Etappensieg mit Stolperfallen
Nach monatelangem Ringen sichert Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dem nächsten EU-Forschungsrahmenprogramm die Eigenständigkeit zu. Doch die enge Verknüpfung mit dem neuen Wettbewerbsfonds lässt kritische Fragen offen.
GERADE NOCH schien sich zu bewahrheiten, was viele in den vergangenen Monaten befürchtet hatten. Science Business berichtete am 12. Mai nach einer Rede von Kommissions-Vizepräsident Stéphane Séjourné, das EU-Forschungsförderprogramm werde voraussichtlich seine Eigenständigkeit verlieren und in den geplanten EU-Wettbewerbsfonds integriert werden.
Die europäische Wettbewerbsförderung sei fragementiert, sagte Séjourné demnach. "Wir müssen sie zu einer einzigen Investitionskapazität zusammenfassen, um massiv in strategische Sektoren zu investieren, von künstlicher Intelligenz über die Raumfahrt und saubere Technologien bis hin zu Biotechnologien – und ich sollte vielleicht sagen, insbesondere auch in Innovation und Forschung." Auch kursierte in Brüssel laut Science Business ein Schaubild, in dem "Grundlagenforschung und Karrieren" als eines von fünf Säulen des neuen Wettbewerbsfonds dargestellt wurde.
Doch plötzlich ist alles anders, so dass sich zwei Deutungen aufdrängen: Entweder hatte Sejourné seine Ankündigung ganz anders gemeint, als sie interpretiert wurde, oder es gab im Hintergrund bis zuletzt ein Gerangel innerhalb der EU-Kommission, das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstagmorgen mit einem Machtwort für beendet erklärte.
Jedenfalls teilte von der Leyen auf der jährlichen EU-Haushaltskonferenz 2025 mit: "Wir brauchen dringend standardisierte Angebote und eine zentrale Anlaufstelle. Deshalb wird es im nächsten Haushalt einen einzigen Europäischen Fonds für Wettbewerbsfähigkeit mit einfacheren Regeln und transparenten Verfahren geben." Darin werde Investitionskraft auf EU-Ebene in strategische Sektoren gelenkt. "Kurz gesagt, der Fonds für Wettbewerbsfähigkeit wird den Investitionsprozess für Projekte unterstützen. Von der Idee zur Marktreife. Von der Forschung bis zum Start-Up, der Hochskalierung und weltweiten Produktion." Aber eines wollte sie deutlich sagen: "Unser Rahmenprogramm Horizon Europe wird als selbständiges Programm bestehen bleiben. Es ist eine herausragende Marke – das angesehenste Forschungsprogramm weltweit. Aber es wird eng mit unserem Fonds für Wettbewerbsfähigkeit verknüpft sein."
Vorsichtiger Jubel
In Deutschland hatten die Wissenschaftsorganisationen und die Wissenschaftsminister in den vergangenen Monaten mehrfach öffentlich auf den Erhalt der Eigenständigkeit des Forschungsrahmenprogramms gedrängt. Eine Integration in den Wettbewerbsfonds "mag auf administrative und ökonomische Effizienzgewinne abzielen, darf am Ende aber nicht dazu führen, dass für Forschung, die primär auf wissenschaftliche Neugier und Relevanz beruht, daher meist noch keine konkrete Verwertbarkeit in den Blick nehmen kann, weniger Fördermöglichkeiten als heute bestehen", sagte etwa Georg Krausch, der Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz.
Nur genau diese Gefahr scheint auch durch die Ankündigung von der Leyens, Stichwort "enge Verknüpfung", noch nicht wirklich gebannt. Entsprechend klingen die ersten Reaktionen aus der Wissenschaft teilweise eher nach Erleichterung mit angezogener Handbremse, zumal die Frage nach der Dotierung des kommenden 10. Forschungsrahmenprogramms noch völlig offen ist, worauf Jan Wöpking vom Universitätsverbund German U15 hinweist.
Er spricht von einem "wichtigen Etappensieg", für den Europas Forschungsgemeinschaft länderübergreifend gekämpft habe. Doch die eigentliche Arbeit stehe noch bevor. "Ab jetzt muss es um Inhalte gehen - und ums Geld. Kriegt das FP10 ein wirklich mutiges, der Weltlage angemessenes Budget? Wird der ERC gestärkt? Gelingt es Europa, so attraktiv und offen zu bleiben, dass weiter Top-Forschungsnationen wie Großbritannien assoziiert werden und die besten Talente weltweit zu uns kommen wollen? An den Antworten wird sich entscheiden, ob aus dem Etappen- auch ein Toursieg wird."
Der frühere BMBF-Staatssekretär und jetzige Vorstand der Volkswagen-Stiftung, Georg Schütte, sagt, die vergangenen Forschungsrahmenprogramme hätten jeweils programmatische Namen getragen: "Horizon 2020“" für das achte Rahmenprogramm, "Horizon Europe" für das neunte. "Wenn für das zehnte Forschungsrahmenprogramm nun die Wettbewerbsfähigkeit Europas ins Zentrum gestellt wird, so liegt dies genau auf der Linie dessen, was Mario Draghi vorgeschlagen hat und was auch wir, die Expertengruppe des Heitor-Reports vorschlagen: Forschung und Innovation können dazu beitragen, dass Europa eine starke Rolle in der Welt spielt."
Sowohl der Draghi-Report als auch die Empfehlungen der Heitor-Kommission, an der Schütte beteiligt war, hatten vergangenes Jahr weitreichende Vorschläge zur Reform der EU-Forschungsförderung gemacht. Beide etwa inklusive der Forderung, eine europäische "Darpa" zu gründen. Doch keine der beiden wollte das Ende eines eigenen Forschungsrahmenprogramms.
Eine starke Rolle Europas durch Forschung und Innovation, sagt Schütte, gehe nicht zum Nulltarif. Draghi wie Heitor hätten die Benchmark genannt: 200 bis 220 Milliarden Euro. "Warum? Diese Summe ist notwendig, um die als exzellent bewerteten Anträge beim Europäischen Forschungs- und im Europäischen Innovationsrat auszufinanzieren und neue Impulse, etwa bei Deep-Tech-Innovationen zu setzen." Geld allein sei jedoch nicht alles. "Wir müssen Verfahren vereinfachen. Und wir müssen die Forschungs- und Innovationsförderung wieder stärker rückkoppeln – an die Bedarfe der Unternehmen, der Wissenschaft und öffentlicher Einrichtungen, etwa im Gesundheitssystem."
Dorothee Bärs Pressetermin
Nachdem die Ampel-Regierung im vergangenen November zerbrochen war, hatte die geschäftsführende Bundesregierung ausgerechnet in den heißen Verhandlungsmonaten um die Zukunft von "Horizon" kaum noch etwas in die Waagschale werfen können. Obwohl kaum ein Land so sehr von der EU-Forschungsförderung profitiert wie Deutschland.
Als das BMFTR der neuen Bundesforschungsministerin Dorothee Bär dann jedoch für Dienstag zu einem Pressetermin mit Fotogelegenheit einlud anlässlich des Besuchs von EU-Forschungskommissarin Ekaterina Zaharieva, hatte man sich schon denken können, dass es etwas Positives zu verkünden gab. Das sei ein "sehr, sehr guter Tag", sagte denn auch die CSU-Politikerin. Die Kommissarin sei "mit einem sehr großen Geschenk an Deutschland" gekommen. Die Ankündigung von der Leyens, dass das zehnte Forschungsrahmenprogramm eigenständig bleiben werde, sei "für unser Land sehr wichtig" und auch gleich zweimal als Forderung im schwarz-roten Koalitionsvertrag niedergelegt gewesen. "Das braucht es unserer Meinung nach, damit Forschung und Innovation auch auf EU-Ebene weiter die Bedeutung haben, die sie verdienen." Horizon Europe und seine Vorläufer seien eine Erfolgsgeschichte, "die es auch vorzuschreiben gilt, um Europa als Magnet für Spitzentalente zu positionieren. Da ist eine attraktive Förderung, wie sie aktuell auch über Horizon Europe gewährleistet wird, unerlässlich."
Zum Glück tat Doro Bär gar nicht erst so, als habe sie persönlich in nur 14 Tagen im Amt Entscheidendes beigetragen zu von der Leyens dringend nötigen Klarstellung. Aber ein bisschen sonnen in der guten Nachricht wollte sie sich dann doch.
Dieser Beitrag erschien in kürzerer Fassung zuerst im kostenfreien Wiarda-Newsletter.
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