Direkt zum Inhalt

Wie viele Studenten wirklich abbrechen

Das Statistische Bundesamtes liefert erstmals präzise Daten zu Studienabbrüchen. Ein entscheidender Schritt, um die Hochschulbildung zu verbessern und den Fachkräftemangel zu bekämpfen.

Bild
Artikelbild: Wie viele Studenten wirklich abbrechen

Bild: d4rkwzd / Pixabay.

DASS DEUTSCHLAND ein Statistikproblem hat, ist Politik und Öffentlichkeit spätestens in der Pandemie drastisch vor Augen geführt worden. Das Fehlen grundlegender Daten zum Zustand der Bevölkerung, einfach weil sie nicht erhoben wurden, erschwerte informierte Entscheidungen über geeignete Corona-Gegenmaßnahmen, wo sie besonders gut gerechtfertigt werden mussten. Wie lange der Aufbau der für Sammlung und Analyse notwendigen Strukturen dauert, aber auch wie erhellend ihr Einsatz ist, zeigt jetzt ein Blick in die Hochschulen.

2016 beschloss der Bundestag eine Novelle des Hochschulstatistikgesetzes. Nachdem sich ein Vierteljahrhundert lang keine Regierung mehr drangetraut hatte – aus Angst vor einer Debatte über den vermeintlich gläsernen Studenten? Jedenfalls war die deutsche Ahnungslosigkeit in ihren Ausmaßen einzigartig in Europa: Wie viele Doktoranden gab es? Keine Ahnung, wurde nicht erhoben. Wie viele Studenten brachen ihr Studium ab, in welchen Studiengängen, an welchen Hochschulen? Können wir nur schätzen, sagten die Hochschulforscher.

Jetzt, acht Jahre später, hat das Statistische Bundesamt auf der Grundlage der damals ermöglichten Studienverlaufsstatistik erstmals eine exakte Abbrecherquote nach drei Hochschulsemestern berechnet. Sie beträgt über alle grundständigen Studiengänge und Hochschulen hinweg bei den 2019er Studienanfängern elf Prozent. Klingt nicht viel, ist aber auch nur "eine erste Momentaufnahme", wie das Bundesamt schreibt. Je weiter die untersuchten Anfängerjahrgänge voranschreiten, desto höher wird die Quote steigen.

Abiturienten brechen seltener ab

Doch schon die ersten Ergebnisse sind eindrücklich: Internationale Studierende brechen häufiger ab als einheimische (17 versus zehn Prozent), Studienanfänger mit beruflicher Hochschulreife eher als sonstige Abiturienten (16,4 versus 9,7 Prozent). Bachelorstudierende kehren dem Hörsaal doppelt so oft den Rücken wie Staatsexamler oder die wenigen noch vorhandenen Magister- und Diplomstudierenden.

Und nein, sie wechseln nicht "nur" Studiengang oder Hochschule, denn das ist der größte Gewinn der neuen Statistik: Diese gerade von Fächern mit notorisch hohem Studierendenschwund bemühte Ausrede fällt weg. Die Verlaufsstatistik zeigt, ob sich die Studierenden innerhalb von drei Semestern anderswo wieder einschreiben. Nur wenn sie es nicht tun, gelten sie als Abbrecher. Nächstes Jahr soll die Quote auch auf einzelne Fächergruppen heruntergebrochen vorliegen.

Ein paar Wermutstropfen aus Sicht der Hochschulforscher bleiben. So sorgten die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern 2016 dafür, dass zum Beispiel Migrationshintergrund und die soziale Herkunft der Studierenden aus dem damaligen Gesetzentwurf flogen. Und dennoch: Auch wenn die individuellen Gründe für einen Abbruch vielfältig sind und manche Abbrecher in einer dualen Ausbildung erst so richtig abheben, verspricht es eine spannende Diskussion über die Verantwortung der Hochschulen für den Studienerfolg zu werden, je mehr Daten die neue Statistik liefert. In Zeiten des Fachkräftemangels kommt sie zum richtigen Zeitpunkt.

Dieser Kommentar erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.


Kostenfreien Newsletter abonnieren

In eigener Sache: Bitte unterstützen Sie meine Arbeit hier im Blog

Zuletzt hat sich die Blogfinanzierung verbessert, besten Dank dafür! Bitte helfen Sie auch im Juni mit, damit alle Artikel weiter für alle kostenfrei zugänglich bleiben können. Mehr lesen...

Wie Sie Blog und Newsletter unterstützen können, erfahren Sie hier...

Kommentare

Neuen Kommentar hinzufügen

Ihr E-Mail Adresse (wird nicht veröffentlicht, aber für Rückfragen erforderlich)
Ich bin kein Roboter
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.

Nachfolgende Beiträge in dieser Kategorie


  • Artikelbild: Englisch zum Start, Deutsch zum Abschluss

Englisch zum Start, Deutsch zum Abschluss

Die Universität Magdeburg startet einen bilingualen Informatik-Studiengang. Mit dem Programm habe man es nicht nur auf internationale Bewerber abgesehen, sondern auf die Absolventen der 600 bilingualen Gymnasien in Deutschland, sagt Initiator Thomas Strothotte – und wirbt mit einer Vier-Tage-Uniwoche.


  • Artikelbild: 25 Jahre Studienreform: Kein Aufreger mehr

25 Jahre Studienreform: Kein Aufreger mehr

Der Bologna-Prozess ist ein Vierteljahrhundert alt. Und niemand lamentiert. Dabei hatten viele den großen Niedergang der Hochschulbildung kommen sehen. Doch auch zum großen Feiern fehlen die Gründe.


  • Artikelbild: Euphorie und Wirklichkeit

Euphorie und Wirklichkeit

Mehr Dauerstellen neben der Professur? Neue HRK-Leitlinien wecken Hoffnungen bei Gewerkschaften und Initiativen – doch die politischen Realitäten bewegen sich in eine andere Richtung.