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Die Hochschulen sitzen am Katzentisch

So wichtig die geplante Deutsche Agentur für Transfer und Innovation ist, so wenig nachvollziehbar lief die Besetzung ihrer Gründungskommission. Ein Gastbeitrag von Muriel Helbig.

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Artikelbild: Die Hochschulen sitzen am Katzentisch

Muriel Helbig, 48,ist promovierte Psychologin und seit 2014 Präsidentin der Technischen Hochschule Lübeck.Foto: TH Lübeck.

DATI. SIE IST SO WICHTIG, denn als Deutsche Agentur für Transfer und Innovation soll sie "über starke Transfernetzwerke, sogenannte regionale Innovationsökosysteme, neues Wissen aus der Forschung und innovative Ideen schneller in die Anwendung bringen." So zumindest steht es auf der Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).

Zwei Jahre nach der Verankerung der DATI im Koalitionsvertrag, nach dem Rücktritt eines Staatssekretärs, dem Verriss eines ersten Eckpunktepapiers im Haushaltsausschuss, nach einem laut BMBF "transparenten Weg mit Stakeholdern" wurde nun in einem völlig intransparentem Verfahren eine Gründungskommission erfunden und besetzt, die laut BMBF den Auftrag hat, "Vorschläge für Standort und Leitungspersonal zu entwickeln" und weiterhin "Empfehlungen zu inhaltlichen und prozeduralen Aspekten beim Auf- und Ausbau der DATI zu geben" (man genieße die Reihenfolge der Aufgabenbeschreibung).

Die Einrichtung einer Gründungskommission wäre an für sich ein sinnvoller nächster Schritt. Wenn, ja wenn man sich dabei an seine eigenen Worte gehalten hätte ­­­– beispielsweise an die des Ampel-Koalitionsvertrages: "Mehr Fortschritt wagen" 2021 bis 2025. Dort steht auf Seite 17, die DATI solle "soziale und technologische Innovationen insbesondere an den HAW (Hochschulen für angewandte Wissenschaften) und kleinen und mittleren Uni­versitäten in Zusammenarbeit unter anderem mit Start-ups, KMU sowie sozialen und öffentlichen Organisationen" fördern. Oder wenn man sich an das gehalten hätte, was laut Jan-Martin Wiarda in einer internen Arbeitsversion des BMBF steht: eine Betonung der wissenschaftlichen Orientierung der Agentur sowie die Konsortialführerschaft der Innovationscommunities durch wissenschaftliche Einrichtungen, auf Grund ihrer Anwendungsorientierung "inbesondere" durch Hochschulen für angewandte Wissenschaften.

Von "insbesondere HAW" ist nicht mehr viel übrig

An all das aber hat man sich bei der Besetzung der Gründungskommission irgendwie nicht mehr erinnert. Von "insbesondere HAW und kleine und mittlere Universitäten" ist nicht viel übrig: Hochschulen sitzen mit gerade mal sechs von 16 Personen am Katzentisch; Gleichberechtigung ist hier zahlenmäßig übersetzt in zwei Vertreter*innen von HAW zu vier von Universitäten. Und apropos Katzen: Damit Wissenschaft auf eine Beteiligung von müden 50 Prozent in der Gründungskommission kommt, hat man fröhlich die außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit an den Tisch geholt. Und ihnen den gleichen Sitzanteil wie den HAW gegeben (die, wir erinnern uns, in jahrelanger Überzeugungsarbeit eine Transferagentur überhaupt erst auf die politische Agenda gebracht hatten).

Und nein, selbst die Leitung der Kommission wurde nicht an eine Persönlichkeit aus der Wissenschaft übertragen. Das wiederum kann nur bedeuten, dass man sich im BMBF nicht einmal an das eigene Eckpunktepapier halten wollte (oder konnte?), in dem von einer wissenschaftsbasierten Impulsgebung für Innovationen und deren Nutzung in Wirtschaft und Gesellschaft die Rede ist.

Damit können, damit dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Die DATI ist zu wichtig. Hochschulen und ihre Partner*innen warten dringend darauf, und die Gesellschaft braucht sie. Es bleibt nur die Hoffnung, dass die Gründungskommission sich dieser Verantwortung bewusst ist und klug entscheiden wird. Und dass man im BMBF zurückkehrt zu den eigenen Ansprüchen: transparente Wege zu einer wissenschaftsbasierten und gut ausgestatteten Transferagentur DATI.

Kommentare

#1 -

Norbert Esser | Fr., 10.11.2023 - 07:05
Seit 1996 habe ich mich in der Administration der Förderung der "anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung an Fachhochschulen" (aFuE) engagiert. Damals war mir klar, das es sich um das "sägen dicker Bretter" handeln würde. Längst weiß ich, es sind "Bäume".

#2 -

Laubeiter | Di., 14.11.2023 - 12:25
Anders als die Autorin sehe ich die Lösung für dies Gremium nicht in einem Entweder-Oder sondern in einem Sowohl-als- Auch; außeruniversitären Einrichtungen von MPG, FHG, HGF, WGL erhalten hohe Grundförderung für Forschung, daher kann eine Erwartung an sie dann auch Transfer und Innovation und ihre Mitsprache bei der Ausrichtung staatlicher Programme sein.

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