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Keine Staatskrise, aber ein Lehrstück

Dorothee Bärs Auftritt bei "Maischberger" offenbart ein Dilemma zwischen politischer Meinung und ministerieller Verantwortung. Die Kritik aus der Wissenschaft ist laut – doch was lässt sich daraus lernen?
Maischberger

Dorothee Bär (rechts) bei "Maischberger" zusammen mit Grünen-Chefin Franziska Brantner (Screenshot).

DIE AUFREGUNG in Teilen der Wissenschaftscommunity war groß. Erneut sei eine Wissenschaftsministerin "ein massiver Fail", kommentierte die Münchner Soziologieprofessorin Paula-Irene Villa Braslavsky: "ideologisch, dumm und in der Sache so falsch wie im Amt unprofessionell." Dorothee Bär sei "gerade auf gutem Weg", das Vertrauen der deutschen Wissenschaft in ihr Ministerium "zu verspielen", schrieb "#IchbinHanna"-Mitbegründerin Amrei Bahr. Bär verharmlose die öffentliche Diffamierung einer Wissenschaftlerin.

Scharfe Kritik kam auch aus der Opposition. Die grüne Wissenschaftspolitikerin Ayse Asar sagte, die Aussagen der Forschungsministerin legitimierten die politische Einflussnahme auf Wissenschaftler "und signalisieren, dass eine klare rechtswissenschaftliche Positionierung – selbst auf Basis verfassungsrechtlicher Argumentation – Karrieren gefährden kann."

Was war geschehen? Am Dienstagabend hatte sich BMFTR-Chefin Bär bei "Maischberger" im Gespräch mit der Grünen-Vorsitzenden Franziska Brantner über die gescheiterte Neuwahl von Verfassungsrichtern und die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf gestritten. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits rund 300 Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler in einem Offenen Brief den Umgang mit ihrer Kollegin, Juraprofessorin an der Universität Potsdam, angeprangert und vor einer Beschädigung des Bundesverfassungsgerichts gewarnt.

"Ein bisschen putzig"

Eine Situation, in der eine Bundesforschungsministerin auf der Hut hätte sein müssen. Doch Bär, die zugleich stellvertretende CSU-Vorsitzende ist, argumentierte vor allem aus ihrer Rolle als Parteipolitikerin, wie eine ausführliche Wiedergabe ihrer Äußerungen zeigt.

Man hätte vielleicht, sagte sie, "im Vorfeld an der einen oder anderen Stelle eine Bremse reinhauen müssen, definitiv." Doch aus der Angelegenheit jetzt eine "Riesenstaatskrise" zu machen, erschließe sich ihr nicht. In der Krise zeige sich natürlich auch, "wie jetzt damit umgegangen wird. Übrigens auch von der Kandidatin selber, wie damit umgegangen wird. Und dass man sich in einer Demokratie einer Wahl stellen muss. Und ich finde es auch ein bisschen putzig, jetzt so diese Mär, die gesponnen wird, dass jetzt auch keine Kritik geübt werden darf an einer Richterin, an einer Wissenschaftlerin, an einer Frau. Kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, weil ich glaube, wir tun Frauen auch keinen Gefallen, wenn wir uns nicht mit ihren Inhalten auseinandersetzen dürfen. Und ein bisschen Resilienz und ein bisschen, dass man auch kritikfähig sein muss, erwarte ich auch von jemandem, der sich ins höchste deutsche Gericht wählen lassen möchte."

Im weiteren Verlauf der Diskussion sagte die Ministerin noch: Wenn mündige Abgeordnete zu dem Ergebnis kämen, sie könnten es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, Brosius-Gersdorf zu wählen, "dann respektiere ich es und dann erwarte ich aber auch von der Kandidatin, dass sie mal für sich selbst überlegt, ob sie die Richtige ist."

Bär war also schon während ihres Auftritts bei "Maischberger" der Auffassung, dass der Streit um Brosius-Gersdorf zu sehr aufgeblasen werde, angesichts des teilweise heftigen Gegenwinds nach ihren Äußerungen dürfte sie es umso mehr sein. Kommentiert hat sie die Reaktionen jedoch bislang nicht.

Warum im Moment jedes Wort zählt

Tatsächlich lässt sich vermuten, dass in anderen Zeiten die Aufregung in der Wissenschaftscommunity über solche Sätze einer Wissenschaftsministerin weniger extrem ausgefallen wäre. Doch sind eben in gleich mehrfacher Hinsicht keine normalen Zeiten.

Erstens: Die Demokratie befindet sich unter Druck von rechts, und dabei spielen Angriffe auf Wissenschaftler eine gewichtige Rolle. Verbale, aber auch körperliche. Das ist bei allen politischen Debatten über die Rolle von Wissenschaft immer die gefühlte Ausgangslage für viele Forschende und ihre Erwartung, dass sich die Wissenschaftspolitik schützend vor sie stellen muss.

Zweitens: Bärs Vor-Vorgängerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat in der Fördergeld-Affäre unendlich viel Porzellan zerschlagen, das Ansehen des Bundesforschungsministeriums in der Wissenschaft wurde massiv erschüttert.

Und so, wie es Kurzzeit-Forschungsminister Cem Özdemir (Grüne) gelungen war, mit den richtigen Worten und Gesten ein Tauwetter zwischen BMBF und Wissenschaft einzuleiten, so wird bislang auch Dorothee Bärs Auftreten gerade in der Spitze der Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen als gewinnend, konstruktiv und vertrauensbildend wahrgenommen. Sie hat Ideen und Ambitionen fürs neu zusammengesetzte BMFTR, sie ist durchsetzungsfähig und kommunikativ stark.

Gekippte Debatte

Doch angesichts der Gefährdung von Demokratie und Wissenschaftsfreiheit, gerade, aber nicht nur in den USA, befinden sich viele in der Wissenschaft weiter im Krisenmodus und bleiben hellhörig. Man beobachtet, wie nach anfänglich sachlicher Auseinandersetzung etwa in der FAZ auf Rechtsaußen-Plattformen eine Ad-hominem-Kampagne gegen eine angeblich "linksradikale" Rechtswissenschaftlerin losgetreten wurde, am Ende geboostert mit Plagiatsvorwürfen, von denen sich selbst der ansonsten nicht zimperliche "Plagiatsjäger" Stefan Weber distanzierte.

Wenn eine Forschungsministerin dann von einer "Mär" redet, dass keine Kritik an einer Wissenschaftlerin geübt werden dürfe, wenn sie sagt, sie erwarte "ein bisschen Resilienz" und Kritikfähigkeit "von jemandem, der sich ins höchste deutsche Gericht wählen lassen möchte", dann sind das für weite Teile der Wissenschaft Triggerpunkte.

Erst recht, wenn bekannt wird, dass es Morddrohungen gegen Brosius-Gersdorf gab, sie unter Polizeischutz steht und sie selbst berichtet, sie habe wegen der Gefährdungslage ihre Lehrstuhlmitarbeiter nach Hause schicken müssen.

Es sei "mehr als erstaunlich, dass die zuständige Ministerin der Betroffenen in dieser Situation lediglich Selbstkritik nahelegt", sagte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Wiebke Esdar am Mittwoch dem Spiegel. "In einer Lage, in der die Wissenschaft bedroht ist, wäre mindestens Solidarität die angemessene Reaktion gewesen."

Hätte Bär sich als Wissenschaftsministerin schützend vor Brosius-Gersdorf stellen können und zugleich in der Sache ihre Meinung als Parteipolitikerin zu Protokoll geben können? Vielleicht – nur ist der Spagat für eine Wissenschaftsministerin aus den oben genannten Gründen immer – und aktuell besonders – groß. So wie die Erwartung, dass gerade sie einen differenzierten Ton anschlägt.

Worauf es jetzt ankommt

Ob sich die Causa Brosius-Gersdorf zu der "Riesenstaatskrise" auswächst, die Bär nicht sieht, bleibt abzuwarten. In der Wissenschaftspolitik jedenfalls sollte man sie nicht herbeireden, sondern nüchtern festhalten: Da hat eine Forschungsministerin, die gut gestartet ist, nicht den Ton gefunden, den viele, und das aus guten Gründen, von ihr erwartet haben. Daraus kann, daraus sollte sie lernen.

Um nochmal die SPD-Vizefraktionsvorsitzende Esdar zu zitieren, selbst eine langjährige Wissenschaftspolitikerin: "Die demokratischen Fraktionen müssen jetzt gemeinsam einen Weg finden, die anstehenden Richterwahlen mit der nötigen Zweidrittelmehrheit zu ermöglichen", sagte sie dem Wiarda-Blog am Donnerstagmorgen. "Ohne taktische Spielchen, hämische Kommentare oder Triumphgeheul auf der einen oder anderen Seite. Um der Demokratie willen." 

Dass Bär sich nach der Kritik an ihr bislang nicht wieder geäußert hat, ist insofern womöglich die klügste Reaktion. 

Kommentare

#1 -

Laubeiter | Fr., 18.07.2025 - 10:56

Vielen Dank für den Text. Der Bundestag und die Partei der Ministerin scheint mir mit seinem Taktieren bei der Wahl einer Richterin für das Gericht, dass die Gesetzgebung des Bundestages auf ihre Konformität mit der Verfassung prüft, einen Versuch zu starten, die Gewaltenteilung auszuhebeln und das Verfassungsgericht als ein von ihm abhängiges Instrument zu etablieren. Daher sehe ich eine symbolische Funktion in dieser Debatte über die Wahl. Eine Wissenschaftsministerin, die einer Professorin im TV Ratschläge gibt und es an Verständnis für die Gemengelage vermissen lässt, scheint sich die Rolle zurechtgelegt zu haben für einen Versuch, sich auf die Seite derer zu stellen, die Wissenschaft eh überbewertet finden.

#1.1 -

Wolfgang Kühnel | So., 27.07.2025 - 13:57

Antwort auf von Laubeiter (nicht überprüft)

Das betrifft nur die Partei der Ministerin? Wo steht im Grundgesetz etwas von einem Parteienproporz bei der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts? Den haben sich wohl die Parteien selbst hinzugedichtet. Jetzt kommt noch hinzu, dass solche Fragen in Talk-Shows behandelt und zerredet werden.

Weil die Parteien ungeniert die Exekutive (also die Regierung) dominieren, andererseits auch die Legislative (Bundestag/Bundesrat), ist die Gewaltenteilung ohnehin schon aufgeweicht. Und jetzt soll das auch noch bei der Judikative passieren? Potentielle Verfassungsrichter geraten zwischen die Fronten der Parteien, sollen aber später über das urteilen, was die Parteien so anrichten? Ich glaube, die Väter des Grundgesetzes wollten etwas anderes und nicht die Parteien als obersten Souverän des Staates etablieren. Nach dem Grundgesetz besteht die Regierung aus Personen, nicht aus Parteien, und ist auch keinen Parteien gegenüber verantwortlich, schon gar nicht deren Jugendorganisationen. Auch die Minister sind ihren jeweiligen Parteivorsitzenden gegenüber nicht verantwortlich, eine Abberufung einzelner Minister ist nicht möglich. Nur  ein konstruktives Misstrauensvotum kann eine Regierung stürzen.

#2 -

Lothar Zechlin | Fr., 18.07.2025 - 15:36

Der Satz, „nach anfänglich sachlicher Auseinandersetzung etwa in der FAZ“ sei danachauf Rechtsaußen-Plattformen eine Ad-hominem-Kampagne gegen eine angeblich ‚
linksradikale‘ Rechtswissenschaftlerin losgetreten“ worden, lässt m.E. die Rolle der FAZ in allzu unschuldigem Licht erscheinen.Losgetreten“ hat die Kampagne die FAZ selbst, in der Stephan Klenner am 3. Juli gleich mit drei Artikel zu Wort kam. Auf Seite 1 zitiert er einen CDU-Abgeordneten „unter der Bedingung, dass sein Name nicht genannt werde,“ mit dem Satz, die Union könne nicht „eine ultralinke Juristin ans Verfassungsgericht“ wähle. Vertieft wird das dann auf Seite 4 mit einem erneut anonymen Zitat „Frau Brosius-Gersdorf ist lebenskritisch“.  Das ist mehr als reine Berichterstattung. Vor allem aber platziert Klenner an prominenter Stelle auf Seite 1 einen Leitkommentar, in dem er der Kandidatin ohne jeden Beleg vorwirft, dass ihre „Haltung zu Menschenwürde, Wahlrecht und weltanschaulichere Neutralität mehr spaltet als zusammenführt“. Eine sachliche Auseinandersetzung ist das nicht.

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