Wer auf hohem Level forscht, hat unsichere Karrierechancen. Die Wirtschaft lockt dagegen mit sicheren Jobs. Im Wahlkampf ist dieses Ungleichgewicht kein Thema. Doch die neue Regierung wird an ihm nicht vorbeikommen.

Bild: Ausschnitt der Titelseite des BuWiK.
FÜR ANGESTELLTE außerhalb von Hochschulen und Forschungsinstituten ist es eine unvorstellbare Zahl: sieben Prozent. Das ist der Anteil junger Wissenschaftler, die einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten, wenn sie nach erfolgreicher Doktorarbeit einen neuen Job in der Wissenschaft anfangen.
Für die übrigen 93 Prozent heißt es: hoffen, bangen und nur nicht zu sehr anecken, um auf jeden Fall die Verlängerung zu bekommen. Die vermutlich wiederum nur auf Zeit ist. Denn ein besonderes Arbeitsrecht extra für die Wissenschaft erlaubt, was in der Privatwirtschaft undenkbar wäre: sechs Jahre Befristung vor der Doktorarbeit – und nochmal sechs Jahre danach.
Eigentlich wollte die Ampel-Koalition das sogenannte "Wissenschaftszeitvertragsgesetz" (WissZeitVG), das die akademische Sonderregelung festschreibt, reformieren. Die Ambitionen waren groß: verlässliche Arbeitsbedingungen, mehr "Planbarkeit und Verbindlichkeit", das waren nur einige der Buzzwords im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP.
Doch die Parteien verzettelten sich in einem jahrelangen Streit über die genauen Konditionen. Als die Ampel zerbrach, schien bei den zuständigen Wissenschaftspolitikern fast so etwas wie Erleichterung zu herrschen: Sollten sich doch ihre Nachfolger in der nächsten Wahlperiode versuchen, die Erwartungen von Wissenschaftlerinitiativen mit denen der Wissenschafts-Chefetagen irgendwie unter einen Hut zu bringen.
Die Wirtschaft entfristet zehnmal
so häufig wie die Wissenschaft
Der neue "Bundesbericht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer frühen Karrierephase", kurz BuWiK, der vergangenen Donnerstag veröffentlicht wurde, liefert kurz vor der Bundestagswahl jede Menge Daten und Analysen, die zeigen, was alle Experten schon lange wussten: Der Handlungsbedarf ist weiter gewaltig.
Denn die nur 7,3 Prozent unbefristete Arbeitsverträge nach der Promotion stehen laut BuWiK 74 Prozent in der Privatwirtschaft gegenüber. Soll heißen: Entscheiden sich die frisch Promovierten, der Wissenschaft den Rücken zu kehren, werden sie dort zehnmal so häufig mit einem Dauerjob belohnt.
Bei der Bewertung dieses Unterschieds muss man nicht einmal mit der Moralkeule kommen, von wegen der Angemessenheit, hoch qualifizierte Leute jahrelang am Gängelband zu halten. Es reicht der Hinweis auf den bundesweiten Fachkräftemangel: Allein in den MINT-Berufen fehlen trotz Wirtschaftskrise über 200.000 Arbeitnehmer.
Wenn die Wissenschaft den jungen Wissenschaftlern nicht mehr bietet, gehen die besten weg aus der Forschung. Doch bislang reagierten Hochschulen und Forschungsinstitute erstaunlich wenig.
Zwar bekommen Postdocs in den Ingenieurwissenschaften dreimal so häufig Dauer-Verträge wie in den Geisteswissenschaften, doch ist deren absoluter Anteil mit zwölf Prozent trotzdem noch verschwindend. Während Unternehmen den Einstieg promovierter Ingenieure in 86 Prozent mit sofortiger Entfristung belohnen – versus, je nach Sichtweise immerhin oder nur – 47 Prozent bei den Geisteswissenschaftlern.
Als die parlamentarische Staatssekretärin im BMBF, Claudia Müller, den Bericht überreicht bekam, sprach sie trotzdem erstmal von den "positiven Entwicklungen", um anschließend zu konstatieren: "Beim Thema Befristungen, Chancengerechtigkeit und Diversität sind wir noch nicht am Ziel." Der dafür notwendige Kulturwandel in Wissenschaft und Forschung müsse weiter intensiviert werden.
Der neue Name
soll ein Signal sein
Manchmal, so dachten sich die Wissenschaftler hinter dem Bundesbericht, fängt der schon beim Namen an. Bislang hieß der "BuWiN", "Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs", doch stehe dieser Begriff seit Längerem in der öffentlichen Kritik. In der Tat: Wenige 30 oder 35 Jahre alte vollwertige Wissenschaftler mit Doktortitel wussten es zu schätzen, von Politikern und Wissenschaftslenkern in die gleiche Sprachkategorie wie Kitakinder gepackt zu werden. Da holen die bisherigen BuWiN-Macher sie jetzt raus – und signalisieren: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer frühen Karrierephase sind spätestens nach der Doktorarbeit keine Lehrlinge mehr.
Die Baustellen für die nächste Legislaturperiode sind klar: Dass mehr Leute dauerhaft angestellt werden, wird nicht allein durch andere Bestimmungen in einem Gesetz sinken, sondern nur über den gleichzeitigen Aufbau eines stimmigen Karrieresystems mit Positionen und Karrierestufen, die ineinandergreifen.
Gefördert durch eine Bundesinitiative, die etwas neben das seit 2017 laufenden Programm für einen verlässlicheren Weg zur Professur (Tenure Track) setzt. Wie ein solches System, Stichwort mehr Dauerstellen für Daueraufgaben auch neben der Professur, aussehen könnte, dazu will der Wissenschaftsrat im Frühjahr konkrete Vorschläge machen.
Wird eine – in der derzeit wahrscheinlichsten Variante – unionsgeführte Regierung sie aufnehmen? Die Union hat die WissZeitVG-Reform nicht mal in ihrem Wahlprogramm genannt. Doch vielleicht bietet gerade das einen Ausweg, über das ewige Kleinklein der gescheiterten Gesetzesänderung hinwegzukommen. Jetzt ist Zeit, umfassender zu denken.
Dieser Artikel erschien zuerst im Tagesspiegel.
Der BuWiK 2025
Seit 2008 erschien der "Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN)" regelmäßig einmal pro Legislaturperiode,
zuletzt 2021. Die am Donnerstag veröffentlichte fünfte Ausgabe trägt einen
neuen Namen: "Bundesbericht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer frühen Karrierephase" (BuWiK), enthält aber weiter eine Vielzahl an Statistiken, Vergleichswerten und die Ergebnisse
von Begleitstudien. Ein paar Zahlen:
o 2022 waren 212.320 hauptberufliche wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter an den Hochschulen beschäftigt, fast doppelt so viele wie 2005. Während die Professorenschaft nur um rund ein Drittel auf 51.161 wuchs.
o 90 Prozent des hauptberuflichen wissenschaftlichen und künstlerischen Personals unter 45 Jahren (ohne Professoren) waren 2022 befristet angestellt. Nur zwei Prozentpunkte weniger als 2018. Die Quoten bei Frauen und Männern sind nahezu identisch.
o Bei den Promovierenden (unter 35 Jahre) sind es an den Hochschulen 99,7 Prozent, bei den Promovierten (unter 40) 90 Prozent. In der Altersgruppe zwischen 40 und unter 45 liegt der Befristungsanteil unter Promovierten immer noch bei 62 Prozent, bei Nachwuchsgruppenleitungen sogar bei 72 Prozent, bei Habilitierten bei 44 Prozent.
o An außeruniversitären Forschungseinrichtungen ist der Befristungsanteil unter 45 mit 80 Prozent etwas geringer. Bis 35 Jahre ohne Promotion: 88 Prozent; Promovierte unter 40: 76 Prozent; Promovierte unter 45: 45 Prozent
o Die durchschnittliche Vertragslaufzeit für Promovierende betrug 29,6 Monate, eine deutliche Steigerung gegenüber den 22,1 im letzten Bericht, Postdocs: 34,3 Monate statt 27,5. Hier schlug offenbar die vorige Reform des WissZeitVG durch.
o Die Zahl der Tenure-Track-Professuren verdoppelte sich zwischen 2018 auf 2022 auf 1.336, während die Nachwuchsgruppenleitungen um ein Viertel auf 858 abnahmen. Auch die Zahl der Juniorprofessuren ohne Tenure Track sank um ein Viertel auf 988. Die Zahl der abgeschlossenen Habilitationen blieb mit 1.535 konstant.
o Die Promotionsquoten sanken insgesamt zwischen 2014 und 2022 von 22 auf 16 Prozent. Sie reichen von vier Prozent in der Kunst und Kunstwissenschaft bis zu 56 Prozent in der Humanmedizin/Gesundheitswissenschaft.
o Erstmals enthält der BuWiK Daten zur durchschnittlichen Promotionsdauer. Über alle
Fächer hinweg liegt sie bei 5,1 Jahre und stammt aus der "Nacaps"-Promovierendenbefragung.
o Die Arbeitslosenquote liegt zwischen dem dritten und dem siebten Jahr nach der Promotion kontinuierlich bei ein bis zwei Prozent. Promovierte haben fünf Jahre nach Abschluss im Schnitt ein um fast 20.000 Euro höheres Bruttojahreseinkommen als Hochschulabsolventen ohne Doktortitel.
o Der Frauenanteil in der Wissenschaft sinkt von Karrierestufe zu Karrierestufe ("Leaky Pipeline"), doch es gibt deutliche Fortschritte. 2015 waren 32 Prozent der neu Habilitierten Frauen, 2022 37 Prozent. Der Anteil bei den Juniorprofessuren stieg von 43 auf 49 Prozent, bei den W2-Neuberufungen ging es von 34 auf 46 Prozent deutlich rauf, bei W3 von 27 auf 36 Prozent.
Zu den BuWiK-Ergebnissen tragen unter anderem das Institut für Innovation und Technik (iit), das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), das Statistische Bundesamt und das INCHER in Kassel bei. Konsortialführer ist Rasmus Bode vom iit.
Die Tenure-Track-Professur habe sich als neuer Weg zur Lebenszeitprofessur etabliert, sagt BMBF-Staatssekretärin Claudia Müller bei der BuWiK-Präsentation. Auch außerhalb der Wissenschaft hätten junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hervorragende Karriereoptionen, unter Promovierten herrsche nahezu Vollbeschäftigung. "Die Investition in eine Promotion lohnt sich weiterhin."
Zur rasanten Entwicklung der Tenure-Track-Professuren seit Beginn des Bund-Länder-Programms hält der Bericht indes fest, eines der Kernziele des Programms bestehe darin, "nicht nur eine temporäre Erweiterung des Karrieresystems um zusätzliche Stellen zu ermöglichen, sondern auch einen entscheidenden Impuls zu setzen für eine langfristige, nachhaltige Anpassung der Personalstruktur und für eine Erweiterung der Karrierewege zur Professur."
Wie nachhaltig der Tenure-Track-Aufbau ist, wenn das Programm 2032 endet, bleibt also abzuwarten. Oder wie es im BuWiK weiter heißt: "Wie insbesondere die #IchBinHanna- Debatte zeigt, wird die Diskussion über die frühere Planbarkeit der wissenschaftlichen Karriere
und insbesondere über die Möglichkeiten des Übergangs auf eine Dauerstelle im Wissenschaftssystem – auch außerhalb der Professur – voraussichtlich weitergehen.“
Die Website mit den wichtigsten BuWiK-Ergebnissen und der Vollversion zum Herunterladen befindet sich hier.
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Th. Wolff (Montag, 03 Februar 2025 08:21)
Lieber Herr Wiarda,
das stimmt zwar alles, aber es gibt da doch noch einen Elefanten im Raum, den Sie nicht erwähnen: in anderen erfolgreichen Wissenschaftssystemen wie England, Holland, USA (und natürlich auch in der Wirtschaft) bedeutet ein unbefristeter Arbeitsvertrag ganz und gar nicht, dass die Person de facto nicht mehr kündbar ist. Wenn das in Deutschland im Öffentlichen Dienst auch so wäre, würde die Befristungsquote auch hier rapide sinken. Umgekehrt verbleiben viele Leute im System Wissenschaft weil sie hoffen/wissen, dass, wenn sie die hohe Befristungshürde einmal genommen haben, ihnen im Vergleich zur Wirtschaft (und zu anderen Wissenschaftssystemen) hier absolute Jobsicherheit gewährt wird.
Wolfgang Kühnel (Montag, 10 Februar 2025 20:55)
"Cramer erwartet, dass es als Folge des Kurses der Trump-Regierung einen Zustrom von Spitzenforscherinnen und Spitzenforschern aus den USA nach Deutschland geben wird: "Die USA sind ein neuer Talentpool für uns." Auf die jüngste Ausschreibung für die Leitung von Forschungsgruppen habe die MPG doppelt so viele Bewerbungen aus den USA erhalten wie im Jahr zuvor."
Quelle:
https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/usa-forschung-kuerzungen-100.html
Dadurch wird dann auch die Internationalisierungsquote in Deutschland steigen. So hat Trump auch sein Gutes. Aber die Leute von *IchBinHanna* werden mehr Konkurrenz bekommen. Sie müssen auf den nächsten US-Präsidenten warten.