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Dorothee Bär: Zukunft auf Sichtflug

Eine Digitalpolitikerin wird Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt. Sie könnte in ihrem neuen Amt grandios scheitern – oder aber wirklich etwas bewegen.

Dorothee Bär 2018 beim Zocken auf der Gamescom 2018. Foto: Marco Verch, Creative Commons 2.0.

ES WIRKT auf den ersten Blick wie eine Entscheidung aus einer Parallelwelt. Während Deutschland in der Innovationskrise steckt, während die Ausläufer von Trumps Angriff auf die Wissenschaft bis nach Europa reichen und Deutschlands Forschungspolitik vor Herausforderungen steht wie lange nicht mehr, soll Dorothee Bär das Steuer eines neu geschaffenen Ministeriums übernehmen: des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt, kurz BMFTR.

 

Eine Politikerin, die bislang vor allem mit Digitalisierung und Zukunftsvisionen von Flugtaxis bekannt wurde, die keine forschungspolitische Erfahrung vorzuweisen hat, dafür aber jede Menge Ehrgeiz, einen Hang zum Schrillen – und als langjährige stellvertretende CSU-Vorsitzende eine stabile Allianz mit Markus Söder.

 

Eine Ministerin also, könnte man sagen, die das Potenzial hat, grandios zu scheitern, zu irritieren. Oder aber zu inspirieren und wirklich etwas zu bewegen. Als Besetzung für das BMFTR trifft sie damit durchaus den forschungspolitischen Tenor des schwarz-roten Koalitionsvertrages.

 

Das "Raumfahrt" im Namen des um Bildung erleichterten Forschungsministeriums dient dabei als Symbol und Strategie: als Chiffre für den Anspruch, wieder große technologische Sprünge zu wagen, Disruption nicht nur zu fürchten, sondern bewusst zu gestalten. Deshalb sollen die Technologie-Referate aus dem Wirtschaftsministerium ins BMFTR wandern, und darum spricht der Koalitionsvertrag von einer nationalen Hyperloop-Teststrecke und einer deutschen Astronautin auf dem Mond. Nicht als Selbstzweck, sondern als Impulsgeber für Wissenschaft, Wirtschaft und gesellschaftliches Selbstvertrauen.

 

Aufbruchserzählung
oder Regionalpolitik

 

Dorothee "Doro" Bär könnte dafür die richtige Ministerin sein – sofern sie das Ministerium nicht als verlängerten Arm bayerischer Regionalpolitik missversteht, sondern als Bühne für eine neue Aufbruchserzählung, zu der eine "Hightech-Agenda für Deutschland" und Forschungssprünge von der Fusionstechnik bis zum Quantenrechnen gehören sollen.

 

Doch die Zweifel sind erheblich. Nicht nur, weil ihre Berufung vor allem der Parteipolitik geschuldet scheint oder weil ihre Bilanz als Digitalstaatsministerin zwischen 2018 und 2021 als durchwachsen gilt: immer für eine Vision und einen medienwirksamen Auftritt gut, aber politisch ohne große Durchschlagskraft.

 

Vor allem aber staunte, wer das Unterkapitel "Wissenschaft" im Koalitionsvertrag las, wie ungeschminkt die CSU ihre Handschrift dort verewigen konnte. Der erste Fusionsreaktor der Welt in Deutschland? Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik hat seinen Hauptsitz in München. Eine nationale Hyperloop-Referenzstrecke? Die TU München hat 2023 Europas erstes Hyperloop-Testsegment gebaut, eingeweiht von Ministerpräsident Markus Söder. Eine "Hightech-Agenda für Deutschland"? Die "Hightech-Agenda Bayern" läuft seit Jahren, dazu gehört die Raumfahrtmission "Bavaria One", die Söder 2018 verkündet hatte.

 

Insofern wird Bär von Anfang an unter Beobachtung stehen. Wird sie Ministerin aller deutschen Wissenschaftsstandorte sein – nicht nur der bayerischen? Schafft sie es, den als erstes anstehenden Umbau des Ministeriums organisatorisch zu managen? Wird sie die Mitarbeiter ihres Hauses, das von der Fördermittelaffäre unter ihrer Vor-Vorgängerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) erschüttert wurde, menschlich mitnehmen und strategisch zusammenführen mit den Neuankömmlingen aus dem BMWK? Und: Kann sie neben den großen Überschriften die geduldige, methodische und konzeptionelle Arbeit leisten, die Forschungspolitik in Wirklichkeit bedeutet?

 

Eine Karriere reich an
Momenten der Ambivalenz

 

Bärs Karriere ist reich an Momenten, die ihre Ambivalenz illustrieren. Ihr Auftritt als "Wonder Woman" im Cosplay-Outfit auf der "German Comic Con" machte Schlagzeilen, weil sie die Distanz zwischen Popkultur und Politik überwand. Gleichzeitig waren sie Anlass für Spott: Eine Ministerin, die Science-Fiction lebt, während andernorts die reale Digitalisierung stockte?

 

Ähnlich verhielt es sich mit ihrer berühmten Flugtaxi-Aussage. Im Jahr 2018, als sie Digitalministerin wurde, sagte sie im ZDF-Interview: "Das Thema muss doch sein: Kann ich auf dieser Infrastruktur, die wir haben, dann auch autonom fahren? Habe ich die Möglichkeit auch zum Beispiel mit einem Flugtaxi durch die Gegend fliegen zu können?" Während Moderatorin Marietta Slomka anmerkte, dass es ihr wichtiger wäre, mit mehr als 15 Megabit pro Sekunde ins Internet zu können als mit Flugtaxis zu reisen. 

 

Und doch zeigten sich in solchen Momenten bei Bär Qualitäten, die in der technokratischen deutschen Forschungspolitik selten sind: ein offener, ja manchmal kompromissloser Zukunftsoptimismus und der Mut zum Unkonventionellen.

 

Geboren 1978 im oberfränkischen Bamberg, wuchs sie in einer politisch aktiven Familie auf und trat mit 16 Jahren der Jungen Union bei. Nach dem Abitur studierte sie Politikwissenschaften in München und Berlin, und 2002 zog sie mit nur 24 Jahren in den Bundestag ein und gehört mit ihren 46 Jahren bereits zu den erfahrensten Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion. Schnell machte sie sich einen Namen als Fachpolitikerin für Familien- und Netzpolitik und feilte an ihrem Ruf als jugendlich-moderne Stimme der CSU.

 

Messbare Ziele,
konkrete Meilensteine

 

Abgesehen von den großen Zukunftsvisionen wird von Bär in den nächsten Jahren viel forschungspolitischer Gestaltungswille und Verhandlungsgeschick abverlangt werden. Wenn die versprochene "Hightech-Agenda" nicht die nächste forschungsstrategische Eintagsfliege wird, sondern – anders als etwa die "Zukunftsstrategie Forschung und Innovation" – über die Legislaturperiode hinausreichen soll, braucht sie messbare Ziele, konkrete Meilensteine und vor allem eine tragfähige Verknüpfung zwischen politischen Deklarationen, tatsächlichen Vorhaben und deren Finanzierung.

 

Die anstehende Verlängerung des Pakts für Forschung und Innovation (PFI), der die großen außeruniversitären Forschungsorganisationen und die DFG finanziert, erfordert ebenfalls eine ehrliche Bestandsaufnahme: Wie können die schon jetzt mehr als elf Milliarden Euro jährlich für Max Planck & Co künftig so fließen, dass sie einerseits möglichst viel wissenschaftlichen Freiraum lassen und von möglichst wenig Bürokratie begleitet werden, und dass andererseits die Organisationen einen nachweisbaren Beitrag zur Hightech-Agenda leisten und die effektive Verwendung der Steuergelder sicherstellen?

 

Die Liste ließe sich fortsetzen: Nach der gescheiterten Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) muss Bär in ihrer Zeit als Ministerin eine neue Grundlage für verlässliche und attraktive Wissenschaftlerkarrieren schaffen – durch die schon für 2026 angekündigte WissZeitVG-Reform, aber auch durch weitere Initiativen zusammen mit den Ländern. Nur dann wird auch das geplante "1000-Köpfe-Programm" für die Anwerbung internationaler Spitzenforscher (vor allem aus den USA) eine systemische Wirkung erzielen können, anstatt wie ein UFO zu wirken.

 

Bär muss ausbuchstabieren, was sich hinter dem Slogan "Deutsche Anwendungsforschungsgemeinschaft" (DAFG) im Koalitionsvertrag verbirgt, die an die Stelle der nie gegründeten DATI treten soll, wie sie sich zur DFG verhält und wie genau die Forschungsförderung für die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften zwischen DAFG und DFG organisiert werden soll.

 

Ein Ministerium passend
zum Zukunftsnarrativ?

 

Nicht zu unterschätzen ist auch die Integration der bislang im BMWK angesiedelten Mittelstandsprogramme ZIM, IGF und INNO-KOM in die neue Dachmarke "Initiative Forschung & Anwendung": Heißt das, auch die Innovationsreferate wechseln ins BMFTR? Wehrt sich das Wissenschaftsministerium dagegen? Und wenn ja, was bedeutet das für die künftige Zusammenarbeit der Ministerien?

 

Und wenn es im Koalitionsvertrag heißt, die Exzellenzstrategie solle mit ihren beiden Förderlinien Exzellenzcluster und Exzellenzuniversitäten für eine "mögliche Förderperiode" ab 2030 "grundlegend" evaluiert werden, dann muss Bär die Zweifel zerstreuen, die von der Formulierung "mögliche Förderperiode" für eine an sich doch auf Dauer gestellte Bund-Länder-Förderung ausgehen.

 

Apropos Zweifel: An den Hochschulen fürchten viele immer noch, der Weggang der Bildung aus dem Ministerium könnte bedeuten, dass auch die Hochschulbildung raus müsse aus dem BMFTR. Auch wenn laut Verhandlungsinsidern diese Frage, siehe meinen Artikel vom 9. April, mit Abschluss des Koalitionsvertrages abgeräumt war. Ergenbnis: Die Hochschulen bleiben als Ganzes im BMFTR. Doch zeigt die Debatte, wie wichtig bei einer Neuordnung von Ministerien die Kommunikation nach innen wie außen ist.

 

Doro Bär tritt ihr Amt in einer Phase großer Erwartungen und Zweifel an. Gelingt es ihr, Vision und Umsetzung zu verbinden und als Nicht-Fachfrau (und anders als Bettina Stark-Watzinger) die reichhaltige Expertise der Fachleute im bisherigen BMBF zu nutzen, dann könnte es klappen mit dem schlagkräftigen neuen Ministerium passend zum Zukunftsnarrativ. Bleibt sie hingegen in regionaler Nabelschau und symbolischer Politik stecken, droht der große Aufbruch ein PR-Manöver zu bleiben.




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Kommentare: 3
  • #1

    Keller (Montag, 28 April 2025 16:09)

    Danke für den informativen Artikel. Bamberg liegt übrigens in Oberfranken ;)

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Montag, 28 April 2025 16:11)

    Danke für Kompliment und Korrektur. Habe ich geändert!

  • #3

    Daniel Piechowski (Dienstag, 29 April 2025 12:51)

    Drücken wir uns alle die Daumen, dass das BMFTR nicht zu einem bayerischen Förderministerium degeneriert sondern zukunftsweisend wirkt!