Unter Generalverdacht
Ministerpräsident Söder kämpft gegen "Genderstrafzettel" an bayerischen Hochschulen. Nur dass es für deren Existenz gar keine Belege gibt, wie das Wissenschaftsministerium auf Nachfrage einräumt.
Symbolfoto: Filmbetrachter / Pixabay.
MARKUS SÖDER war mal wieder nach einer kernigen Ansage zumute. In der Augsburger Allgemeinen warnte Bayerns CSU-Ministerpräsident vor einem "Gendergesetz oder Genderstrafzettel". Speziell die Situation an den Hochschulen sorgt ihn offenbar: "Es kann nicht sein, dass Studenten möglicherweise eine schlechtere Bewertung bekommen, nur weil sie keine Gendersternchen verwenden." Weshalb er Wissenschaftsminister Bernd Sibler (ebenfalls CSU) jetzt gebeten habe, "zu überprüfen, was es da so alles gibt."
Mit dem "so alles" meint Söder vor allem die Sprachleitfäden, die an vielen Hochschulen existieren und die, wie es zum Beispiel in der Version der Universität Regensburg heißt, dazu auffordern, gendergerechte Sprache "verstärkt zu verwenden". Zum Beispiel, indem es "Lehrende" statt "Lehrer" heißt oder "Bewerber*innen" statt "Bewerber".
Wissenschaftsminister Sibler teilte umgehend mit, er habe die Hochschulen darauf hingewiesen, dass ihre Leitfäden allenfalls Empfehlungen enthalten dürften. Daraufhin sollten sie ihre Leitfäden nun überprüfen.
Ohne Zweifel: Gendergerechte Sprache ist immer gut für eine Debatte. Worte prägten unser Denken, argumentieren ihre Befürworter. Es geht ihnen darum, alle Menschen in und durch Sprache sichtbar und hörbar zu machen – als Voraussetzung für mehr Chancengleichheit und Gleichberechtigung. Kritiker erleben solche Versuche als Verhunzung des Deutschen, sie sprechen von Wortungetümen, von Verstößen gegen Orthographie und Grammatik.
Ebenfalls ohne Zweifel: Eine Pflicht zum Gendern – und Punktabzug bei ihrer Nichtbeachtung – darf und kann es an den Hochschulen nicht geben. Weder offiziell verordnet noch informell über sozialen Druck durchgesetzt.
Die entscheidende Frage aber lautet: Was ist der Anlass für Söders Vorstoß gerade jetzt? Hat er konkrete Belege für schlechtere Bewertungen? Und wenn auch Sibler betont, die Inhalte der Leitfäden dürften "grundsätzlich nicht zu einer Benachteiligung der Studentinnen und Studenten bei der Bewertung" führen – bezieht er sich auf aktuelle Beispiele, dass dies tatsächlich passiert?
"Keine konkreten Fälle gemeldet"
Das Wissenschaftsministerium teilt auf Nachfrage mit, es seien ihm bisher "keine konkreten Fälle von schlechterer Benotung aufgrund des Nichtverwendens von gegenderter Sprache gemeldet worden".
Was zu den Berichten aus den Hochschulen passt. So versichert auch Regensburg Unipräsident Udo Hebel, der dortige Leitfaden sei "kein Zwang, sondern empfiehlt gendergerechte Sprache als Zeichen des Respekts vor allen Menschen." Auch ihm seien keine Fälle von Benachteiligung von Studierenden bekannt. Übrigens existiert der Regensburger Leitfaden (mit Überarbeitung 2019) bereits seit 2012.
Bayerns größte Hochschule, die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), wiederum hat noch nicht einmal von der Hochschulleitung verabschiedete Richtlinien, sondern lediglich aus dem Jahr 2011 stammende Empfehlungen der Frauenbeauftragten.
Ministeriumssprecherin Kathrin Gallitz sagt indes, es sei aus Studierendenkreisen immer wieder die Sorge zu hören gewesen, "dass der Inhalt der Leitfäden irrtümlich auf das Prüfungsgeschehen übertragen werden könnte und eine schlechtere Bewertung erfolgt, weil die Prüflinge beim Ablegen einer Prüfung die Inhalte der Leitfäden nicht beachten." Weshalb sich Minister Sibler zu einer "Sensibilisierung" entschlossen habe.
Eine auffällige Diskrepanz zu der Aussage Söders, er habe die Überprüfung veranlasst. Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass letzterer einfach mal wieder Lust hatte, eine Genderdebatte anzuzetteln. Vielleicht glaubte er ja, wenige Tage vor der Bundestagswahl so ein paar zusätzliche Stimmen für die CSU zu generieren. Wobei jene, die ihm zustimmen, vermutlich ohnehin zur Stammwählerschaft gehören. Der Preis ist, dass Söder die bayerischen Hochschulen unter einen Generalverdacht stellt.
Seinem Wissenschaftsminister ist die ganze Sache insofern merklich unangenehm. Sein Statement zur angeordneten Überprüfung beendete Sibler mit einem Hoch auf die Leitfäden. Die seien ein wichtiger Beitrag, "Vielfalt, Toleranz und Respekt auf dem Campus und auch außerhalb zu leben". Die Hochschulen "als Orte des Miteinanders und der Chancengleichheit sensibilisieren mit ihren Sprach-Leitfäden für einen respektvollen Umgang miteinander. Das halte ich für wichtig."
Dieser Kommentar erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
Kommentare
#1 - "Ebenfalls ohne Zweifel: Eine Pflicht zum Gendern – und…
#2 - Wäre es nicht viel wichtiger, mal bei der oft falschen…
Dozent begegnet. Da wäre oft eine Absenkung der Noten
erforderlich und vielleicht hilfreich.
#3 - Ich muss Working Mum (und auch Gernot Lausick)…
Die Forderung "Eine Pflicht zum Gendern – und Punktabzug bei ihrer Nichtbeachtung – darf und kann es an den Hochschulen nicht geben." ist mir in dieser Formulierung zu absolut.
Gerade Hochschulen müssen doch die Freiheit haben, Sprache neu zu denken - und den Anspruch, dass Studierende fachlich und orthografisch/grammatikalisch korrekt schreiben.
Dabei geht es mir gar nicht primär um Gendergerechtigkeit, sondern um's Prinzip. Hochschulen definieren und vermitteln Fachsprachen, und die Vermittlung dieser gemeinsamen Sprache ist essentieller Bestandteil einer wissenschaftlichen Ausbildung.
Und diese Sprache ist nicht nur ein Medium der Kommunikation, sondern auch der Reflektion. Wenn Wissenschaftler:innen sich sprachlich nach dem etablierten Sprachgebrauch richten müssten, wäre es schwieriger, neue Gedanken zu denken.
Ein Hineinregieren in das, was an Hochschulen als richtig und falsch gelehrt wird, halte ich deshalb für schädlich für Wissenschaft und Gesellschaft.
#4 - Meines Wissens können nach der Rechtsprechung Defizite in…
#5 - Der Kern des Beitrags schien mir ein anderer zu sein:…
#6 - Meine Anmerkung bezog sich auf das meiner Meinung nach viel…
doch gar nicht um Notenabzüge, sondern um die Fähigkeit,
sich vernünftig zu äußern. Diese Genderitis ist doch nur ein Scheingefecht.
#7 - ... gegen eine Pflicht."Meines Wissens können nach der…
"Meines Wissens können nach der Rechtsprechung Defizite in Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik keinen Notenabzug rechtfertigen, solange das Geschriebene noch verständlich ist."
Ich glaube auch, dass ein solcher Notenabzug ernste Probleme im Hinblick auf die europäische Freizügigkeit und Diskriminierungstatbestände schaffen würde. Gehörlose Menschen haben z.B. regelmäßig Schwierigkeiten mit den Fällen im Deutschen, so es eben zu missverständlichen Formulierungen kommen kann.
Wegen des Genderns (ich hoffe, das war jetzt der korrekte Genitiv ...): Ich würde mich gegen eine Pflicht aussprechen, gerade weil es so erfreulich ist, zu sehen, dass Studierende es machen wollen - was ich so interpretiere, dass es einen echten Bewusstseinswandel in die richtige Richtung gibt. Statt einer Pflicht führen eher Diskussionen in der Studierendenschaft dazu, dass es sich mittelfristig durchsetzt (z.B. bei der gemeinsamen Erstellung von Hausarbeiten). Lehrende können da nur Empfehlungen geben & auch in dieser Hinsicht ist die Wissenschaftsfreiheit des Einzelnen zu respektieren. Das Gendern ist nunmal nicht das Gleiche wie Infektionsschutzmaßnahmen: Die Konsequenzen für die Gesellschaft sind nicht so gravierend, wenn es ein bisschen länger dauert, bis es sich durchsetzt.
#8 - Gendern ist unnötig, unlogisch und unschön. Das…
Dass gerade die Wissenschaft diese Mode treibt, erstaunt eigentlich. Der Druck auf Studenten und Wissenschaftler, sich diesem Trend anzupassen, wird natürlich nicht offen und direkt erfolgen, sondern mit moralisierenden Argumenten, die unterstellen, man sei "gegen Gleichberechtigung", "unsensibel" oder gar "rechts".
Insofern begrüße ich jede öffentliche Äußerung der Politik, die dieser Sprachverunstaltung entgegentritt.
#9 - "Der Druck auf Studenten und Wissenschaftler, sich diesem…
Nicht jedes Argument ist gleich "Druck". Die Hochschulen sind hier wieder einmal Impulsgeber und haben eine gesellschaftliche Diskussion angestoßen, die sich mit der Frage befasst, warum wir am generischen Maskulinum festhalten, wenn sich die Gesellschaft doch ändert. Diejenigen, die das generische Maskulinum vertreten, müssen sich schon die Frage gefallen lassen, warum sie das tun. Ein naheliegender Grund ist, dass sie sich bislang ausreichend repräsentiert gefühlt haben und sich gegen die sprachliche Inklusion der ganzen Bevölkerung aussprechen, weil sie ihre eigene, hegemoniale Rolle in der Gesellschaft bedroht sehen. Markus Söder steht regelrecht sinnbildlich genau dafür, weswegen es nicht so überraschend ist, dass gerade er diese Scheingefechte führt.
#10 - "sich gegen die sprachliche Inklusion der ganzen…
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass die Nutzung des generischen Maskulinums wegen seiner generischen Natur automatisch (!) Menschen allen Geschlechts inkludiert. Da gibt es nichts zu entschuldigen.
#11 - Sonderbar, dass die Diskussion immer nur in eine Richtung…
#12 - Die Mehrheit der Leserschaft von "bild der wissenschaft"…
#13 - an Ekkehard Thümler: Ja, das passiert. Mir ist…
Selbst die Frauenbeauftragte konnte in diesem Fall nicht helfen.
Zum Artikel selbst: Ich bin froh dass jemand darauf hinweist, dass es eine Scheindebatte ist. Denn de facto konnten bisher keine nennenswerten Belege dafür vorgetragen werden, dass Studierende tatsächlich abgestraft werden wenn sie nicht gendern. Ich vermute eher dass es die Angst von einigen RCDS-lern ist, die ihre Sorgen an die CDU/CSU geben, ohne konkrete Sachverhalte darstellen zu können.
In bestimmten Kontexten finde ich persönlich das generische Maskulinum jedoch dermaßen ungeeignet, dass man diese Verwendung schon fast als fachlich ungeeignet einstufen müsste.
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