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Geld gegen Governance

Der Wissenschaftsrat macht klare Vorgaben für die Zukunft der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur: Dauerhafte Förderung soll es nur geben, wenn Struktur und Steuerung umgebaut werden.
Screenshot Ausschnitt Startseite der Nationalen Datenforschung Infrastruktur

Screenshot von der Startseite der Nationalen Forschungsdaten Infrastruktur-Website (Ausschnitt), Stand: 14.07.2025.

WENN DER WISSENSCHAFTSRAT Kritik formuliert, tut er das nie mit dem Holzhammer, sondern stets mit feinem Meißel. Gelegentlich so fein, dass die eigentliche Aussage zwischen den diplomatischen Floskeln zu verschwimmen droht. Wenn das wichtigste Beratungsgremium von Bund und Ländern sich in seiner am Montag veröffentlichten "Strukturevaluation der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur" kaum mit Nettigkeiten aufhält, sondern unverhohlen eine Grundsatzreform fordert, dann kann man daraus ablesen, für wie dringend diese erachtet wird.

Die Gründung der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur, kurz NFDI, sollte mit einem Missstand Schluss machen: Verblieben einmal erhobene Forschungsdaten vorher verstreut an den einzelnen Hochschulen und Forschungsinstituten, für Dritte kaum auffindbar und noch seltener nutzbar, formte die NFDI seit 2019 ein deutschlandweites Netzwerk, das Forschungsdaten disziplinübergreifend auffindbar, zugänglich, verknüpfbar und dauerhaft nutzbar machen soll.

In aktuell 26 fachlich spezialisierten Konsortien entwickeln Wissenschaftler gemeinsam Standards, Dienste und Werkzeuge für ein besseres Forschungsdatenmanagement – von Chemie über Soziologie bis zur Informatik. Dazu kommt als Nummer 27 der "Base4NFDI" genannte Konsortienverbund, der Basisdienste für die gesamte NFDI bereitstellt. Finanziert wird das Ganze mit bis zu 90 Millionen Euro pro Jahr von Bund und Ländern, koordiniert vom NFDI-Verein in Karlsruhe, das wissenschaftsgeleitete Auswahlverfahren verantwortet von der DFG – und jetzt evaluiert vom Wissenschaftsrat.

"Bottom-up" war gestern?

Und der sagt nun: So, wie die NFDI derzeit aufgebaut ist, kann sie langfristig nicht funktionieren. Der bisherige "Bottom-up-Ansatz" habe sich überlebt. "Bottom-up" bedeutet, dass sich bislang Nutzer und Anbieter eigeninitiativ zu fachlichen Bewerbungsgemeinschaften zusammenschließen und sich um die Förderung als Konsortien bewerben konnten, die dann wiederum von ihren einzelnen Mitgliedern aus Hochschulen, Forschungsinstituten, Akademien, Bibliotheken oder Datenzentren gemeinsam getragen wurden.

Dieser Ansatz sei zunächst zielführend gewesen, befindet der Wissenschaftsrat, um die unterschiedlichen Bedarfe der Fach-Communities zu adressieren. "Während diese offene Struktur eine breite Partizipation ermöglicht hat, erschwert sie jedoch auf lange Sicht die Entwicklung einer kohärenten Infrastruktur mit einer stringenten Gesamtarchitektur." Die Gremienstruktur der NFDI und ihrer Vereinsorgane sei "hochgradig komplex", sie erschwere die Kommunikationsströme und Entscheidungsstrukturen "sowie eine effiziente Koordinierung".

Die Schlussfolgerung der Experten: Die Governance der NFDI muss völlig neu aufgestellt werden. Mit weniger Mitspracherechten in der Breite und mehr Steuerung durch die Zentrale. Der NFDI-Verein soll – mit erweiterter Mittelausstattung – direkt als zentraler Träger, Verantwortlicher und damit Empfänger der gesamten öffentlichen Förderung fungieren. Ein dreiköpfiges Präsidium soll den Verein künftig leiten, die Aktivitäten sollen aus der Vielzahl der Konsortien in fachliche Bereiche überführt und dort mit dauerhaftem Personal unterlegt werden. Ein begleitendes Innovationsprogramm soll offen bleiben für neue Akteure und Ideen. 

Die Empfehlung, auf die in den Konsortien alle gewartet hatten: dass die bislang bis 2028 befristete Förderung der NFDI auf Dauer gestellt wird. Das sollte sie tatsächlich, fordert nun der Wissenschaftsrat – und macht zugleich die Grundsatzreform der NFDI unverhohlen zur Bedingung. Eine Zukunft auf Dauer gegen eine Governance mit Zukunft.

Denn bislang habe der Aufbau der NFDI-Dienste "unter unsicherer Ressourcenlage" und unter der Prämisse stattgefunden, dass die Bereitstellung von Rechen- und Speicherleistung von der freiwilligen Mitwirkung und der Unterstützungsbereitschaft strategisch selbstständiger Akteure abhingen. "Dies hat eine indirekte Steuerwirkung auf den Aufbau der Infrastruktur und schafft Anreize, mit Mitteln der NFDI eher bestehende Dienste auszubauen." Mit befristetem Geld tendenziell Bestehendes finanzieren, weil man Angst vor neuen Strukturen hatte, deren Betrieb man später womöglich selbst hätte weiterfinanzieren müssen: Das war bislang laut Wissenschaftsrat die Crux.

Entsprechend wird auch zwischen der Finanzierung in der Transitionsphase und dann in der Zeit nach Implementierung der neuen Strukturen unterschieden. Dann, so die Empfehlung, sollen Bund und Länder "dem NFDI-Verein ergänzend zur bisherigen jährlichen Mittelausstattung zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen, um insbesondere den dauerhaften Betrieb von Diensten und den Aufbau der neuen Vereinsstrukturen zu ermöglichen. Dies schließt auch Mittel für die Bereitstellung oder Beauftragung von Rechen-, Speicher- und Langzeitarchivierungs-Dienstleistungen ein."

"Neue Anforderungen und Komplexitäten"

Auch wenn die bisherige NFDI-Governance dem fachlichen Selbstverständnis der Community entsprechen mag, ist die Ansage des Wissenschaftsrats deutlich: Wenn Haushaltsmittel knapp sind, können wir uns mangelnde Effizienz nicht länger leisten – erst recht, wenn die Welt der Daten, Stichwort KI, sich derart rasant weiterentwickelt.

Letzteres klingt in der Zusammenfassung des Papiers so: "Die Weiterentwicklung der NFDI erfolgt vor dem Hintergrund von Veränderungen, die neue Anforderungen und Komplexitäten hervorgebracht und bereits erkannten Handlungsbedarf erhöht haben. Diese Herausforderungen umfassen veränderte Erwartungen an Datennutzung und Datenprodukte insbesondere durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI); die notwendige Skalierbarkeit der Infrastruktur sowie den Langzeitdatenerhalt angesichts der exponentiell wachsenden Menge digital erzeugter Daten; eine Balance zwischen offenem Zugang zu Daten ohne unerwünschten Datenabfluss und unerwünschten Nutzungen; die Koordination von Redundanz / Verfügbarkeit auch im europäischen Kontext." Es gehe dabei auch um die "federführende Mitwirkung" der NFDI in der "European Open Science Cloud (EOSC)", die "strategisch essenziell" sei.

Mit Blick auf die Zukunft formuliert der Wissenschaftsrat vier strategische Ziele: bessere Datennutzung, ein nachhaltiges, disziplinübergreifendes Datenökosystem, stärkere Verankerung in Wissenschaft und Verwaltung – und mehr internationale Wettbewerbsfähigkeit. Um das zu erreichen, brauche die NFDI "eine institutionelle Perspektive".

"Die NFDI könnte zum Nukleus für ein souveränes, datengetriebenes Forschungsökosystem in Deutschland und Europa werden", sagt der Wissenschaftsratsvorsitzende Wolfgang Wick. Da war sie dann doch wieder, die Verpackung mit Nettigkeiten.

Ähnlich nett verpackt fiel die erste offizielle Reaktion des Direktors des NFDI e.V., York Sure-Vetter, aus. "Ich bedanke mich beim Wissenschaftsrat für die zahlreichen wertvollen Impulse, die aus dem Bericht hervorgehen und begrüße die Empfehlung zur weiteren Förderung und Ausgestaltung des Netzwerks sehr.“ 

Die interne Diskussion der NFDI und seiner Konsortien über das Wissenschaftsrats-Papier dürfte deutlich hitziger ausfallen.

 

 

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