Was heißt hier 3,5 Prozent?
Die grüne Spitzenkandidatin in Berlin soll Wissenschaftssenatorin werden, der neue Senat will den Hochschulen weiter 3,5 Prozent im Jahr zusätzlich gönnen. Erleichterung für die Hochschulen – die auch im Bund künftig jedes Jahr garantiert mehr bekommen sollen? Leider nur auf den ersten Blick.
AM WAHLABEND ENDE SEPTEMBER sah es kurzzeitig so aus, als könnte die grüne Spitzenkandidatin in Berlin, Bettina Jarasch, Regierende Bürgermeisterin werden. Jetzt soll sie zumindest ein Amt von Michael Müller übernehmen: Sie werde Wissenschaftssenatorin, berichtete zuerst die Berliner Morgenpost, inzwischen bestätigten dies Verhandlungskreise. Auch "Gesundheit" gehört künftig zu dem Groß-Ressort.
Schön für die Wissenschaft: Um dieses Politikfeld reißt sich also weiter das Spitzenpersonal der Parteien. Auch dürfte es für die Berliner Universitäten, gebeutelt wie sie bereits sind durch die Debatte ums (auch von den Grünen verantwortete) neue Hochschulgesetz, eine Erleichterung sein, wenn kein Linker Senator für Wissenschaft wird. In der neuen Legislaturperiode steht die Verteidigung ihrer gemeinsamen "Berlin University Alliance" in der Exzellenzstrategie an, und es wäre kaum vorstellbar gewesen, dass ein Tobias Schulze oder ein Klaus Lederer vor den Begutachtern und an der Seite der Unipräsidenten enthusiastisch weitere Exzellenz-Unterstützung durch die Landespolitik gelobt. Obwohl genau das im Wettbewerb unverzichtbar ist.
Nur eine Randnotiz in dem Zusammenhang, die aber viel aussagt: Das Schulressort haben die drei Parteien wie eine heiße Kartoffel herumgereicht – so, wie es so häufig passiert bei der Regierungsbildung in den Ländern. Und wie es leider sehr viel aussagt über den Zustand der Schulen, ihre Priorisierung in der Politik und deren Lust, sich ihrer Verantwortung für ein Politikfeld zu stellen, das so viel Geld kostet und doch meist nur Ärger einbringt. Dass jetzt die engagierte und kenntnisreiche SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasic in Berlin den Job bekommen soll, ist immerhin ein Lichtblick.
Zurück zu den Hochschulen. Rot-rot-grün hat wie erwartet beschlossen, deren Budgets auch künftig um 3,5 Prozent pro Jahr zu erhöhen. Was vor fünf Jahren noch bemerkenswert, mutig und bundesweit eine Seltenheit war, bringt diesmal kaum noch eine Schlagzeile. Weil Müller und sein früherer Staatssekretär Steffen Krach (SPD) die Verlängerung des jährlichen 3,5 Prozent-Zuwachses schon vor der Wahl und bis 2027 im Haushalt "verankert" hatten. Das war zwar mehr symbolisch, führt aber dazu, dass die Reaktion auf den neuen Koalitionsvertrag an der Stelle jetzt lautet: Das war ja auch das Mindeste.
Berliner Hochschulen: 60 Millionen Euro mehr, Harvard: 12 Milliarden Dollar – beides pro Jahr
Und tatsächlich: Das ist es auch. Nicht nur weil die 3,5 Prozent zum Beispiel im Jahr 2023 gerade mal gut 60 Millionen Euro extra für ALLE Berliner Hochschulen bedeuten (das Vermögen der Harvard-Universität allein wuchs dieses Jahr um 12 Milliarden Dollar). Sondern weil 3,5 Prozent viel sind, wenn die Inflation bei einem Prozent liegt. Und komplett unzureichend, wenn die Geldentwertung wie gegenwärtig gegen sechs Prozent geht und nächstes Jahr laut Bundesbank deutlich über drei Prozent liegen dürfte. Was auf Gehaltssteigerungen auch fürs Hochschulpersonal von vier, fünf Prozent und mehr hinauslaufen könnte.
Hält man sich diese Zahlen vor Augen, verliert auch ein Kernbestandteil des Ampel-Koalitionsvertrages auf Bundesebene seinen Glanz: Endlich sollen die Hochschulen bei der Bundesfinanzierung "auf Augenhöhe" mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen von Max Planck bis Helmholtz gebracht werden und wohl schon von 2022 an wie diese jedes Jahr drei Prozent mehr erhalten – über den Zukunftsvertrag, der allerdings nur einen kleineren Teil des hochschulischen Gesamtbudgets ausmacht.
Die drei Prozent klangen mal richtig gut. Und sie tun es immer noch, solange man nicht, siehe oben, die Inflation mitdenkt. Wenn jetzt noch ein Corona-Lockdown kommt und entsprechend Hilfsgelder die Wirtschaft fluten, könnte deren Tempo sogar weiter anziehen. Und dann geschähe etwas Bizarres: Die drei Prozent mehr im Bund, die 3,5 Prozent mehr in Berlin (anderswo sind es je nach Bundesland sogar bis zu vier Prozent) – die Garantie, dass sie über Jahre so gezahlt werden – wären auf einmal eine Garantie zu langfristigen und realen Haushaltseinbußen.
Gut möglich, dass bald der Druck auf die neue Bundesregierung, auf den neuen Berliner Senat und andere Landesregierungen, steigen wird, hier nachzubessern. Nur dass dann die Haushalte knapp sein werden wie seit vielen Jahren nicht mehr.
Nachtrag am 13. Dezember:
Es war eine interessante Rochade. Nachdem parteiintern bei den Berliner Grünen bereits feststand, dass Bettina Jarasch Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung werden sollte, kam eine Woche später der Turnaround. Sie wird es doch nicht – sondern übernimmt das aus Sicht der Grünen offenbar dann doch noch wichtigere Ressort – das für Verkehr. Von der Signalwirkung her ist das bedauerlich. Jarasch zauberte bei der Vorstellung der künftigen Senatsmitglieder Ulrike Gote aus dem Hut: Diese soll jetzt das Wissenschafts- und Gesundheitsressort leiten. Seit 2019 war die 56-Jährige Dezernentin der Stadt Kassel für Jugend, Frauen, Gesundheit und Bildung, davor fünf Jahre lang Vizepräsidentin des Bayerischen Landtages. In Berlin ist sie bislang eine Unbekannte.
Kommentare
#1 - der Vergleich mit Harvard ist nicht ganz fair und auch…
Wenn Vergleiche mit amerikanischen Unis, dann vielleicht mit Ohio State University. Diese Uni ist nicht so spektakulär wie üblichen Verdächtigen, der finanzielle Vergleich aber dann doch ähnlich ernüchternd.
#2 - Zu Klaus Diepolds Kritik an den Harvard-Vergleich: Zumal…
#3 - naja so ganz stimmt das beides nicht - auch nicht das von…
#4 - Hier ein Artikel, der den aktuelle…
Zitat:
"Wie aus dem am Donnerstag (Ortszeit) veröffentlichten Jahresfinanzbericht hervorgeht, erhöhte die renommierte Hochschule im US-Bundesstaat Massachusetts ihr Vermögen binnen eines Jahres um 27 Prozent... Der sogenannte Reservefonds stieg den Angaben zufolge bis zum Ende des Haushaltsjahres im Juni um 27 Prozent auf 53,2 Milliarden Dollar. Zudem erhielt Harvard 465 Millionen Dollar an Spenden für den Reservefonds."
>>> 27 Prozent Wachstum des Reservefonds: 11,31 Milliarden. Plus 0,465 Milliarden Spenden ergibt Vermögenszuwachs um 11,78 Milliarden.
Viele Grüße!
#5 - Der Vergleich mit einem andersartigen Finanzierungsmodell…
Dagegen ist eine unkritische Betrachtung des BUA-Vorhabens für so einen gut informierten Autor erstaunlich. Nach zwei Jahren des Verbundes hängen seine Schwierigkeiten mit Sicherheit nicht an der mangelnden finanziellen und verbalen Unterstützung der Landespolitik.
#6 - @Larissa Klinzing: Point taken. Dazu habe ich hier nichts…
https://www.jmwiarda.de/2021/11/04/ich-bin-ein-eher-zurückhaltender-typ/
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