Direkt zum Inhalt

Taktieren in der Zeitenwende

Militärforschung ist auf absehbare Zeit das einzige echte Wachstumssegment in der Wissenschaft. Was bedeutet das für Hochschulen und Forschungsinstitute?

Bild
Artikelbild: Taktieren in der Zeitenwende

Der Freie-Elektronen-Laser FLASH von DESY in Hamburg. Foto: Olaf Kosinsky, CC BY-SA 3.0 

DIE BUNDESREGIERUNG hat eine eigenartige Methode, um die deutschen Verteidigungsausgaben auf die NATO-Zielquote von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung hochzurechnen. Während sie selbst auf 2,01 Prozent kommt, ermittelte das IW Köln nämlich nur 1,83 Prozent, die der Stärkung der Bundeswehr zugute kommen. Aber gut, selbst wenn man annähme, die zwei Prozent wären erreicht und das Sondervermögen, das wesentliche Teile davon finanziert, unendlich: Der Druck, die Ausgaben auf drei oder 3,5 Prozent zu heben, steigt.

Ein Prozent mehr Bruttoinlandsprodukt, das sind zurzeit 43 Milliarden Euro, 1,5 Prozent fast 65 Milliarden. Letzteres entspricht dem Dreifachen des BMBF-Haushalts.

Wenn nun also die Landeswissenschaftsminister in der impliziten Auffassung, der Bund sei in einer finanziell günstigeren Lage, diesen unter anderem wieder für den Hochschulbau und für ein KI-Infrastrukturprogramm einspannen wollen, kann man das mutig, forsch, realitätsfern oder frech nennen. Denn: Die Länder selbst muten der Wissenschaft zum Teil empfindliche Einschnitte zu, wie etwa ein Blick nach Berlin zeigt.

An Hochschulen und Forschungseinrichtungen jedenfalls ist den meisten klar: Das einzige echte Wachstumssegment in der Wissenschaft wird auf absehbare Zeit die Militärforschung sein.

Dabei geht es um weit mehr als die Entwicklung neuer Waffen und deren Abwehr. Alles, was auch nur in Ansätzen "Dual Use" ist, zählt dazu, die Erforschung neuer Materialien, die Erhöhung der Cybersicherheit, das Erreichen nationaler oder europäischer Souveränität in KI und anderen Schlüsseltechnologien.

Mecklenburgs SPD-Wissenschaftsministerin Bettina Martin sagte neulich im Blog, sie sei davon überzeugt, dass es weder möglich noch realistisch sei, die strikte Trennung zwischen militärischer und ziviler Forschung aufrechtzuerhalten. "Wir Deutschen haben eine Verantwortung für Europas Sicherheit zu tragen", fügte Martin, zurzeit Präsidentin der Wissenschaftsministerkonferenz (Wissenschafts-MK) hinzu.

Man muss, man sollte dabei nicht so weit gehen wie die bayerische Staatsregierung, die ihren Hochschulen den Beschluss von Zivilklauseln untersagt hat und sie in Fällen der "nationalen Sicherheit" sogar zur Kooperation mit der Bundeswehr verpflichtet. Gegen das "Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern" haben gerade über 200 Menschen, initiiert von der GEW, eine sogenannte Popularklage am Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht, man sehe Wissenschaftsfreiheit und Friedensgebot in Gefahr.

Ein Austausch frei von gegenseitigen Vorhaltungen und Besserwisserei

Unterdessen vollziehen viele Universitäten und Forschungsinstitute den Turnaround längst, einige eher unter dem Radar, andere als Teil eines strategischen Prozesses. Wie das DESY. Dessen Direktor Helmut Dosch hat die Entstehung eines Eckpunktepapiers vorangetrieben, das eine Förderung von Forschungsarbeiten vorsieht, die der Verteidigung der freiheitlichen Demokratie dienen. Angesichts von Protesten in der Belegschaft sagte der Dosch dem Spiegel, man werde "kein Waffenlabor werden und keinen Zweig für Militärforschung aufmachen", doch müsse Deutschland sich gegen äußere Bedrohungen verteidigen können. Etwa indem man die Röntgenlaserquelle Petra III nutze, um die Eignung von Materialien für Panzerungen zu überprüfen.

Ich meine: Es braucht jetzt überall in der Wissenschaft einen offenen und transparenten Austausch über den Kurs in der Zeitenwende, frei von gegenseitigen Vorhaltungen und Besserwisserei. Geht es wirklich um den Einsatz für Deutschlands Sicherheit und Verteidigung oder schlicht um das Erschließen neuer Finanzierungsquellen, weil bisherige zu versiegen drohen? Wäre das eine eher zu rechtfertigen als das andere? Zum Profil welcher Forschungseinrichtung passt ein stärkerer Fokus auf verteidigungsrelevanter Forschung, zu welcher nicht? Und wäre es umgekehrt angesichts der fundamental veränderten internationalen Sicherheitslage ethisch vertretbar, einfach weiterzumachen wie bisher, als sei alles noch wie vor fünf oder zehn Jahren? Über all das muss gesprochen werden – gerade an Hochschulen, die sich der Gesellschaft verpflichtet fühlen.

Eigentlich ist die Sache mit der Wissenschaftsfreiheit ganz einfach. Sie verträgt sich – erstens – nicht mit Gesetzen wie in Bayern. Und bedeutet – zweitens – eine ausreichende Wissenschaftsfinanzierung, so dass Wissenschaftler und Wissenschaftseinrichtungen frei wählen können zwischen rein ziviler Forschung, Dual Use und Militärforschung.

Die Realität im Jahr 2025 ist komplizierter. Mit ihr angemessen umzugehen, gehört zur Verantwortung der Wissenschaft.

Dieser Kommentar erschien zuerst im ZEIT-Newsletter Wissen3.

Neuen Kommentar hinzufügen

Ihr E-Mail Adresse (wird nicht veröffentlicht, aber für Rückfragen erforderlich)
Ich bin kein Roboter
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.

Vorherige Beiträge in dieser Kategorie


  • Artikelbild: Abenddämmerung im Innovationsland

Abenddämmerung im Innovationsland

Zu viele Unternehmen verlagern ihre Forschung und Entwicklung aus Deutschland weg, zeigt eine Umfrage. Wo ist der politische Alarmismus, wenn man ihn mal braucht? Ein Kommentar.


  • Arbeiten in der Wissenschaft: Wie kann Deutschland für Forscher attraktiver werden?

Arbeiten in der Wissenschaft: Wie kann Deutschland für Forscher attraktiver werden?

Wer auf hohem Level forscht, hat unsichere Karrierechancen. Die Wirtschaft lockt dagegen mit sicheren Jobs. Im Wahlkampf ist dieses Ungleichgewicht kein Thema. Doch die neue Regierung wird an ihm nicht vorbeikommen.


  • allgemeines Artikelbild - Der Wiarda Blog

Der Doppelschlag

Die Wissenschaftsminister der Länder fordern in zwei Positionspapieren milliardenschwere Investitionen von der nächsten Bundesregierung, darunter Bund-Länder-Programme für den Hochschulbau, für die KI-Infrastruktur und für neue Tenure-Track-Professuren. Realitätsfern? Mutig? In jedem Fall: die Selbstermächtigung der neuen Wissenschafts-MK.


Nachfolgende Beiträge in dieser Kategorie


  • Amerikanische Lektionen

Amerikanische Lektionen

So besorgniserregend Fördermittelkürzungen oder Listen mit unliebsamen Forschungsthemen sind: In einer Demokratie gibt es Gerichte, um im Bedarfsfall die Rechtmäßigkeit von Regierungshandeln überprüfen zu lassen. Doch was, wenn eine Regierung anfängt, Gerichtsurteile nicht mehr zu befolgen? Eine jedenfalls schaut der Trump-Regierung garantiert gerade sehr interessiert zu: Alice Weidel.


  • Artikelbild: Wir dürfen die EU-Forschungsförderung nicht den Wettbewerbspolitikern überlassen

Wir dürfen die EU-Forschungsförderung nicht den Wettbewerbspolitikern überlassen

Kaum ein Wissenschaftsmanager ist national wie international so gut vernetzt wie Georg Schütte. Ein Interview über Sorgen um das nächste Forschungsrahmenprogramm, Emmanuel Macrons KI-Vorstoß, Europas Innovationsrückstand – und Prioritäten für die nächste Bundesregierung.


  • Artikelbild: Folgt der Wissenschaft, nicht den Länderfürsten

Folgt der Wissenschaft, nicht den Länderfürsten

Wofür soll der Bund seine absehbar knappen Investitionsmittel in der Wissenschaft ausgeben? Für die Beantwortung dieser Frage gibt es wissenschaftsgeleitete Verfahren – eines davon droht in den anstehenden Koalitionsverhandlungen unterlaufen zu werden.