"Raumfahrt ist kein bayerisches Projekt"
Niedersachsens Wissenschaftsminister Falko Mohrs über seine Rolle als neuer GWK-Vorsitzender, die Zusammenarbeit mit Dorothee Bär, Prioritäten in der Forschungspolitik – und warum Niedersachsen mehr als nur VW-Sonderdividenden kann.

Fotos: Moritz Küstner.
Herr Mohrs, Deutschland hat jetzt eine Raumfahrtministerin. Wie finden Sie das?
Richtig und wichtig. Raumfahrt ist eine Schlüsseltechnologie, das haben wir auch im Koalitionsvertrag klar benannt. Es geht dabei nicht nur um sicherheitsrelevante Aspekte, sondern ebenso um zivilgesellschaftliche Anwendungen. Für mich steht Raumfahrt exemplarisch für den Anspruch, am Rande des technisch Möglichen zu forschen. Insofern ist es folgerichtig, dass dieses Feld stärker in den Fokus genommen wird. Ich verspreche mir davon viel.
Was bedeutet für Sie Forschung am Rande des technisch Möglichen?
Wir müssen wieder ambitionierter werden in der Verwertung der herausragenden Arbeit, die unsere Hochschulen und Forschungsinstitute leisten. In Niedersachsen haben wir zum Beispiel rund um Satellitentechnologien einen erheblichen Schwerpunkt. Es bewegt sich viel in der ganzen Republik.

Falko Mohrs, Jahrgang 1984, absolvierte ein duales Studium bei Volkswagen und an der Ostfalia Hochschule. Bevor er 2017 per Direktmandat für die SPD in den Bundestag einzog, arbeitete er bei Volkswagen, zuletzt als Koordinator in der Touran- und Tiguan-Fertigung. Im November 2022 berief ihn Ministerpräsident Stephan Weil zum niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kultur. Seit November 2024 koordiniert Mohrs die Politik der SPD-Wissenschaftsminister. Mit sofortiger Wirkung übernimmt er nun auch den Ko-Vorsitz in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern.
Manche fürchten, das BMBF werde von der CSU jetzt zu einem Ministerium für bayerische Technologieförderung umgemodelt.
Das ist kein bayerisches Thema. Die Raumfahrt hat auch in anderen Bundesländern mit SPD-geführter Regierungsbeteiligung wie Bremen und Hamburg einen hohen Stellenwert – ebenso in Niedersachsen. Wir sollten Raumfahrt als nationales Zukunftsfeld verstehen. Entsprechend war auch die Schwerpunktsetzung im Koalitionsvertrag von allen Partnern gleichermaßen so gewollt.
Mit Dorothee Bär als Bundesforschungsministerin übernimmt eine Unionspolitikerin den bundesseitigen Vorsitz in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern. Was bedeutet, dass der länderseitige Vorsitz von Bayerns CSU-Wissenschaftsminister Markus Blume an einen SPD-Minister übergeht, und zwar an Sie. Herzlichen Glückwunsch! Was wollen Sie als diesjähriger GWK-Vorsitzender Ihrer stellvertretenden Vorsitzenden mit auf den Weg geben?
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Der Koalitionsvertrag, an deren Aushandlung Landesminister ja beteiligt waren, formuliert ambitionierte Ziele. Jetzt geht es darum, diese in konkrete Politik zu übersetzen. Das gelingt wiederum nur gemeinsam. Weder kann der Bund das allein stemmen, noch die Länder. Und genau das ist die Idee der GWK: ein Ort, an dem wir als Bund und Länder gemeinsam gestalten. Ich bin optimistisch, dass das gelingt.
Worin sehen Sie da Ihre Rolle als länderseitiger Vorsitzender?
Die GWK ist genau deshalb als Doppelspitze angelegt, um das gute Miteinander von Bund und Ländern zu betonen.
"Das Paktforum soll ein Raum für Koordination
und Debatte sein – ohne neue Bürokratie"
Die vergangene Legislaturperiode, als Bettina Stark-Watzinger (FDP) das BMBF führte, herrschte in der GWK allerdings häufiger eine Stimmung des Gegeneinanders.
Ich bin da für die Zukunft sehr optimistisch. Ich werde meinen Teil dafür tun und zugleich die Interessen der Länder selbstbewusst vertreten – immer in gemeinsamer Verantwortung, nicht gegeneinander.
Dann machen Sie es mal konkret. Was sind für Sie die inhaltlichen Prioritäten zwischen Bund und Ländern in den nächsten zwölf Monaten?
Es gibt einige offensichtliche Themen: Künstliche Intelligenz (KI) etwa. Deutschland ist stark in der angewandten KI, wir müssen hier weiter vorankommen, insbesondere mit Blick auf die im Koalitionsvertrag angekündigte AI Factory. Da besteht ein enger Zusammenhang zur Zukunft des Pakts für Forschung und Innovation (PFI), das Paktforum wird dies KI zum Thema haben. Auch die Sicherheits- und Verteidigungsforschung ist ein wichtiges Feld, für das neue Förderlinien entwickelt werden sollen. Und dann natürlich die Programmpauschalen der DFG, die für die Hochschulen zentral sind. Außerdem die großen Investitionsvorhaben.
Der PFI, über den Bund und Länder die großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen und die DFG finanzieren, mit jährlich wachsendem Budget, ist gerade 20 Jahre alt geworden. Dass er weiterentwickelt werden muss, da besteht in der Wissenschaftspolitik Konsens. Aber lassen sich die Vorgabe verbindlicher Ziele, ein besseres Controlling und zugleich weniger Bürokratie und möglichst große Autonomie für die Wissenschaft überhaupt effektiv miteinander verbinden?
Die Zielvereinbarungen im Rahmen des Paktes sind bereits ein guter Weg, weil sie Ziele definieren, ohne ins Mikromanagement zu verfallen. Es geht nun darum, die Zusammenarbeit zwischen den Organisationen komplementär zu gestalten und den Transfer sowie die Translation zu stärken. Dafür haben wir ein neues Paktforum ins Leben gerufen, das ein Raum für Koordination und Debatte sein soll – ohne neue Bürokratie.
Wann startet das Paktforum?
Anfang Juli wollen wir uns auf ein erstes Arbeitsprogramm einigen. Es wird sich schwerpunktmäßig um KI als Schlüsseltechnologie drehen. Die Paktorganisationen wollten mit einem strategisch gesetzten Thema beginnen. Wir erhoffen uns davon Klarheit über die Komplementarität zwischen den Einrichtungen und den Transfer.
"Keiner stellt die Zukunft
der Exzellenzstrategie in Frage"
Gar nicht erwähnt in ihrer Prioritäten-Liste haben Sie die Exzellenzstrategie. Dabei konnte man angesichts der Formulierungen im Koalitionsvertrag denken, deren Zukunft stehe zur Disposition.
Ich habe mich im Nachhinein gefragt, warum wir damit offenbar für Unklarheiten gesorgt haben. Und ich bin dankbar, dass Dorothee Bär das bei der Hochschulrektorenkonferenz Anfang der Woche gleich richtiggestellt hat. Keiner stellt die Zukunft der Exzellenzstrategie in Frage. Die laufende Runde wird wie geplant umgesetzt. Nächste Woche fallen Entscheidungen zu bis zu 70 Clustern. Danach folgt das Verfahren für die Auswahl der Exzellenzuniversitäten.
Was aber war denn dann die Botschaft im Koalitionsvertrag?
Was wir ausdrücken wollten, war: Wenn die Entscheidungen für die nächste Förderrunde gefallen sind, dann wollen wir die bisherigen Erfahrungen evaluieren, schauen, welche Entwicklungen es gegeben hat – strategisch wie performativ – und daraus Schlussfolgerungen für die nächste Runde ziehen. Das ist kein Infragestellen, sondern eine kritische Betrachtung im Sinne von Weiterentwicklung.
Es gab doch vor dieser zweiten Runde gerade erst eine Weiterentwicklung – vor allem auf Wunsch der Landesminister, die ihre Universitäten im Wettbewerbsnachteil sahen. Wird der Wettbewerb so lange zurechtgeschraubt, bis alle gewinnen? Und als Minister, der auch gern mal wieder eine Exzellenzuniversität im Bundesland hätte, geraten Sie da nicht in Widerspruch mit Ihrer GWK-Führungsrolle?
Ich sehe weder eine Aufgabe des Wettbewerbsgedankens noch einen möglichen Interessenkonflikt. Noch einmal: Nach der aktuellen Runde ziehen wir Bilanz, evaluieren und diskutieren dann über eine mögliche Weiterentwicklung. Nicht im Sinne einzelner Länder, sondern im Sinne einer strategischen Verbesserung des Gesamtverfahrens.
Bei der Hochschulrektorenkonferenz hat Dorothee Bär auch angekündigt, dass der Zukunftsvertrag nicht nur über den bislang vereinbarten Rahmen weiter dynamisiert werden soll, sondern entfristet wird. Was ein wenig wunderte, weil er eigentlich von Anfang an auf Dauer angelegt war, oder?
Für mich ist das ein starkes Signal, dass der Bund hier Verbindlichkeit zeigen will. Wichtig ist aber auch: Das geht nur gemeinsam mit den Ländern.
Und die Länder sind fast ausnahmslos klamm. Sie haben am Anfang selbst die geplante Erhöhung der DFG-Programmpauschalen von 22 auf 30 Prozent angesprochen, wovon die Länder ebenfalls zwei Prozentpunkte finanzieren sollen.
Das wird ein weiterer Kraftakt. Umgekehrt kompensieren die Länder schon heute faktisch, dass die DFG-Programmpauschalen nicht ausreichen. Hochschulen nehmen das aus ihrer Grundfinanzierung. Aber klar, eine Anhebung belastet die Länder, und die Haushaltslagen sind überall angespannt. Der Bundes-Koalitionsvertrag sieht die Anhebung in der genannten Höhe vor. Aber das ist noch nicht Konsens unter den Ländern. Wir müssen noch diskutieren.
"Vielleicht gibt es Effizienzgewinne –
vielleicht auch nicht"
Vier Prozent der Anhebung soll die DFG aus ihrem bestehenden Haushalt tragen. Wissenschaftler warnen, dass dadurch bei Projektanträgen die Bewilligungsquote weiter sinken wird.
Wir brauchen eine saubere Analyse. Vielleicht gibt es Effizienzgewinne, die ohne Leistungskürzungen möglich sind. Vielleicht auch nicht. Das müssen wir in der GWK klären. Wichtig ist: Es geht um eine schrittweise Anhebung, nicht um eine plötzliche Vollanpassung. Der Koalitionsvertrag hat einen Pflock eingeschlagen, nun folgt die konkrete Arbeit.
Eine zentrale Aufgabe für Dorothee Bär wird in der Ausgestaltung der "Hightech-Agenda für Deutschland" bestehen, mit der die Koalition hohe Erwartungen geweckt hat. Genauso hohe Erwartungen, und das schon kurzfristig, verbinden sich mit dem "1000-Köpfe-Programm", das von der Trump-Administration bedrohte US-Wissenschaftler nach Deutschland holen soll. Beides Projekte nur für das BMFTR, oder wollen Sie da als Länder in der GWK auch mitreden?
Wenn die Länder nicht an Bord sind, wird weder das eine noch das andere funktionieren. Die Hightech-Agenda betont die Einbeziehung universitärer Akteure, für die wir Länder verantwortlich sind. Sie bedingt die Transferstärke der HAWs und die Forschungstiefe der Universitäten. So, wie viele der Geförderten des 1000-Köpfe-Programms auch an Hochschulen gehen werden. Ich sehe beim Bund aber auch nicht die Absicht, das ohne die Länder durchzuziehen. In der GWK werden wir gemeinsam über die Umsetzung sprechen.
Hier ein Hochglanzprogramm für internationale Spitzenforscher, da der unterfinanzierte Uni-Alltag für die Talente, die schon hier sind – und von denen, insofern sie nicht Professoren sind, die meisten befristet arbeiten. Wie kann das zusammengehen, ohne böses Blut zu erzeugen?
Es gibt hierzu schon verschiedene Vorschläge der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, und die halte ich für klug. Wie man zum Beispiel in bestehende Förderprogramme investieren kann.
Sie meinen etwa die Programme der Alexander-von-Humboldt-Stiftung?
Unter anderem. Wobei wir ganz sicher nicht einfach 1000 zusätzliche Humboldt-Professuren ausschreiben werden. Wir brauchen eine Vielfalt an Formaten, um eine breite Wirkung zu entfalten. Es geht also darum, die besten Köpfe nach Deutschland zu holen und hier zu halten.
Wäre es nicht klüger, das Wissenschaftssystem insgesamt attraktiver zu machen?
Das eine schließt das andere nicht aus. Wir haben in Niedersachsen zum Beispiel das Programm "Kluge Köpfe“. Da geht es nicht um Sondergehälter, sondern um gute Rahmenbedingungen: Forschungsgruppen, Infrastruktur, Personal. Das nützt der ganzen Einrichtung. Wenn man solche Programme klug ausgestaltet, entsteht keine Zwei-Klassen-Struktur, sondern ein Gewinn für alle.
Welche Rolle spielen Rahmenbedingungen wie das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, an dessen Novelle die Ampelkoalition gescheitert ist?
Wir warten jetzt auf die Ergebnisse des Wissenschaftsrats. Der wurde von Bund und Ländern gemeinsam beauftragt, Vorschläge zu den Personalstrukturen im Wissenschaftssystem zu erarbeiten. Ich erwarte, dass die Novelle danach zügig und konzentriert angegangen wird. Es wird nicht einfach, einen Kompromiss zu finden, aber man darf das nicht erneut auf die lange Bank schieben.
Gehen dann auch die Debatten über Modelle wie "3+3", "4+2" oder "2+4" wieder los?
Die Verhandlungen sollten sich nicht auf reine Zahlenkolonnen verengen. Deshalb haben wir ja den Wissenschaftsrat beauftragt: Um der Komplexität gerecht zu werden.
"Bei uns in Niedersachsen
gibt es keine Kürzungen"
Apropos attraktive Hochschulen: In vielen Bundesländern wird massiv gespart. Demnächst auch wieder bei Ihnen in Niedersachsen, nachdem die Sonderkonjunktur der VW-Sonderdividende aus dem Porsche-Börsengang verfrühstückt ist?
Wir haben über eine Milliarde Euro in gut zwei Jahren über das strategische Programm "zukunft.niedersachsen" ausgeschüttet. Natürlich war das eine Sondersituation. Aber es wird auch weiterhin reguläre VW-Dividenden geben, die wir in die niedersächsische Wissenschaftsförderung investieren. Dieses Jahr rund 200 Millionen Euro, was weiterhin mehr ist als der langjährige Durchschnitt.
Die Hochschulen halten dagegen, die Globalbudgets der Hochschulen seien nicht auskömmlich und seit knapp 20 Jahren nicht mehr real erhöht worden.
Mehr ist notwendig und geht immer, aber die entscheidende Botschaft zurzeit lautet: Bei uns in Niedersachsen gibt es keine Kürzungen, keine Spardiskussionen, auch nicht bei der Grundfinanzierung. Der Hochschulentwicklungsvertrag bleibt bestehen, und die Tarifkostensteigerungen werden ausgeglichen.
An der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover agiert ein Interimspräsident, an der Universität Göttingen ebenfalls, und die Universität Vechta hat nach der Abwahl der bisherigen Präsidentin derzeit nicht einmal das. Ein an Sie gerichteter Brandbrief unter anderem des Landrats des Landkreises Vechta und des Vorsitzenden der Universitätsgesellschaft fordert Sie auf, das strukturelle und personelle Vakuum zu beenden. Welche Schlüsse ziehen Sie aus der dreifachen Misere?
Die Fälle in Hannover, Vechta und Göttingen waren sehr unterschiedlich, aber wir haben aus allen drei gelernt. In Göttingen haben alle beteiligten Gremien das Wohl der Hochschule voran gestellt und mit Professor Axel Schölmerich eine hervorragende Übergangslösung ermöglicht. In Vechta werden wir auch bald entscheidend vorankommen. Und an der HMTMH in Hannover beruhigt sich die Situation und wir können hoffentlich neu starten. Unterdessen arbeiten wir im Wissenschaftsministerium an einer Modernisierung der Hochschulgovernance über das Niedersächsische Hochschulgesetz. Diese befindet sich nun in der finalen Phase.
Was wollen Sie anders machen?
Das verrate ich Ihnen, wenn es soweit ist.
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