viele Jahre das dortige Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung.

Warum Berlin nach Hamburg schaut

Von Hamburg siegen lernen, das versucht man in Berlin spätestens, seit Günther-Wünschs Vor-Vorgängerin Sandra Scheeres (SPD) eine Expertenkommission unter Vorsitz des renommierten Bildungsforschers Olaf Köller beauftragt hatte, das Berliner Bildungssystem zu durchleuchten und umfassende Reformvorschläge vorzulegen. Der im Oktober 2020 veröffentlichte Abschlussbericht der Köller-Kommission nannte die Hansestadt gleich mehrfach als Referenzrahmen und empfahl ein Berliner Landesinstitut nach Hamburger Vorbild – das "BLiQ" wurde dieses Jahr eröffnet. Auch bei der datengestützten Unterrichtsentwicklung hieß es: "Eine Orientierung am Hamburger Modell bietet sich an."

Als erste Maßnahme richtete Scheeres noch 2020 den Qualitätsbeirat ein, und es war logisch, dass mit Ex-Staatsrat Michael Voges ein Hamburger den Vorsitz übernahm. Inzwischen wurde der Hamburger Voges von dem Hamburger Maritzen abgelöst. Insofern ist das mit der von Günther-Wünsch beschriebenen bisherigen Strategielosigkeit nicht ganz fair, denn angefangen mit Scheeres lässt sich in den vergangenen fünf Jahren schon eine inhaltliche Linie erkennen.

Zugleich ist ernüchternd, wie lange es gedauert hat seit dem Abschlussbericht der Köller-Kommission, bis jetzt die Strategie präsentiert wurde. Günther-Wünsch, seit Mai 2023 im Amt, sagt, es habe so lange gedauert, weil es eben kein neuer Maßnahmenkatalog von Dutzenden Einzelmaßnahmen gewesen sei wie sonst, "wo jeder sagt: drei gehören in meinen Bereich und drei in deinen. Sondern es hat erst einmal gedauert, alle, die am Tisch saßen, auf ein gemeinsames Ziel zu einigen – und jedem klarzumachen, welchen Anteil zur Zielerreichung er eigentlich hat. Dann wurde identifiziert, was es an inhaltlichen und konzeptionellen Vorbereitungen braucht." Außerdem habe es rechtliche Vorarbeiten gegeben. "Mein Anspruch ist, es einmal ordentlich zu machen und nicht ständig reparieren oder ergänzen zu müssen."

Dazu gehören gesetzliche Voraussetzungen, die die Umsetzung der Strategie verbindlich machen und auch datenschutzrechtlich absichern sollen, und datengestützte Zielvereinbarungen im Schulvertrag zwischen Aufsicht und Schulen, die ab 2026/27 flächendeckend gelten sollen.

Beifall – und deutliche Warnungen

Wenn es dann wenigstens klappt. Norbert Maritzen verband sein Lob mit einer Mahnung: Die Kommission begrüße "ausdrücklich, dass jetzt kein weiterer Maßnahmenkatalog vorliegt, sondern eine konsistente, an prioritären Zielen orientierte, die wesentlichen Bildungsbereiche umfassende und inhaltlich klar strukturierte Strategie. Das ist ein Novum für Berlin – darf ich hier als Hamburger anmerken." Und weiter: "Nicht die Papiere entscheiden über die Ergebnisse, sondern die Implementierung entscheidet über Ergebnisse."

Wichtig sei, die Maßnahmen zur Erfassung von Kompetenzen wirklich verbindlich zu machen – und damit sofort zu beginnen, nicht erst, wenn irgendwann ein perfektes Modell existiere. Und damit Lehrkräfte und Schulen die Daten wirklich im Sinne der Schüler nutzen könnten, müssten die Ressourcen "dahin, wo sie die Schulen wirklich brauchen. Dazu gehört auch, dass die für datengestützte Schul- und Unterrichtsentwicklung notwendige Dateninfrastruktur verlässlich funktioniert."

Das umfasst laut Strategie die komplette Integration aller Leistungsdaten in LUSD und Schulportal, inklusive digitalem Klassenbuch, Schulversäumnisanzeige und einer Dashboard-Lösung für Lehrkräfte, Schulleitungen und Schulaufsicht. Bisher verblieben Testergebnisse oft bei den Lehrkräften.

Schließlich sprach Maritzen über "das Management der Veränderung": Er erinnere sich an die Phase, "als wir in Hamburg den Turnaround versucht haben. Die Strategie braucht in der Umsetzung ein ausgewogenes Verhältnis von Beteiligung – also der Nutzung des Potenzials auf Funktions- und Schulebene – und klarer Führung. Es braucht ein Commitment des Führungspersonals zur Durchsetzung der Implementationsziele. Das muss deutlich werden und entsprechend genutzt werden." Klar müsse sein: "Die Loyalität darf nicht der Komfortzone des Personals gelten, sondern den Entwicklungsbedingungen, die die Kinder und Jugendlichen haben."

Wo die Strategie schon Realität ist

Passenderweise saß neben Maritzen die Gastgeberin: Ute Winterberg, Leiterin der Pusteblume-Grundschule und ebenfalls Mitglied im Qualitätsbeirat. Sie sagte, mit ihrem Kollegium habe sie den notwendigen Haltungswechsel bereits vollziehen können – weg von den additiven Einzelmaßnahmen hin zu einer systematischen, verbindlichen und datenbasierten Qualitätsentwicklung. Ihre Schule arbeite schon länger so, berichtete sie: "Die Fachkonferenzen analysieren die Leistungsdaten, formulieren Hypothesen zur Unterrichtsqualität, leiten Maßnahmen ab – und überprüfen die Wirkung." Das sei "nicht trivial", brauche Zeit und den Willen zur Veränderung, aber erste Erfolge zeigten sich bereits. Und dann ihr pädagogisches Credo: "Passt die Schule nicht zu den Schülern, muss die Schule sich verändern."

Die Pusteblume ist eine Inklusionsschule und wird durch das bundesweite Startchancen-Programm gefördert, das die Senatorin als einen Hebel für die Veränderung nannte. Ob das durchgängige Monitoring von Lernständen, die verbindliche Nutzung wirksamer Förderinstrumente wie Lese- und Mathebänder oder die sozialraumorientierte Netzwerkarbeit nach Startchancen-Logik: Trotz allem gibt es in Berlin schon viele Schulen, die so arbeiten, und denen die Strategie Auftrieb geben wird.

Und die nächste Generation an Lehrkräften ist auf dem Weg: Parallel zur Pressekonferenz liefen im Pusteblume-Untergeschoss Staatsexamens-Prüfungen, verkündeten Schilder am Eingang.

Doch selbst mit einer Strategie, die erstmals den ganzen Bildungsweg von der Kita bis zum Schulabschluss umfasst, bleiben Fragen. Lassen sich Kollegien in ganz Berlin tatsächlich zu einem solchen Aufbruch motivieren? Wie überwindet man die immer noch verbreiteten Vorbehalte gegenüber der systematischen Nutzung von Daten in der Unterrichtsentwicklung? Und selbst wenn das gelingt: Ist die Bildungsverwaltung quantitativ überhaupt in der Lage, in kurzer Zeit all die notwendigen Fortbildungen, Beratungsangebote und Unterstützungsstrukturen bereitzustellen, die der Wandel verlangt? Es ist, wie Norbert Maritzen sagt: "Das neu gegründete Landesinstitut Qualifizierung und Qualitätsentwicklung (BLiQ) spiele dabei eine Schlüsselrolle."

Und was wird aus dem Qualitätsprozess, falls Günther-Wünsch nach der Abgeordnetenhauswahl 2026 ihr Amt abgeben muss? Die Senatorin gab sich auf Nachfrage ungerührt: "Ich trete nicht an, um nach dem 29.9. nicht mehr da zu sein. Aber selbst wenn sich die Hausspitze ändert: Alle Akteure stehen hinter der Strategie – Schulaufsichten, Schulleitungsverbände, Qualitätsbeirat. Die Qualitätsstrategie läuft an und wird umgesetzt."

Ein Optimismus, der ansteckend wirkt – und doch erst den Praxistest an über 900 Berliner Schulen bestehen muss. JMW.

Neuen Kommentar hinzufügen

Ihr E-Mail Adresse (wird nicht veröffentlicht, aber für Rückfragen erforderlich)
Ich bin kein Roboter
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.