Unflexibel
In einem Rutsch vom ersten Bachelor-Semester bis zum Master-Abschluss: Das ist immer noch die Studiennorm an Deutschlands Universitäten. Schade eigentlich.
EIGENTLICH WAR ES anders gedacht. Der Bachelor, so lautete einst der Plan der Bologna-Reform, sollte der neue Regelabschluss werden. Drei Jahre Studium, und dann geht es in den Beruf. Ausgestattet mit Grundkenntnissen in wissenschaftlicher Theorie und Methode, dazu mehr Praxisanteile als bei den alten Abschlüssen. Oder, wenn man wissenschaftlich in die Tiefe bohren will, setzt man einen Master drauf. Gern in einem anderen Fach. Gern aber auch erst, nachdem man ein paar Jahre Berufserfahrung gesammelt hat.
Dass das in Deutschland so nichts wird, zeichnete sich früh ab. Das Studienmodell, das sich vor allem an den Universitäten etablierte, läuft so: Nach dem Bachelor folgt sehr oft direkt der Master, meist auch noch an derselben Uni, im selben Fach. Fast so, als hätte der Bachelorabschluss nur die Bedeutung des früheren Vordiploms oder einer Magister-Zwischenprüfung. 66 Prozent der Uni-Studierenden rutschen direkt zum Master durch, in Mathe oder den Naturwissenschaften sogar fast 80 Prozent. So hat es das Statistische Bundesamt gerade für den Bachelor-Absolventenjahrgang 2019 gemeldet – fast exakt die gleichen Werte wie für den Jahrgang davor.
Das ist einerseits schade, andererseits verständlich. Schade: Es würde vielen ehemaligen Bachelor-Studierenden sicher nicht schaden, erst ein paar Jahre zu arbeiten. Herauszufinden, was ihnen wirklich Spaß macht und welche ihrer Fähigkeiten sie weiterentwickeln wollen, um dann zielgenauer den dazu genau passenden Master zu suchen. Vielleicht stellen sie unterwegs sogar fest, dass sie gar keinen Master mehr wollen oder brauchen.
Ein ganzer Bachelor ist nur ein halber Akademiker?
Verständlich: In vielen Fächern, gerade in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, herrscht immer noch die Sichtweise vor: Ein ganzer Bachelor ist nur ein halber Akademiker. Und Bachelor und Master sind eigentlich eine Einheit. Die Logik von Bologna, unterschiedliche Bachelor- und Masterstudiengänge zu kombinieren, bilden dagegen immer noch zu wenige Universitäten ausreichend in ihrem Studienangebot ab.
Ist das real existierende deutsche Bologna-Modell, so unflexibel es auf den ersten Blick aussieht, deshalb gescheitert? Keineswegs. Die Bachelor-Master-Kombinationen werden bunter. Am Akademiker-Arbeitsmarkt herrscht Vollbeschäftigung. Und außerdem gibt es ja noch die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Von deren Absolventen wechseln nur 29 Prozent mehr oder weniger direkt in den Master. Die große Mehrheit sucht sich erstmal einen Job, findet fast immer einen, und das sehr schnell. Bei hoher Berufszufriedenheit. Viele von ihnen schließen dann später einen Master an.
Ein größeres Problem besteht allerdings darin, dass viele Unis besonders Bewerbern mit HAW-Bachelor den Zugang zu ihren Masterprogrammen immer noch schwer machen. Trotz der offiziell festgelegten Gleichwertigkeit. Zudem bleibt eine weitere unerfüllte Bologna-Hoffnung: Die Studienabbrecher-Quoten sind in vielen Fächern nicht gesunken, in einigen sind sie sogar gestiegen. Ob das an Bachelor und Master lag, ist allerdings fraglich.
Jedenfalls ist in den Bologna-Anfangsjahren heftig gestritten worden über Sinn und Unsinn der Reform. Inzwischen ist es verdächtig ruhig geworden. Ein bisschen mehr Debatte, wo ein modernes Studiensystem hingehen sollte, wäre sicher angesagt nach zwei Jahrzehnten. Vielleicht böte ja das kürzlich beschlossene Wissenschaftsrats-Papier "Hochschulbildung im 21. Jahrhundert" dafür den Anlass. Bislang sieht es allerdings nicht so aus. Die Reaktion der Hochschulszene darauf war so wenig hörbar, dass sie nicht einmal verhallen konnte.
Dieser Kommentar erschien heute zuerst im ZEIT-Newsletter Wissen3.
Kommentare
#1 - Aus der MINT-Ecke gefragt: hatte man denn auch eine…
Mit den G8-Experimenten und der Abschaffung von Leistungskursen hatte man im Studium genug zu kämpfen, um das Niveau zu halten. Bildung, auch vertiefte, ist in den letzten Jahren nicht unwichtiger geworden. Und sie braucht Zeit.
Übrigens scheint das der Staat für seine eigenen Stellen ähnlich zu sehen. Wo kann man den mit dem Bachelor als Lehrer oder Richterin arbeiten, bevor man den Master macht?
#2 - Ich will mich meinem dem vorherigen Kommentar anschließen.…
Meiner Erfahrung ist es in der Informatik eher anders herum, viele Studenten eignen sich selber praktisches Wissen neben dem Bachelor-Studium an, oft auch durch einen Werksstudenten-job, und haben dann die Möglichkeit gleich einzusteigen. Nicht jeder traut sich das zu.
#3 - Dem deutschen Bologna-Modell hängt immer noch nach, dass…
Der AR schafft es leider auch nach Erneuerung des rechtlichen Rahmens nicht, das fortbestehende Vakuum zu füllen und seinem Auftrag entsprechend für die notwendigen qualitätssichernden Reformen zu sorgen. Wenn dieser sehr hartnäckige Diplomklebstoff endlich mal in seiner Wirkung nachlassen und die verantwortlichen Lehrenden sich einmal auf eine ernsthafte strukturelle Reform einlassen würde, wäre selbst unter den gegenwärtigen finanziellen und kapazitätsrechtlichen Rahmenbedingungen ein wahrer Qualitätsboost möglich.
#4 - Ein wichtiger Fakor ist sicherlich auch die Finanzierung -…
Und um sich 2 Jahre Master ohne Finanzierung aus dem Elternhaus und/oder BAFöG finanziell erlauben zu können, muss ein Kredit aufgenommen werden oder aber in der kurzen Zeit zwischen BA & MA so viel erwirtschaftet werden, dass man zwei Jahre davon leben kann. Berufsbegleitende Master sind meines Wissens nach in der Regel auch nicht kostenfrei...
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