Amerikas Schaden, Deutschlands Verantwortung
Trumps jüngster Angriff auf Harvard markiert eine neue Eskalationsstufe im Feldzug gegen die Wissenschaft. Jetzt muss die Bundesrepublik zeigen, dass sie die Freiheit von Forschung und Lehre nicht nur rhetorisch verteidigt, sondern aktiv schützt. Was das konkret bedeutet.

Widener Library der Harvard University (Symbolbild). Foto: Joseph Williams, CC BY 2.0,via Wikimedia Commons.
ES IST EINE ZÄSUR in einer Zeit der Zäsuren, ein noch vor wenigen Monaten unvorstellbarer Schlag gegen die Wissenschaftsfreiheit. Ein Angriff, der sich nahtlos einreiht in eine Serie von Übergriffen der US-Administration auf staatliche und gesellschaftliche Institutionen – in einer Kaltblütigkeit, Ignoranz und Brutalität, die man sich vor der Wiederwahl Donald Trumps kaum vorstellen konnte. Oder nicht vorstellen wollte.
Dass es erneut die Harvard-Universität trifft, zeigt, wie sehr sie mittlerweile in den Augen Trumps und seiner Leute zu einem Hauptgegner avanciert ist – einfach aus dem Grund, weil sie sich ihnen nicht beugen will. Weil sie, personifiziert durch ihren Präsidenten Alan M. Garber, weiter glaubt an die Werte von Aufklärung, Liberalismus und Freiheit im Denken, Forschen und Handeln – und weil sie zu diesen Überzeugungen auch die finanziellen Ressourcen hat, sich Trump öffentlich in den Weg zu stellen.
Am Donnerstag berichtete zuerst die New York Times, das Heimatschutzministerium habe Harvard die Zertifizierung entzogen, internationale Studierende aufzunehmen – weil die Universität "antiamerikanischen und pro-terroristischen Agitatoren" erlaubt habe, jüdische Studierende auf dem Campus zu attackieren. Weil sie sich weigere, ein sicheres Umfeld für jüdische Studierende zu schaffen und ihre Gleichstellungsrichtlinien den staatlichen Vorgaben anzupassen. Und weil die Universität mit der Kommunistischen Partei Chinas zusammenarbeite. Deshalb verliere die Universität mit dem Beginn des akademischen Jahres 2025/26 das "Privileg", ausländische Studierende aufzunehmen, wie Heimatschutzministerin Kristi Noem Harvard schriftlich mitteilte.
Jeden einzelnen dieser Vorwürfe könnte man – teils zum wiederholten Mal – einer gründlichen Überprüfung unterziehen. Etwa die Anschuldigungen zu antisemitischen Ausschreitungen, zu denen Harvard eigene Untersuchungen in Auftrag gegeben hat. Oder den Vorwurf einer Zusammenarbeit mit der chinesischen Führung – unbelegt, unkonkret, letztlich nichtssagend.
Man könnte erörtern, was es für eine der weltweit führenden Universitäten bedeutet, sollte sie tatsächlich von ihrer Internationalität abgeschnitten werden, vom internationalen Austausch der Menschen und Ideen, ohne die Wissenschaft und noch mehr Spitzenwissenschaft nichts ist. Man kann und muss sich die menschlichen Schicksale ausmalen, die sich mit der Umsetzung des Verbots verbinden würden, all die jungen Menschen, gegenwärtige und künftige Studierende Harvards, die in diesen Stunden um ihre wissenschaftliche und persönliche Zukunft bangen, die Universität wechseln oder möglicherweise das Land verlassen müssen. Und man könnte spekulieren, ob Garbers Ankündigung (und deren am Freitag erfolgte Realisierung), den Entzug der Zulassung gerichtlich zu bekämpfen, zu Hoffnung Anlass gibt. Denn dazu braucht es nicht nur unabhängige Gerichte, sondern auch eine Regierung in Washington, die sich an deren Entscheidungen hält.
Am Ende aber ist aus deutscher Sicht nur eine Feststellung entscheidend: Die Zurückhaltung muss jetzt enden. Bislang haben unsere Wissenschaftspolitik und Wissenschaftseinrichtungen mehrheitlich keine aggressive Abwerbestrategie gegenüber der US-Wissenschaft fahren wollen, um angesichts der existentiellen Not der Partner zum billigen Krisengewinnler zu werden.
Das Ende der Zurückhaltung
Das war und ist richtig so. Doch die Botschaft muss jetzt klar und eindeutig und sie muss laut sein: Deutschland und Europa bekennen sich zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit und zum Schutz verfolgter Wissenschaftler, woher auch immer sie stammen. Und das bedeutet, nicht wie im schwarz-roten Koalitionsvertrag allgemein von einem "1000-Köpfe-Programm" für internationale Talente zu sprechen, sondern jetzt sehr schnell eine weitaus größere und umfassendere Initiative aufzulegen, die speziell – und explizit – auf aus den USA flüchtende und vertriebene Studierende und Wissenschaftler abzielt. Nicht nur in der Spitze, sondern in der Breite. Eine aggressive Schutzstrategie, die braucht es jetzt.
Die ersten Stellungnahmen seit der Meldung der New York Times stimmen hoffnungsvoll. "Es wird dunkel in den USA. Sehr dunkel", postete bereits am Donnerstagabend die Grünen-Parteivorsitzende Franziska Brantner. "Jetzt kommt es auf uns an und unsere wachsende Verantwortung für die freien Wissenschaften und die Lehre."
Am Freitagvormittag meldete sich Forschungsministerin Dorothee Bär (CSU) zu Wort. Die Wissenschaftsfreiheit sei nicht verhandelbar. "Trumps Vorgehen gegen Harvard und internationale Studenten widerspricht allem, wofür das 'Land of the Free' stehen sollte – offener Austausch ist essentiell für Forschung und Lehre." Und sie fügte bei der Sitzung der EU-Forschungsminister hinzu: E"uropa ist und bleibt ein attraktiver Ort der garantierten Wissenschaftsfreiheit. Dazu müssen wir auf europäischer Ebene alle eng zusammenarbeiten. Dafür bitte ich um Ihre Unterstützung."
So, wie Trump einen persönlichen Feldzug gegen die Wissenschaft führt, müssen die Regierungsspitzen Europas persönlich gegenhalten. Emmanuel Macron hat das Anfang Mai schon getan, Friedrich Merz (CDU) sollte es tun. Und sehr schnell und sehr deutlich in einer Rede sagen, dass die Bundesregierung die internationale Verantwortung für die freie Wissenschaft zu übernehmen bereit ist, auf die es jetzt ankommt. Und dann zusammen mit Dorothee Bär ein Programm vorstellen, das dieser Zäsur angemessen ist. Inklusive des Angebots, unbegrenzt Studierende und Wissenschaftler amerikanischer Universitäten aufzunehmen – und zwar aller Karrierestufen, gespeist aus einem Fonds von zunächst mindestens einer Milliarde Euro. Inklusive Großvorhaben zur Sicherung bedrohter Forschungsdaten und dem strategischen Aufbau international frei nutzbarer Infrastrukturen zur Datensammlung und zum Datenaustausch. Klotzen, nicht kleckern ist jetzt angesagt.
Vielleicht löst das ja sogar bei Donald Trump etwas aus. Nicht sehr wahrscheinlich, aber man sollte in diesen Tagen nichts für unvorstellbar halten.
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