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Einen Deutschlandpakt für die junge Generation

Bei den finalen Verhandlungen über den Bundeshaushalt wird sich jetzt zeigen, ob die Ampel für die junge Generation außer warmen Worten auch harte Währung übrighat. Das BAföG wird die Nagelprobe. Ein Gastbeitrag von Matthias Anbuhl.

Matthias Anbuhl ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks (DSW). Vorher leitete er die Abteilung für Bildungspolitik und Bildungsarbeit beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Foto: Kay Herschelmann.

ERINNERT SICH NOCH JEMAND? Es waren die Jungen, die in der Pandemie zugunsten vulnerabler Gruppen unserer Gesellschaft die größten Entbehrungen auf sich genommen haben. Sie waren am härtesten von den Lockdowns betroffen. Und dann: geschlossene Kitas, Schulen und Hochschulen, als die Wirtschaft längst wieder lockerte. Junge Menschen haben sich in der Krise solidarisch gezeigt – und zahlen psychosozial bis heute einen hohen Preis dafür, angefangen von Lernrückständen bei den Schüler*innen über motorische Defizite und stark angestiegene psychische Erkrankungen von Jugendlichen. 

 

Die psychologischen Beratungsstellen für Studierende der Studierendenwerke werden förmlich überrannt, die Wartezeiten haben sich vervielfacht. Gegenüber der Zeit vor Pandemie, Kriegen und Inflation sind die psychischen Probleme der Studierenden gravierender, existenzieller geworden. Es geht viel stärker um Existenzängste, depressive Verstimmungen, bis hin zu Suizidgedanken.  Nach der neuen, 22. Sozialerhebung bilden Studierende mit psychischen Erkrankungen die bei weitem größte Gruppe unter den gesundheitlich Beeinträchtigten. Ihr Anteil ist gegenüber der 21. Sozialerhebung aus dem Jahr 2016 um zehn Prozentpunkte gestiegen, von 55 auf 65 Prozent. Wir haben eine Mental-Health-Krise der Studierenden.

 

Wir schulden den jungen Menschen nicht nur Dank und Anerkennung. Wir schulden ihnen eine Politik, auch eine Finanz-Politik, die ihren Interessen oberste Priorität einräumt. Wir müssen alles dafür tun, dass unsere Kinder, unsere Azubis und unsere Studierenden gute Zukunftschancen und die bestmögliche Ausbildung und Bildung bekommen. Denn wir brauchen sie – auch angesichts des demografischen Wandels. Sie sind die zukünftigen Fachkräfte.

 

Studienfinanzierung, Wohnen, Mobilität

 

Für die rund 2,9 Millionen Studierenden in Deutschland gibt es aus meiner Sicht vor allem drei kritisch Themen: die Finanzierung, das Wohnen, die Mobilität.

 

Finanzierung: In den multiplen Krisen haben punktuelle Maßnahmen Studierenden in finanzieller Not durchaus geholfen, etwa die 200 Euro Einmalzahlung oder die zwei Heizkostenzuschüsse für BAföG-Empfänger*innen. Aber das System der staatlichen Studienfinanzierung insgesamt hat an Vulnerabilität leider zu- statt abgenommen. Derzeit haben wir es mit einer toxischen Mischung zu tun: Das BAföG ist strukturell zu niedrig, gleichzeitig erreicht es zu wenige Studierende. Derweil geht der Zinssatz für den KfW-Studienkredit durch die Decke. Die staatliche Studienfinanzierung steckt in der Krise, während die Mieten und die Preise für die Lebensmittel weiter steigen. In dieser Lage ist es grundfalsch, auf eine BAföG-Erhöhung zu verzichten. Genau das hat die Bildungsministerin aber vor. Sie will im Bundeshaushalt 2024 die BAföG-Mittel kürzen. Ihre BAföG-Versprechen drohen stillschweigend begraben zu werden. Inflationsausgleich? Nicht vorgesehen, stattdessen: Nullrunden 2023, 2024… Die im Koalitionsvertrag versprochene BAföG-Strukturreform? Auf die lange Bank geschoben. Hier muss das Parlament beherzt eingreifen und den Bundeshaushalt korrigieren.

 

Mobilität: Das Deutschlandticket bringt verbilligte Mobilität für die gesamte Bevölkerung. Ausgerechnet für die Studierenden könnte das Ticket zum Bumerang werden. Weil es für sie noch immer keine bundesweite Lösung gibt für ihre bisherigen, solidarisch finanzierten Semestertickets, fallen die nun reihum an den Hochschulen weg. Schon jetzt kann ein Viertel der 200.000 Studierenden in Berlin nur noch wählen zwischen überhaupt keinem Semesterticket oder dem Deutschlandticket für 49 Euro im Monat. Das sind dann im Semester rund 300 Euro – einiges mehr, als sie bisher für ihr Semesterticket bezahlt haben. Ausgerechnet für die Studierenden droht trotz oder wegen des Deutschlandtickets die Mobilität unerschwinglich zu werden, derweil in Berlin die Professor*innen mit ihrem Jobticket günstiger den ÖPNV nutzen können als ihre Studierenden. Absurd! Hier müssen die Ministerpräsident*innen der Länder und der Bundeskanzler endlich eine Lösung finden, die Bus und Bahn für Studierende nicht verteuert, sondern verbilligt.

 

Wohnen: Hier gibt es zumindest einen Lichtblick. Das neue Bund-Länder-Programm "Junges Wohnen", mit dem bezahlbarer Wohnraum für Studierende und Azubis geschaffen wird, kann zwar kurzfristig die für Studierende katastrophale Wohnsituation in den Hochschulstädten nicht lindern, mittel- oder langfristig hat das Programm aber das Potenzial, zumindest etwas Abhilfe zu schaffen. Vorausgesetzt, das Programm wird, wie von Bundesbauministerin Klara Geywitz angekündigt, verstetigt, und die Länder ziehen kraftvoll mit.

 

Setzt die Bundesregierung die "klugen Prioritäten"?

 

Insgesamt bleibt das Bild aber düster. Die junge Generation drohte in den Finanzplanungen der Ampel-Koalition bereits vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mittwoch zum Nachtragshaushalt 2021 unter den Tisch zu fallen Jetzt entscheidet sich in den Schlussberatungen zum Bundeshaushalt 2024 um so mehr, ob diese Bundesregierung für die junge Generation außer warmen Worten auch harte Euros übrighat. Das BAföG ist die Nagelprobe: Werden die versprochenen, regelmäßigen Erhöhungen und die so dringend benötigte Strukturreform den Sparzwängen geopfert? Oder setzt die Bundesregierung die "klugen Prioritäten", die der Bundesfinanzminister anmahnt?

 

Wird die BAföG-Reform abgesagt, schadet das auch Wirtschaft und Gesellschaft. Studienabbrüche aus Geldmangel können wir uns nicht leisten. Es geht um die künftigen Lehrkräfte, Ingenieur*innen, Informatiker*innen und Ärzt*innen, die so händeringend gebraucht werden.

 

Anstatt des Rotstifts brauchen wir frei nach Olaf Scholz einen Deutschlandpakt für die nachwachsende Generation. Wir brauchen Investitionen ins Bildungssystem, auf allen Ebenen. Das sind wir den jungen Menschen schuldig.


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