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Raumfahrtträume und Reformdruck

Mit Lego-Raumschiff ins Amt, mit DFG-Pauschale, Exzellenzstrategie und Hochschulsanierung in den Alltag: Was Doro Bärs Ministerium jetzt wirklich leisten muss.
Screenshot der Startseite des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt

Im Übergang: Screenshot von der Startseite des neu zugeschnittenen Forschungsministeriums (BMFTR). Stand 10.05.25.

NATÜRLICH EIN RAUMSCHIFF. Als Dorothee Bär am Mittwochmorgen das bisher BMBF genannte Ministerium offiziell von Cem Özdemir (Grüne) übernahm, hatte sie zum Fototermin ein "Galactic Spaceship" von Lego mitgebracht, als Abschiedsgeschenk für ihren Vorgänger. "Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt", kurz BMFTR, heißt Bärs Haus, auf besondere Initiative von ihrer Partei, der CSU, in den Koalitionsverhandlungen.

Und so augenzwinkernd Bär das Spielzeug-Set überreichte, so ernst scheint es ihr mit dem Anspruch dahinter zu sein. "Wie wir im Koalitionsvertrag betonen, hat die Luft- und Raumfahrt eine strategische Rolle für unseren Wirtschaftsstandort", sagte sie. "Daher werden wir massiv in Forschung und Entwicklung investieren."

Gelegentlich sollte man die neue Bezeichnung des Hauses und die Ambitionen der neuen Hausherrin dann allerdings doch mit den aktuellen Realitäten gegenschneiden. Anders als die aus dem bisherigen Ministeriumsnamen gestrichene "Bildung", die in Abteilungsstärke das Haus verlässt, kommen für die "Raumfahrt" im Kern nur (je nach Zählung) drei bis vier Referate aus dem bisherigen Wirtschaftsministerium dazu.

Und was die finanzielle Größenordnung angeht: Im Haushalt 2024 waren für das nationale Raumfahrtprogramm rund 333 Millionen Euro veranschlagt, der deutsche ESA-Beitrag lag bei gut einer Milliarde Euro pro Jahr. Fairerweise muss man noch Teile der insgesamt 640 Millionen Euro für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hinzurechnen und einige Ausgabenposten anderswo, aber, wiederum nur zum Vergleich: Der Gesamthaushalt des bisherigen BMBF lag pro Jahr bei über 21 Milliarden Euro.

Die Dominanz der galaktischen
Supertechnologiethemen

Währenddessen weigert sich die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU), wichtige Bereiche der Innovationsförderung an Bär abzutreten, das Ringen hinter den Kulissen hält an. Doch der Fokus auf die galaktischen Supertechnologiethemen zieht sich durch das gesamte forschungspolitische Kapitel des schwarz-roten Koalitionsvertrages: Die Ambitionen reichen vom Bau des ersten Fusionsreaktors der Welt in Deutschland über eine KI-Offensive für Superrechner ("AI-Gigafactory") und eine nationale "Hyperloop"-Referenzstrecke bis hin zu einer deutschen Astronautin auf dem Mond und einer Raketen-Startrampe in der Nordsee.

Warum es nicht verkehrt sein muss für eine Forschungsministerin, mit derlei schillernden Aufbruchsnarrativen in die neue Legislaturperiode zu starten, habe ich neulich aufgeschrieben. Und auch davor gewarnt, dass Bär ihr neues Ministerium auf keinen Fall als Technologie-Beschaffungsprogramm für Bayern missverstehen sollte. Kurzfristig jedoch besteht noch eine ganz andere Gefahr.

Über all der Begeisterung für Zukunft und Hightech darf Bär, die sich bislang vor allem als Digitalpolitikerin einen Namen gemacht hat, nicht vergessen, an wie vielen Stellen die Forschungspolitik sehr bald sehr konkrete Antworten auf sehr gegenwärtige Fragen braucht. Wesentliche davon ergeben sich ebenfalls direkt aus dem Koalitionsvertrag, auch wenn sich die diesbezüglichen Passagen zum Teil staubiger lesen mögen.

o Exzellenzstrategie

Es ist nur ein Satz im Vertrag, doch der lässt die Insider aufhorchen. "Die Exzellenzstrategie werden wir in den Förderlinien Exzellenzcluster und Exzellenzuniversitäten für eine mögliche Förderperiode ab 2030 grundlegend evaluieren."

Was soll denn das heißen? Laut der aktuell geltenden Bund-Länder-Verwaltungsvereinbarung soll das Programm grundlegend, das heißt "unter Beteiligung internationaler Expertinnen und Experten extern", erst deutlich später evaluiert werden, und zwar nach Abschluss der zweiten Förderrunde, die gerade in die heiße Vergabephase geht (am 22. Mai fallen die Entscheidungen zu den Exzellenzclustern). Entsprechend steht in der Verwaltungsvereinbarung, dass die Ergebnisse der Evaluation der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern, erst im Jahr 2035 vorgelegt werden sollen. Was viel Sinn ergeben würde, denn erst dann ließen sich wirklich die Effekte der erst vor zwei Jahren für die zweite Förderrunde gemachten Reformen bestimmen.

Wenn im Koalitionsvertrag dagegen heißt, es solle für eine mögliche Förderperiode ab 2030 evaluiert werden, lautete die Konsequenz: Es müsste so ziemlich sofort losgehen, wenn nächstes Jahr auch die Exzellenzuniversitäten neu gekürt sind. Welchen Sinn sollte das aber haben – außer, dass man gar nicht auf die Empirie setzen will, sondern von vornherein eine politische Weichenstellung anstrebt? Und welche wäre das dann?

In den vergangenen zwei Jahren nahm die Debatte über die Zukunft der Exzellenzstrategie zu, unter anderem wurde zu einem Moratorium aufgerufen, andere forderten gar die Komplettabschaffung – in der nicht wirklich stimmigen Hoffnung, die gute halbe Milliarde pro Jahr würde dann einfach in die Grundfinanzierung der Universitäten übergehen. Und für ein Programm, das eigentlich, so die Idee der Exzellenzstrategie, auf Dauer laufen sollte, hört sich die Formulierung "eine mögliche neue Förderperiode" fast schon wie die größtmögliche Distanzierung an. Und nun? Doro Bär muss die Unklarheiten schnell beseitigen und deutlich sagen, wofür sie in Sachen Exzellenzstrategie steht und was sie will. Dass es nur um das Wie geht. Und nicht um das Ob eines Wettbewerbs. Sonst wird ihr die Debatte sehr schnell entgleiten – zu Lasten der Reputation gegenwärtiger und künftiger Exzellenzuniversitäten. 

o Sondervermögen Infrastruktur

"Wir legen eine Schnellbauinitiative von Bund und Ländern zur Modernisierung, energetischen Sanierung und digitalen Ertüchtigung von Hochschulen und Universitätskliniken, inklusive Mensen und Cafeterien als befristetes Investitionsprogramm auf", verspricht der Koalitionsvertrag.

Nein, das Reparieren undichter Dächer, das klimagerechte Dämmen von Außenmauern und der Neubau von Vorlesungsgebäuden, die noch dazu Landeshochschulen zugute kommen, hört sich mit Ausnahme des Busszwords Digitalisierung weniger nach Science und Faszination an und das mühevolle Beschaffen der dafür nötigen Milliarden wirkt entsprechend weniger glanzvoll.

Doch es gehört zu den ersten und vorrangigsten Aufgaben der neuen Forschungsministerin sicherzustellen, dass für die Hochschulen und Forschungseinrichtungen dafür ein möglichst großer Anteil am 500-Milliarden-Infrastrukturvermögen abfällt. Und vor allem, dass im Finanzministerium keiner auf die Idee kommt, all die nötigen Ausgaben müssten aus den 100 Milliarden bestritten werden, die direkt für Infrastrukturprojekte der Länder reserviert werden.

Man möchte gern glauben, dass Doro Bär hier im Hintergrund schon kräftig schiebt. Doch auch hier muss sie sich sehr schnell öffentlich positionieren, denn am Ende wird die Verteilung des 500-Milliarden-Topfs auch darüber entschieden, wo der politische Druck am stärksten ist.

o DFG-Programmpauschale

US-Präsident Donald Trump macht Anti-Wissenschaftspolitik, indem seine Administration die Overhead-Zahlungen unter anderem in der NIH-Forschungsförderung drastisch zu kürzen versucht, allerdings dabei immer wieder auf Widerstand der Gerichte stößt. Die Overheads dienen dazu, dass Hochschulen und Forschungseinrichtungen die erheblichen indirekten Ausgaben für ihre Drittmittelprojekte, vor allem die Mitnutzung von Infrastruktur, Verwaltung oder Laboren, zumindest in Teilen kompensieren können.

In Deutschland scheint ähnlich absichtsvolles Verhalten der Politik in Bund und Ländern derzeit ausgeschlossen, doch wenn Bär nicht schnell aktiv wird, könnte die Projektfinanzierung in der deutschen Wissenschaft trotzdem in eine Krise hineintaumeln. Denn die DFG-Programmpauschale, 2007 von Bund und Ländern in Höhe von 20 Prozent eingeführt und 2016 auf 22 Prozent angehoben, ist in akuter Gefahr.

Die 2016 auf zehn Jahre geschlossene Vereinbarung läuft zum Jahresende 2025 aus, wie DFG-Generalsekretärin Heide Ahrens schon im Februar hier im Blog warnte: Sollten Bund und Länder in Sachen Verlängerung keine Einigung in der Sommersitzung der GWK erzielen, so Ahrens, "wäre die DFG-Forschungsförderung in ihrer bisherigen Form akut gefährdet. Zumindest ein Beschluss über eine Verstetigung der bisherigen Pauschale muss in diesem Jahr erreicht werden – denn sonst könnten Bewilligungen ab dem 1. Januar 2026 nur noch ohne Programmpauschale ausgestellt werden. Und auch bereits erteilte Bewilligungen, die über das Jahr 2025 hinauslaufen, wären betroffen – mit gravierenden Folgen für die Kontinuität unserer Forschungsförderung und die Planungssicherheit der Hochschulen."

Der Koalitionsvertrag nahm die Mahnungen auf und verspricht: "Die DFG-Programmpauschalen werden wir für Neuanträge auf 30 Prozent anheben. Die Hälfte der Anhebung erbringt die DFG. Die andere Hälfte übernehmen Bund und Länder zu gleichen Teilen."

Das mit der hälftigen Übernahme der zusätzlichen vier Prozentpunkte durch die DFG hat die Forschungsorganisation bereits zugesagt, was im Umkehrschluss auf eine erhebliche Senkung der direkten DFG-Forschungsfördergelder um rund 100 Millionen Euro und damit der Erfolgsquote von DFG-Förderanträgen hinauslaufen würde. Und wenn die anderen vier Prozentpunkte je zur Hälfte von Bund und Ländern übernommen werden sollen, müssten sich Bund und Länder darauf erstmal verständigen. Selbstverständlich wäre das nicht, denn bislang zahlen die Länder nur 42 Prozent des DFG-Budgets, sie würden also über die bisherige Gebühr beisteuern.

Die Erhöhung muss nicht gleich nächstes Jahr kommen, auch schrittweise wäre sie möglich. Aber die Verstetigung, die drängt. Und Bär muss handeln.

o "1000-Köpfe-Programm" und Datenrettung

Andere Länder wie Frankreich sind schon weiter, auch die EU will bedrohte US-Forscher mit einem 500-Millionen-Paket anlocken, und Deutschland? Im Koalitionsvertrag steht die Ankündigung direkt im ersten Absatz des wissenschaftspolitischen Kapitels: "Mit einem '1.000 Köpfe-Programm' werden wir internationale Talente gewinnen." Aber wie genau? Und was für 1000 Köpfe sollen das sein? Spitzenforscher? Normale Professoren? Junge Wissenschaftler am Anfang ihrer Karriere? All of the above?

Bärs Vorgänger Cem Özdemir (Grüne) hatte die diesbezügliche Debatte in den Forschungsorganisationen Ende März erfolgreich heruntergedimmt, was gut war, nicht nur, weil ein solches Programm kaum die hochgesteckten Erwartungen erfüllen dürfte. Der dafür nötige finanzielle Umfang wäre immens – und das dahinterliegende deutsche Wissenschaftssystem in seiner Breite bietet zurzeit gar nicht die konkurrenzfähigen Karrierebedingungen. Noch wichtiger: Zwar gibt es Stimmen, die die Bundesrepublik vor zu viel Zurückhaltung warnen, doch zu Deutschlands Softpower-Ansatz in der Wissenschaftspolitik passen Krisengewinn-Rhetorik und aggressive Recruiting-Programme ohnehin nicht wirklich.

In seiner Rede zum 100-jährigen Jubiläum des Deutschen Akademischen Austauschdiensts gab Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ausgehend von der Situation in den USA, die Richtung vor: "Nicht Brain Drain sollte das Ziel sein, sondern Brain Circulation. Wir halten so lange an der Idee von Kooperation und Austausch fest, wie das möglich und vertretbar ist. Wir bieten gefährdeten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Zuflucht, wenn es gar nicht mehr anders geht, aber stärken so weit wie möglich zugleich die unabhängige Wissenschaft in den jeweiligen Ländern."

Und Doro Bär? Trägt hoffentlich zu einer entsprechend ausgewogenen Umsetzung der "1000-Köpfe-"Idee bei, auch hier braucht es schnell einen Aufschlag. Wobei der volle Einsatz der Forschungsministerin an anderer Stelle genauso gefragt ist. "Wissenschaftlich relevante Datenbestände, deren Existenz bedroht sind, wollen wir weltweit sichern und zugänglich halten", besagt der Koalitionsvertrag. Eine Mammut-Aufgabe, wie immer deutlicher wird, seit etwa die Universität Bremen und das zu Helmholtz gehörende Alfred-Wegner-Institut dabei sind, Datensätze der amerikanischen Wetter- und Ozeanografiebehörde "NOAA" zu retten. Ähnliche Vorhaben laufen vielerorts in Deutschland und Europa, doch fehlt es an einer übergreifenden Strategie und Finanzierung.

Alles drei müsste Bärs BMFTR unmittelbar angehen und koordinieren. Die Helmholtz-Gemeinschaft dürfte hier der geeignete Partner sein. Lange hat auch Deutschlands Wissenschaft von der Infrastruktur-Leistung der US-Wissenschaft profitiert und Kosten gespart. Jetzt ist es Zeit, international Verantwortung zu übernehmen.

o DAFG? DFG?

Seit Jahren beschweren sich die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW), dass sie kaum Zugang zu DFG-Fördermitteln haben. Seit 2021 wurde die DFG daher durch die Politik verpflichtet, dass mindestens ein Prozent ihrer Bundeszuwendungen an HAWs fließen müssen. Was sie mithilfe eigens geschaffener Programme 2024 zum ersten Mal schaffte: Es wurden  1,16 Prozent. Wenn nun jedoch laut Koalitionsvertrag die bisher geplante DATI, die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation, tot ist und stattdessen eine DAFG kommen soll, eine "Deutsche Anwendungsforschungsgemeinschaft", die die Forschungsförderung an den HAW bündeln und "perspektivisch" wie die DFG in den Pakt für Forschung und Innovation (PFI) aufgenommen werden soll, dann stellt sich schon die Frage nach dem Verhältnis zwischen DFG und DAFG.

Die DFG für die Unis und die DAFG für die HAWs? Nein, nein, sagt der Koalitionsvertrag. Also ja, die DAFG offenbar nur für die HAW-Forschungsförderung. Aber: "Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) müssen angemessen am Förderaufkommen der DFG beteiligt werden". Was übrigens darauf hindeutet, dass die von der DFG abgelehnte Pflichtquote bald entfallen könnte (auch hier gilt es übrigens, bald Klarheit zu schaffen). Aber wozu dann extra die DAFG, wenn sie lediglich bestehende HAW-Forschungsförderprogramme weiterführt? Dafür eine eigene Institution? Es wird spannend, was die Länder dazu sagen, die schon mit der DATI lange fremdelten.

Dabei hätte eine Agentur für Transfer und Innovation mit ganz anderen Förderformaten, wie sie etwa "DATI-Pilot" vorgemacht hat, komplementär Sinn ergeben. DATI-Pilot soll zwar als Teil der neuen Teillinie "Transfer-Booster" erhalten bleiben, aber die DATI als Planungsruine der Ampelkoalition werde man nicht weiterführen, hatte der damalige wissenschaftspolitische Sprecher der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, Thomas Jarzombek, bereits vor der Wahl angedeutet. Nun muss Bärs BMFTR aufpassen, dass die neue DAFG in Ergänzung der DFG einen deutlich erkennbaren Mehrwert erhält, sonst könnte sie selbst sehr schnell zur Ideenruine werden.

o Wissenschaftszeitvertragsgesetz

Ja, auch das noch. Nach dem Fiasko der vergangenen Legislaturperiode kein Thema, mit dem sich eine Forschungsministern gern beschäftigen dürfte. Doch der Koalitionsvertrag gibt die Richtung und einen Zeitplan vor. "Wir novellieren das Wissenschaftszeitvertragsgesetz bis Mitte 2026." Also los, kann man Bär nur sagen, damit es diesmal etwas wird. Schützenhilfe leistet der Wissenschaftsrat, dessen Empfehlungen zu Personalstrukturen demnächst beschlossen werden sollen.

Wenn Bär es schlau angeht, stellt sie die WissZeitVG-Reform in den Kontext mit dem, was der Koalitionsvertrag mit einer "Mittelbau-Strategie" ankündigt:  eine Straffung der Projektförderung, grundsätzlich längere Programmlaufzeiten, Anreize für Departmentstrukturen und zur Entwicklung von Stellenprofilen, den Ausbau des Tenure-Track-Programms und bessere Rahmenbedingungen für mehr Dauerstellen. Also bloß keine isolierte Gesetzesnovelle, sondern ein in sich stimmiges Gesamtkonzept, dann könnte daraus für Bär ein Gewinnerthema werden. Oder aber alternativ auch ihr politisch sehr wehtun, wie das bei ihrer Vor-Vorgängerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) war.

Keine Zeit
für Eskapismus

Die Liste der wissenschafts- und hochschulpolitischen Fragen, die Doro Bär bald wird beantworten müssen, ist noch länger, etwa auch, was das künftige Verhältnis der Förderung von Technologie, angewandter und Grundlagenforschung im Ministerium angeht. Doch schon diese Zusammenstellung zeigt: Abseits aller Disruptionsnarrative muss Bär ziemlich viel Kärrnerarbeit leisten, wenn sie als erfolgreiche Forschungsministerin in die Geschichte eingehen will. Einen Raumfahrt-Eskapismus wird sie sich da nicht erlauben können. Denn sogar die griffig klingende "Hightech-Agenda für Deutschland", die laut Koalitionsvertrag den Sprung in die Zukunft mit der nötigen Strategie versehen soll, wird viel fachliche Akribie und diplomatisches Geschick erfordern, wenn sie nicht wie die "Zukunftsstrategie" der Ampelkoalition enden soll.

Insofern müssen die große Zukunftserzählung und die forschungspolitische Detailarbeit gar keine Gegensätze sein, sie bedingen sich sogar gegenseitig. Entsprechend hoffnungsvoll stimmt, dass Bär sich mit dem bisherigen Amtschef im bayerischen Wissenschaftsministerium, Rolf-Dieter Jungk, einen ausgewiesenen Experten für Forschungspolitik und Bund-Länder-Beziehungen ins Haus holt. Er kennt all die Themen und Fallstricke aus dem EffEff, er kennt das Führungspersonal in den Landesministerien, das es zu gewinnen gilt.

Denn so viel ist sicher: Gegen die Länder wird Bär fast keines der anstehenden Projekte erfolgreich umsetzen können. Sondern nur mit ihnen. Was es bedeutet, wenn man als Forschungsministerin die Länder nicht auf ihrer Seite hat, hat Bettina Stark-Watzinger eindrucksvoll vorgeführt.


GWK im Umbruch

Nicht nur das bisherige BMBF muss sich als BMFTR neu erfinden, auch auf Länderseite gibt es personelle Veränderungen, die erstmal aufgefangen werden müssen.

Mit Katharina Fegebank (Grüne), die nach zehn Jahren das Hamburger Wissenschaftsressort gegen die Umweltbehörde eintauschen musste, verlässt das erfahrenste Mitglied die Wissenschaftsministerkonferenz der Länder. Fegebank macht keine Hehl daraus, wie schwer ihr der Abschied fällt, doch macht sie Platz für die Hamburger Grünen-Vorsitzende Maryam Blumenthal, die es in den Senat zog und das Wissenschafts- dem Umweltressort vorzog.

Fegebank war die letzte verbliebene Wissenschaftsministerin, die noch an der Neukonzipierung der früheren Exzellenzinitiative zur Exzellenzstrategie Mitte 2016 beteiligt war. Sie kannte sich aus wie kaum eine zweite, wurde vom Deutschen Hochschulverband (DHV)dreimal zur Wissenschaftsministerin des Jahres gewählt, zuletzt dieses Jahr, und hat die Hamburger Wissenschaft mit einer langfristigen Strategie nach oben gepusht. Ein Höhepunkt für Fegebank war sicherlich, als die Universität Hamburg 2019 zur Exzellenzuniversität gekürt wurde.

Zurück zur Riege der Wissenschaftsminister.

Ebenfalls neu besetzt wurde die Zuständigkeit für Wissenschaft in der Landesregierung von Schleswig-Holstein, nachdem die bisherige, seit 2017 amtierende Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur, Karin Prien (CDU) zur Bundesbildungsministerin avancierte. Nachfolgerin ist ihre langjährige Staatssekretärin

Dorit Stenke, die allerdings bislang für den Schulbereich im Ministerium verantwortlich zeichnete.

Der Wissenschaftsminister mit der meisten Erfahrung ist jetzt Armin Willingmann aus Sachsen-Anhalt, der Ende 2016 ins Amt kam und lange auch als wissenschaftspolitischer Koordinator der SPD-regierten Länder fungierte, bevor er dieses Amt an Falko Mohrs aus Niedersachsen abgab.

Nach Willingmann kommt erstmal lange nichts, die aktuelle Präsidentin der Wissenschaftsministerkonferenz der KMK und nächste im Erfahrungsranking, Bettina Martin aus Mecklenburg-Vorpommern, wurde Mitte 2019 Ministerin. 

Umgekehrt sind elf der 16 Landeswissenschaftsminister erst seit 2022 oder kürzer dabei.

Doro Bär könnte das den Start der gemeinsamen Verhandlungen in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern leichter machen. Weil ihr gegenüber nicht lauter Routiniers sitzen, die ständig darauf zu sprechen kommen, wie die Sachen früher gemacht wurden. Die aber trotzdem sehr genau auf die Ernsthaftigkeit und Kooperationsbereitschaft der BMFTR-Chefin schauen werden.

Was es bedeutet, dass jetzt keine einzige Ministerin mehr dabei ist, die in der GWK die Entfristung der Exzellenzstrategie beschlossen hat, wird sich in den anstehenden Debatten womöglich sehr bald herausstellen.

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Kommentare

#2 -

#IchBinTina | Di., 13.05.2025 - 07:07
- Teil 1 - Statt die ExStra selbst in Frage zu stellen, wäre es sehr viel sinnvoller, wenn sich der Bund mit dem Diensthandeln der Hochschulleitungen und der Wahrnehmung der Aufsichtsfunktion durch die Länder befassen würde. Das Haushaltsrecht gibt das durchaus her, da vom Bund nicht erwartet werden kann, Milliarden an Zuwendungsempfänger zu geben, die noch nicht mal rudimentäre interne Bemühungen um Compliance mit den allgemeinen Gesetzen bis hin zum Strafrecht unternehmen. 1.) Es gibt mindestens zwei Fälle, in denen Hochschulleitungen trotz Kenntnis mehrere Jahre nicht gegen sexualisierte Diskriminierung in Form von Belästigung vorgegangen sind und so einen massiven Vertrauensverlust provoziert haben: Der angestellte Mitarbeiter am Institut für Geschichte an der HU Berlin wurde vom Vorgänger von Sabine Kunst abgemahnt und von ihrer Nachfolgerin gekündigt, in den Akten fand sich aber keine Intervention von Frau Kunst selbst, so dass sich die HU vergleichen musste. Ulrike Beisiegel an der Universität Göttingen hat in einem Fall mehrere Gespräche geführt, aber keine Disziplinarmaßnahmen ergriffen, so dass von der Entfernung aus dem Dienst abgesehen werden. 2.) Sie haben selbst über die Ereignisse im Zusammenhang mit der PPP-Studie an der TU Dresden berichtet. Correctiv hat einen Fall an der RWTH Aachen recherchiert, in dem es Hinweise darauf gibt, dass die Mitarbeitenden im Rahmen von Auftragsforschung aufgefordert wurden, Zeitnachweise zu fälschen. Trotzdem erklärten die Hochschule und das Land, dass sie keine Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung ergreifen wollen - und das während es erheblichen Widerstand gegen das Hochschulstärkungsgesetz gibt. 3.) Sowohl der Bundesrechnungshof, als auch der Wissenschaftsrat, haben sich kritisch zur Zweckentfremdung der Mittel aus dem "Hochschulpakt" direkt unter Nase der Landesministerien geäußert. Seit 2021 wird über den BefristungsMISSBRAUCH (d.h. Nutzung des Sonderbefristungsrecht ohne dass die Beschäftigung der Qualifikation dient) diskutiert, ohne dass es den Ländern wirklich gelungen ist, das Problem in Eigenverantwortung zumindest einzudämmen. Stattdessen gibt es immer mehr Belege dafür, dass gerade die Länder mit "forschungsstarken" Hochschulen Aufsichtspflichten im Haushalts- und Personalwesen verletzen - und das ganz explizit zum Zweck der Drittmitteleinwerbung zulasten der Länder, die stärker darum bemüht sind, einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Universitätsangehörigen herbeizuführen.

#3 -

#IchBinTina | Di., 13.05.2025 - 07:08
- Teil 2 - 4.) Bei Machtmissbrauch ist auffällig, wie stark überrepräsentiert Hochschulen mit Exzellenzförderung und/oder Leitungen mit einer herausgehobenen Funktion in einer der Mitgliedseinrichtungen der Allianz der Wisschenschaftsorganisationen sind. Walter Rosenthal betont zwar immer wieder, dass ihm während seiner Zeit an der Universität Jena kein Fall bekannt wurde, es gab aber einen Fall am Max-Delbrück-Centrum, der während seiner Amtszeit dort seinen Anfang genommen hat. Im Fall von Joybrato Mukherjee gab es einen Fall mit strafrechtlicher Relevanz, der ebenfalls mit Auftragsforschung zusammenhing. Er war damals relativ jung und neu im Amt, aber da es sich um einen besonders schwerwiegenden Vorfall handelt und das Rektorat sehr offensichtlich Dienstpflichten verletzt hat, hätte das Hinweis darauf gesehen werden können, dass er als Rektor der Universität zu Köln, kurz nachdem dort der "Professor in Unterhosen"-Fall bekannt wurde, ungeeignet ist. Die Rektorate und Präsidien haben teilweise jahrzehntelang Sicherheitsrisiken produziert: Ungeahndeter Macht- und/oder Befristungsmissbrauch führt zu einer großen Anzahl von "disgruntled ex-employees" (wie mir), die besonders anfällig für Annäherungsversuche aus autoritären Staaten sind. Sobald der befristete Arbeitsvertrag ausgelaufen ist, treffen die ehemaligen Beschäftigten auch keinerlei Loyalitätspflichten mehr. Im ersten Fall von Machtmissbrauch an der ETH, der öffentlich bekannt wurde, und einem Fall an einem MPI handelte es sich Astrophysik-Professuren. Correctiv hat gerade erst kürzlich - vermutlich aufbauend auf die Recherchen zur RWTH - über eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung des DLR mit einer Professorin der TU München berichtet. Vielleicht sind also eher die Zuwendungsempfänger*innen das Problem, d.h. die Hochschulleitungen und die DFG, sowie die GWK, als Repräsentation der Selbstverwaltung und der Länder respektive.

#4 -

Eco | So., 18.05.2025 - 20:56
Die Exzellenzstrategie krank daran, dass sie universitätsbezogen und nicht personenbezogen ist. Es wäre viel sinnvoller, wenn Forscher an verschiedenen Universitäten und HAWs gemeinsam Cluster bilden würden, die gemeinsam forschen und sich gemeinsam um Gelder bewerben. Das gleiche Problem gibt es allgemein, weil die Universität als Organisationseinheiten aus Professuren und Instituten bestehen, die im Wettbewerb miteinander stehen. Zumindest die Zerstückelung ist kontraproduktiv. Die sinnvollste Einheit wären die Fakultäten. Das wäre aber eine grundlegende Änderung, die in Deutschland von den Professoren aus naheliegenden Gründen bekämpft wird.

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