Mehr Budget, weniger Freiheit?
Der Entwurf für den nächsten EU-Finanzrahmen verspricht mehr Geld für Innovation und Exzellenz – doch zu welchem Preis? Was nun auf Wissenschaft und Hochschulen zukommt.
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ZWEI BILLIONEN EURO Ambitionen. Oder doch eher zwei Billionen Verhandlungsmasse? Als Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Mitte Juli ihren Entwurf für den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR) vorstellte, war die Inszenierung groß. Der Haushalt für die Jahre 2028 bis 2034 sei das Budget "für eine neue Ära" – mit mehr Geld für Innovation, Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit. Auch Forschung und Bildung wurden als Gewinner präsentiert, während es weniger Geld für Agrarsubventionen geben soll. Eine Priorisierung, die zum europäischen Entwicklungsrückstand passen würde. Doch schon der erste Blick auf die Reaktionen zeigt: Der Weg von Brüssel zur Umsetzung ist lang. Und traditionell gesäumt von Kürzungen, Blockaden und nationalen Begehrlichkeiten.
Tatsächlich ist der Kommissionsvorschlag, der in den kommenden Monaten im Europäischen Rat und im Parlament verhandelt wird, erst der Auftakt zu einem komplexen politischen Prozess. Spätestens bis Ende 2027 muss der MFR stehen, damit ab dem 1. Januar 2028 neue Förderprogramme anlaufen können. Das Hin und Her zwischen Kommission, Parlament und Mitgliedstaaten über den Mehrjahreshaushalt der EU dauert mitunter Jahre.
Im Entwurf vorgesehen: 175 Milliarden Euro für das neue Forschungsrahmenprogramm FP10 – fast doppelt so viel wie für das aktuelle Horizon Europe. Auch das Budget für das Austauschprogramm Erasmus+ soll deutlich (+56 Prozent auf 40,8 Milliarden) steigen. Doch der Preis für diese Großzügigkeit, von der keiner weiß, wieviel nach den Verhandlungen bleibt, ist ein tiefgreifender Umbau der Förderarchitektur. Statt vieler einzelner Programme plant die Kommission drei große Budgetblöcke. Forschung und Innovation sollen eng an einen "Wettbewerbsfähigkeitsfonds" gekoppelt werden, der industriepolitisch steuerbar ist.
Im Schatten der Industriepolitik
Die strukturelle Nähe von FP10 zur wirtschafts- und geopolitisch getriebenen Wettbewerbsagenda ist es, die in der europäischen Wissenschaftslandschaft am stärksten irritiert – und bereits im Frühjahr zu wachsender Nervosität führte. Damals stand im Raum, das neue Forschungsrahmenprogramm könne de facto in besagtem Wettbewerbsfonds aufgehen und seine rechtliche Eigenständigkeit verlieren. Kommissionspräsidentin von der Leyen sah sich im Mai öffentlich zur Versicherung gezwungen: FP10 werde auch künftig ein eigenständiges Programm sein. Ein "Etappensieg mit Stolperfallen", wie es damals hier im Wiarda-Blog hieß – die Unabhängigkeit sei verteidigt, aber der Preis dafür noch unklar.
Auch wenn der Vorschlag jetzt offiziell auf dem Tisch liegt, bleiben Fragen. Die regulatorische Eigenständigkeit von FP10 bleibt wie angekündigt erhalten, doch thematisch und operativ rückt das Programm eng an den neuen Wettbewerbsfähigkeitsfonds heran. Die Exzellenzforschung soll mit 44 Milliarden Euro gestärkt werden, davon rund 31 Milliarden in das europäische Flaggschiff ERC fließen, gleichzeitig soll der Europäische Innovationsrat (EIC) nach ARPA-Vorbild weiterentwickelt werden.
Bettina Martin (SPD), Präsidentin der Wissenschaftsministerkonferenz, nennt die Vorschläge zwar "grundsätzlich positiv". Gleichzeitig warnt sie jedoch in einer Pressemitteilung der Wissenschafts-MK: Ohne ein "ring-fenced" Budget – also eine zweckgebundene Mittelzusage – drohe FP10 zum "Selbstbedienungsbuffet für kurzfristige Industriehilfen und Kriseninstrumente" zu werden. "Ring-fenced" bedeutet, dass bestimmte Mittel ausschließlich für definierte Zwecke eingesetzt werden dürfen – im Falle von FP10 konkret: für wissenschaftsgeleitete Forschung, nicht für ad-hoc-Politikmaßnahmen.
Kurios, aber nicht überraschend ist, dass die Wissenschafts-MK-Präsidentin Bettina Martin die EU-Haushaltspläne deutlich freundlicher bewertet als Mecklenburg-Vorpommerns Landministerin Bettina Martin, die neben Wissenschaft unter anderem für Europa zuständig ist. In der landeseigenen Pressemitteilung kritisiert sie nicht nur die fehlende Zweckbindung der Forschungsgelder, sondern auch die geplanten Einschnitte im Agrarhaushalt. Die Direktzahlungen würden real um mehr als ein Fünftel sinken, ostdeutsche Flächenbetriebe müssten mit Kappungen rechnen. Ein "schwerer Fehler", so Martin. Das wirft ein Licht auf die Vielstimmigkeit föderaler Politik: Während Martin auf europäischer Bühne die Forschungsagenda diplomatisch mitverhandelt, kämpft sie daheim um die EU-Agrarmittel für ihr Bundesland. Obwohl klar ist: Je mehr Geld in die Agrar- und Regionalförderung geht, desto weniger bleibt für die Stärkung von Wettbewerbsfähigkeit und Innovation.
Applaus und Zweifel
Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (CSU) lobt den Entwurf – allerdings mit feinem Unterton. Beim Treffen der EU-Forschungsminister:innen in Kopenhagen nannte sie die Eigenständigkeit von FP10 einen "wichtigen Erfolg". Die geplante Aufstockung sei ein starkes Signal, Europa müsse "Magnet für Spitzentalente" werden. Dabei vergaß sie nicht darauf hinzuweisen, dass sie sich erst wenige Wochen zuvor gemeinsam mit acht Kolleg:innen per Brief an die zuständige EU-Kommissarin Ekaterina Zaharieva gewandt hatte, um genau diese Unabhängigkeit einzufordern. Was zeigt: Es handelt sich um keinen Sieg für die Forschungspolitik, sondern lediglich das Einziehen einer Verteidigungslinie.
Denn die geopolitischen Spannungen wirken längst in den Haushalt hinein. 131 Milliarden Euro sind für Verteidigung vorgesehen, vor allem zum langfristigen Aufbau einer Europäischen Verteidigungsunion – ein Vielfaches des bisherigen Budgets (je nach Rechnung bis zu 23 Milliarden Euro). Hinzu kommen Milliarden für den Grenzschutz, die Ukrainehilfe und die Rückzahlung pandemiebedingter Schulden. Die Kommission schlägt neue Einnahmequellen wie Konzernabgaben und Umweltsteuern vor, um die nationalen Beiträge stabil zu halten. Doch die Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland, sind skeptisch. SPD-Chef und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil sprach bereits am Rande des G20-Treffens in Durban von einem Vorschlag, der "nicht zustimmungsfähig" sei. "Wir müssen bei den Finanzen absolut im Verhältnis bleiben. Das sehe ich als nicht gewahrt an", sagte Klingbeil beim Treffen der G20-Finanzminister in Durban in Südafrika.
Die unklaren Folgen der Anbindung des FP 10 an den neuen Wettbewerbsfonds, der Widerstand der Agrarpolitik, die absehbare Zurechtstutzung des Kommissionsvorschlags durch die Mitgliedstaaten: Die Fragezeichen aus Sicht der Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind gewichtig. Inhaltlich finden viele der Vorschläge Zustimmung – etwa die Förderung entlang der gesamten Innovationskette, vereinfachte Verfahren und die Stärkung der Exzellenzforschung. Entscheidend wird sein, ob diese Ansätze mit ausreichender Zweckbindung und Planungssicherheit umgesetzt werden. "175 Milliarden, mehr Geld für den ERC, Fokus auf Exzellenz und Wirkung. Der Kommissionsvorschlag enthält viel Gutes für Europa", sagt Michael Hoch, Rektor der Universität Bonn und Vorstandsvorsitzender von des Universitätsverbunds German U15. Der Vorschlag könnte Forschung deutlich stärker ins Zentrum der EU rücken - wo sie hingehöre. Doch um Korken knallen zu lassen, sei es zu früh: "Die Verteilungskämpfe ums Geld werden hart, bei der Eigenständigkeit von FP10 liegt der Teufel im Kleingedruckten und auch für die Assoziierung von Schlüsselpartnern wie Großbritannien und der Schweiz müssen wir weiter streiten. Kurzum: Der Entwurf ist viel besser als so mancher befürchtet hat – und braucht zugleich weiter unsere volle Aufmerksamkeit."
Spätestens Ende 2027 soll der neue Mehrjährige Finanzrahmen beschlossen sein. Während unklar ist, wie der aussieht, ist sicher: Wer die wissenschaftliche Unabhängigkeit Europas sichern will, wird sich in den kommenden Monaten nicht auf politische Rhetorik verlassen können – sondern muss für jedes Detail kämpfen.
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