· 

"Ich erwarte Riesenprobleme"

Hat sich die Situation junger Forscher in Deutschland verbessert? Was ist mit den Befristungen, Kurzzeit-Verträgen und Karrierewegen? Der Soziologe Karl Ulrich Mayer über den neuen "Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs", Fortschritte und mögliche Folgen der Corona-Krise.

Herr Mayer, würden Sie heute gern nochmal wissenschaftli-cher Nachwuchs sein?

 

Ich würde sehr gern wieder Wissenschaftler werden, aber ob ich heute noch Erfolg hätte, weiß ich nicht. Ich habe für heutige Verhältnisse sehr lange gebraucht, um zu promovieren, sechs Jahre lang. Und bis ich bei meiner Lebensverlaufsstudie erste Ergebnisse präsentieren konnte, sind weitere Jahre ins Land gegangen. Ob das beim aktuellen Publikations- und Zitationsstress noch möglich wäre? Trotzdem verbindet mich einiges mit den heutigen Doktoranden. Ich habe schon früh in internationalen Zeitschriften veröffentlicht, mein erstes Paper habe ich auf dem Soziologenkongress in Varna 1970 präsentiert. Und meine Dissertation bestand bereits wesentlich aus Zeitschriftenartikel, wie heute bei kumulativen Promotionen.   

 

Im vergangenen Bundesbericht 2017 erreichte die Befristungsquote bei unter 45 Jahre alten Wissenschaftlern 93 Prozent. Zur Dauer der Verträge war wenig bekannt. Nicht repräsentative Daten ließen aber darauf schließen, dass mindestens die Hälfte eine Laufzeit von weniger als zwölf Monaten hatte. Wie ist die Situation vier Jahre später?

 

Die Datenlage ist immer noch schwierig, aber immerhin haben wir jetzt eine Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), derzufolge die Arbeitsverträge von Promovierenden im Schnitt 22 Monate lang sind und bei Postdocs 28 Monate lang.

 

Das klingt immer noch sehr wenig.

 

Hier muss man differenzieren. Ich halte es für sinnvoll, dass Doktoranden in den ersten drei Jahren zwei Verträge bekommen. Einen von zwölf Monaten für den Einstieg und anschließend, wenn alles gut läuft, einen weiteren für zwei Jahre. Und dann, wenn die Promotion abgeschlossen ist, einen dritten für den Übergang, um noch Publikationen abzuschließen. Insofern passt da die durchschnittliche Vertragslaufzeit mit Abstrichen ganz gut, einen Skandal kann ich da jedenfalls nicht erkennen. Bei den Postdocs wären 28 Monate für den Erstvertrag okay, weil ja die überwiegende Anzahl in den ersten beiden Jahren aus dem Wissenschaftsbereich ausscheidet, aber im Durchschnitt 28 Monate für die gesamte Postdoc-Zeit ist eindeutig zu niedrig.


Der BuWiN 2021

Seit 2008 erscheint der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN) alle paar Jahre regelmäßig, zuletzt 2017. Die am Freitag veröffentlichte vierte Ausgabe enthält eine Vielzahl an Statistiken, Vergleichswerten und die Ergebnisse von Begleitstudien. Ein paar Zahlen:

 

- 2018 waren mit rund 193.000 hauptberuflichen wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter an den Hochschulen beschäftigt. Das waren rund 75 Prozent mehr als 2005 – während die Professorenschaft nur um ein Viertel auf 48.000 wuchs.

 

- 92 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter an Hochschulen unter 45 sind befristet angestellt, an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind es 83 Prozent. Die Quoten verharren damit auf dem Rekordniveau der letzten zwei Berichte.  

 

- Die Befristungsquote an Hochschulen erreicht unter 35 Jahre 98 Prozent, bei Personen zwischen 35 und 45 liegt sie bei 77 Prozent.

 

- Die durchschnittliche Vertragslaufzeit für Promovierende betrug 22 Monaten, für Postdocs 28 Monate.

 

- Im Schnitt kamen Promovierende auf 3,4 befristete Arbeitsverträge, Postdocs seit Beginn ihrer ersten Tätigkeit in der Wissenschaft im Durchschnitt auf 6,3.

 

- Insgesamt gab es 2018 1580 Juniorprofessor*inen, 1242 Nachwuchsgruppenleiter*innen und 519 Tenure-Track-Professor*innen.

 

- Der Frauenanteil sinkt von Karrierestufe zu Karrierestufe ("Leaky Pipeline"), doch im Vergleich zum letzten BuWiN gibt es Fortschritte.

 

- Die Promotionsquoten reichen von vier Prozent in der Kunst und Kunstwissenschaft bis zu 67 Prozent in der Biologie.

 

- Drei Viertel der Promovierenden haben eine Promotionsvereinbarung abgeschlossen. Mehr als drei Viertel der Promovierenden in strukturierten Promotionsprogrammen und zwei Drittel der traditionell Promovierenden tauschen sich mehrmals im Semester mit ihren Hauptbetreuern aus – in Mathematik und in den Naturwissenschaften vergleichsweise häufig, in der Kunst und Kunstwissenschaft vergleichsweise selten. 

 

Die Vollversion des Berichts mit vielen weiteren Statistiken und Analysen ist hier abrufbar.

 

Zu den BuWiN-Ergebnissen tragen unter anderem das Institut für Innovation und Technik (iit), das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), das Statistische Bundesamt und das INCHER in Kassel bei. Die Arbeit des vom iit geleiteten Konsortiums wird durch einen wissenschaftlichen Beirat unterstützt, dessen Vorsitzender der Soziologe Karl Ulrich Mayer ist. 


Und dass es bis in ein Alter von 45 so gut wie keine unbefristeten Stellen gibt, sorgt Sie nicht? Bei der Vorstellung des BuWiN 2017 hatten Sie sich von der damals neuen Novelle des Wissenschaftszeitvertrags-gesetzes Verbesserungen erwartet. Die sind aber nicht eingetroffen, die Befristungsquoten sind mit 92 Prozent an den Hochschulen unverändert hoch. 

 

Sie kommen aber anders zustande als noch vor einigen Jahren und sind daher nicht wirklich vergleichbar. Früher hatten die meisten Doktoranden Stipendien, heute erhalten sie aus Sozialversicherungsgründen Arbeitsverträge. Was die Befristungsquote unter allen wissenschaftlichen Mitarbeitern nach oben verzerrt. Betrachte ich hingegen nur die Promovierten unter 45 Jahren, sinkt die Quote schon auf 77 Prozent. Da hat sich tatsächlich etwas verändert seit 2017. 

 

Der BuWiN beruht nicht auf eigenen Forschungsdaten, sondern führt die Ergebnisse der amtlichen Statistik, weitere amtliche Erhebungen, Sozialversicherungsdaten und wissenschaftliche Studien zusammen. Mit dem Ergebnis, dass die Daten im Bericht allesamt aus der Vor-Corona-Zeit stammen. Wie aussagekräftig ist er damit eigentlich noch?

 

Die Qualität des Berichts hat sich in methodischer Hinsicht über die Jahre erhöht. Vor allem die eindrucksvollen Längsschnittstudien des DZHW haben die Datenlage verbessert. Aber natürlich müssen wir an manchen Stellen immer noch spekulieren. Dazu gehört natürlich die Frage, welche Folgen die Pandemie für den wissenschaftlichen Nachwuchs hat. Was ich sagen kann: Bund und Länder haben gut reagiert, indem sie unbürokratisch die Verlängerung von Vertragslaufzeiten beschlossen haben. Trotzdem erwarte ich Riesenprobleme, weil all das, was wissenschaftliche Karrieren in ihrer Frühphase beflügelt, ohne Präsenz kaum funktioniert. Wissenschaftliche Kooperationen, internationaler Austausch, das Knüpfen von Netzwerken, die persönliche Betreuung, Begegnungen auf Konferenzen und informelle Bewerbungsgespräche: alles eingeschränkt bis unmöglich.

 

Vorausgesetzt, die Hochschulen setzen die Möglichkeiten längerer Verträge um: Ist es dann wirklich so schlimm, wenn sich Karrieren um ein, zwei Jahre verschieben?  


Wenn alles andere stehenbliebe, vielleicht nicht. Aber es rücken weitere junge Menschen auf dieselbe Karrierestufe nach, das heißt: Die Konkurrenz wird noch härter. 

 

Gerade Wissenschaftlerinnen mit Kindern, legen erste Studien nahe, geraten durch Corona und die Schließung von Kitas und Schulen noch zusätzlich unter Druck.

 

Was mich mit Sorge erfüllt. Womöglich könnte hier eine positive Entwicklung konterkariert werden. Unsere Daten zeigen nämlich, dass sich der Anteil von Frauen bei der Neubesetzung von Professuren innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte verdoppelt hat: von 17 auf 34 Prozent bei W2-Professuren und auf 27 Prozent bei W-3 Professuren. Das ist immer noch zu wenig, aber doch ein großer Sprung. Und da sie bei den Bewerbungen nur 29 Prozent stellen, bedeutet das: Diejenigen Frauen, die so weit kommen, haben mindestens so gute Chancen wie Männer. Hoffentlich wirft uns Corona hier nicht zurück.  

 

"Es scheint so, als hätten die Außeruniversitären
eher verstanden, wie wichtig Internationalität ist." 

 

Wie sieht es denn sonst so mit der Diversität des wissenschaftlichen Nachwuchses aus?

 

Leider nicht gut, vor allem beim Thema Internationalität. Nur zehn Prozent der jungen Wissenschaftler an den Hochschulen haben keinen deutschen Pass, was in etwa der Zusammensetzung der Studierendenschaft entspricht. Aus meiner Sicht ist das viel zu wenig und lässt nur den Schluss zu, dass wir international nicht attraktiv genug sind. Wobei ich hier hinzufügen muss: Das sind die Zahlen der Hochschulen. An den außeruniversitären Forschungsinstituten hat sich der Anteil der internationalen Nachwuchsforscher seit 2015 von 16 auf 27 Prozent erhöht. Es scheint so, als hätten die Außeruniversitären eher verstanden, wie wichtig Internationalität ist. 

 

Vielleicht haben Max Planck & Co auch einfach das Geld, das den Hochschulen fehlt, um im internationalen Wettbewerb um die Schlausten mitzuhalten.

 

Auf jeden Fall sind in der Hinsicht Max-Planck-Institute besonders erfolgreich. Sie kommen auf einen Anteil internationaler Postdocs von über 50 Prozent. Wozu wir im Bericht keine Daten haben: Wie viele junge Deutsche im Ausland promovieren. Das gehört eigentlich auch ins Bild, weil viele von ihnen mit ihrer internationalen Erfahrung irgendwann zurück nach Deutschland kommen.

 

Deutschland war lange bekannt für die geringe Eigenständigkeit, die jungen Wissenschaftlern eingeräumt wurde – weshalb ein Begriff wie "Nachwuchswissenschaftler" überhaupt bis heute über einem Bericht stehen kann, der sich mit Forschern bis Mitte 40 beschäftigt. Tut sich da etwas?  

 

Die Unabhängigkeit wächst, was im Wesentlichen der Zunahme von Nachwuchsgruppen zu verdanken ist, die wiederum in erheblicher Zahl – über 500 – an den außeruniversitären Forschungsinstituten entstanden sind. Wichtige Impulse sind auch durch das Emmy-Noether-Programm und die Juniorprofessur gekommen. Der Tenure Track könnte als verlässliche Karriereperspektive gerade die Juniorprofessuren ergänzen, aber da verläuft der Fortschritt nur sehr langsam. Insgesamt sehe ich immer noch eine zu starke Balkanisierung der Zugangswege zur Professur.

 

"Das ist eine Vergeudung von
Lebenszeit und Ressourcen."

 

Was meinen Sie denn mit "Balkanisierung"?

 

Es gibt zu viele Qualifizierungspfade, und sie konkurrieren auch noch teilweise miteinander. In den USA haben Sie den Assistant Professor als Einstieg in den Tenure Track, und das war’s. In Deutschland können sie eine Forschungsgruppe leiten, drittmittelfinanzierter wissenschaftlicher Mitarbeiter sein, Stipendiat, Juniorprof und so weiter. Das ist unübersichtlich, verwirrend und in sich widersprüchlich. Nehmen Sie die Habilitationen: Die sollten sich eigentlich durch die Juniorprofessuren seit Jahren auf dem Rückzug befinden, doch offenbar gibt es viele Juniorprofessuren, die sich trotzdem noch habilitieren. Weil sie nicht darauf vertrauen, dass die Juniorprofessur als Qualifikation angesehen genug ist. In den USA können Sie sofort nach der Promotion Assistant Professor werden, in Deutschland bekommen Sie erst einen befristeten Postdoc-Vertrag und werden dann, wenn Sie Glück haben, mit 35 befristet Juniorprofessor. Das ist eine Vergeudung von Ressourcen und Lebenszeit!

 

Apropos Vergeudung von Lebenszeit. Was ist eigentlich aus der Debatte geworden, in Deutschland würden zu viele Leute promovieren?

 

Eine Debatte, an der ich ja durchaus einen Anteil hatte. Die Vermutung lautete, dass Drittmittelwachstum und Exzellenzinitiative eine so große Menge an Doktoranden produziert hätten, dass deren Zukunftsaussichten fraglich seien. Das Interessante ist aber: Wir haben jetzt erstmals gute Zahlen dazu, und die geben eine solche Schlussfolgerung nicht her. Deutschland liegt mit einem Promoviertenanteil von 1,1 Prozent knapp über dem OECD-Schnitt. Für ein Land, das Höchstqualifizierung besonders fördern sollte, weil es sonst kaum natürliche Ressourcen hat, ist das sogar eher wenig, würde ich sagen. In den USA ist der Promoviertenanteil anderthalb mal, in der Schweiz mehr als doppelt so hoch. Hinzu kommt, dass die Zahl der Promotionen stagniert. Warum, kann keiner wirklich erklären. Ich persönlich hatte vor vier Jahren noch mit einem deutlichen Anstieg gerechnet. 

 

Vor vier Jahren wurde deshalb viel über einen Flaschenhals auf dem Weg zur Professur gestritten. Nach dem Motto: Es kommen viel zu viel Promovierte auf eine Professorenstelle.

 

Eine schwierige Frage, die mich aber sehr interessiert, weshalb ich gerade noch einmal etwas gerechnet habe. Wir haben etwa 50.000 Wissenschaftler zwischen 35 und 45 an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen, woraus man auf einen Pool von maximal 5000 Leuten käme, die pro Jahr auf eine Professur wechseln könnten. Weil aber viele in dem Lebensjahrzehnt die Wissenschaft verlassen wollen, vermutlich weniger. Dem stehen etwa 3000 Berufungen pro Jahr gegenüber. Das ist kein wirklich ungünstiges Verhältnis, würde ich sagen. Daran ändern auch nicht die rund 10.000 Bewerbungen pro Jahr, denn die meisten Leute bewerben sich mehrmals.  

 

"In Deutschland entscheidet sich immer noch viel zu spät, ob man auf eine Dauerstelle kommt oder nicht."

 

Also gar kein Problem?

 

Doch! Das wesentliche Problem besteht darin, dass sich in Deutschland immer noch viel zu spät entscheidet, ob man auf eine Dauerstelle kommt oder nicht. Das Durchschnittsalter bei einer Erstberufung liegt bei 40 Jahren und zum Teil deutlich höher, in den Geschichtswissenschaften zum Beispiel bei 43. Und manche werden dann immer noch zunächst befristet. Das ergibt wenig Sinn – zumal jene, die Profs werden, sicher nicht zu denen gehören, die sich bis zum Studienabschluss und zur Promotion am meisten Zeit gelassen haben. Womit wir wieder bei meinem Befund der Balkanisierung der Karrierewege sind. Wir brauchen klare Zugänge zur Professur, und sie müssen schneller sein.  

 

Was wird denn aus denen, die nicht in der Wissenschaft bleiben?

 

Dank der tollen Arbeit der beteiligten Forscher haben wir für diesen Bericht die Sozialversicherungsdaten mit den Publikationsdaten aus der deutschen Bibliothek für Promotionen zusammenbringen können. Wir wissen deshalb jetzt zum ersten Mal, wann und wohin die Promovierten die Wissenschaft verlassen. Demzufolge gehen 70 Prozent innerhalb eines Jahres nach Abschluss der Promotion und 80 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Das heißt: Nur ein Fünftel bleibt in der Wissenschaft.

 

Oder wenden ihr enttäuscht den Rücken zu?

 

Bei einigen mag das so sein, aber für viele lohnt sich der Ausstieg offensichtlich. Die Arbeitslosigkeit unter Promovierten liegt praktisch bei null, ihr Jahreseinkommen steigt nach dem Abschied von der Wissenschaft um durchschnittlich 10.000 Euro, viele von ihnen erreichen Führungspositionen und fast immer fachlich adäquate Stellen. Trotzdem ist das Bild nicht ungetrübt. In der Biologie etwa promovieren 67 Prozent aller Studienabsolventen, das deutet auf Arbeitsmarktprobleme hin – genau wie das hohe Durchschnittsalter von Promovierten in den Geschichtswissenschaften mit 33, 34 Jahren. Insgesamt aber gilt: Die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft mögen viele junge Wissenschaftler als prekär empfinden, ihre Berufsaussichten sind es sicherlich nicht.



Karliczek: Befristungsquote ist immer noch zu hoch

Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) sagte: "Unter Promovierten herrscht Vollbeschäftigung." Mehr noch, fügte sie hinzu: "Eine Promotion eröffnet Chancen auf hervorragende Karriereverläufe." Die Investition in eine Promotion lohne sich – für die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst, aber auch aus gesamtgesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Perspektive. "Zehn Jahre nach der Promotion arbeiten etwa 80 Prozent der Promovierten außerhalb der Wissenschaft." 

 

Auch wenn die Befristungsquoten bei den Promovierten leicht gesunken seien, bezeichnete Karliczek diese als immer noch "zu hoch." Die Ministerin verwies unter anderem auf die unbefristeten Bund-Länder-Programmen "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" und "Exzellenzstrategie", die "starke Anreize" für Dauerstellen setzten. Die 519 Tenure-Track-Professorinnen und  Professoren im Jahr 2018 seien "ein starkes Signal für die allmähliche Etablierung dieses attraktiven und international bekannten Karrierewegs zur Professur auch in Deutschland", der mit dem Tenure-Track-Programm von Bund und Ländern unterstützt werde.  Auch beim Thema Chancengerechtigkeit für Frauen im Wissenschaftssystem müssten "wir alle am Ball bleiben". 

 

Der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller nannte den weiter hohen Befristungsanteil "alarmierend" und die durchschnittlichen Vertragslaufzeiten "unterirdisch". Keller sagte: "Zeitverträge mit kurzen Laufzeiten, Zwangsteilzeit mit unbezahlter Mehrarbeit, unerwünschte Kinderlosigkeit, Benachteiligung von Frauen – ein Ende der Misere der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Qualifizierungsphase ist nicht in Sicht." Bund und Länder müssten endlich wirksame Maßnahmen ergreifen, dazu gehörten der Ausbau der Grundfinanzierung der Hochschulen und eine Reform der Personalstruktur in Hochschule und Forschung. Keller forderte "Dauerstellen für Daueraufgaben, faire Beschäftigungsbedingungen und verlässliche Karrierewege". 

 

Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) sagt, es gebe nur einen Ort auf der Welt, wo 40-Jährige zum "Nachwuchs" gezählt würden: "Die deutschen Universitäten." Wenn selbst Juniorprofessuren noch nicht als richtige Wissenschaftler gelten würden, "läuft in unserem System etwas falsch." In der Tat sei in den vergangenen Jahren von Bund und Ländern viel getan und auch viel Geld investiert worden. "Ich glaube, es ist aber auch an der Zeit, über das Ziel zu reden." Dafür biete der BuWiN eine hervorragende Gelegenheit.

 

Es sei richtig, sagte Schüle, dass eine breite Debatte über unbefristete Stellen neben der Professur in Gang gekommen sei. "Wir tun so, als sei es normal, dass stabil über 90 Prozent der nicht-professoralen unter 45 Jahre Jahre alten Wissenschaftler befristet beschäftigt sind. Ich halte das nicht für normal, und es ist auch eine Ressourcenverschwendung." Bundesprogramme allein könnten nicht das Befristungsproblem lösen. Die Länder müssten selbst auch mehr dafür tun, "das sage ich durchaus selbstkritisch."

 

Kai Gehring, Sprecher für Wissenschaft, Forschung und Hochschule der grünen Bundestagsfraktion, sagte, der BuWiN müsse der Bundesregierung "ein Ansporn sein, die Lage der Wissenschaftler*innen endlich ernst zu nehmen, auf die Tagesordnung zu setzen und nachhaltig zu verbessern." Wenn Ministerin Karliczek jetzt schon auf den Koalitionsvertrag einer nächsten Regierung verweise, habe sie offenbar jeden Gestaltungsanspruch verloren. Der Spielraum, den das "Wissenschafts- und Studierenden-Unterstützungsgesetz" im letzten Jahr geschaffen habe, dürfe nicht in Kürze abrupt enden. Auch jenseits der akuten Nothilfe in der Pandemie gebe es viel zu tun, vor allem bei der Chancengleichheit der Geschlechter.

 

Gehring resümierte: "Vor kurzem gab der Staatssekretär des Bundesministerium für Bildung und Forschung, Meister, noch eine Befristungsquote von maximal 50 Prozent als Ziel aus. Die heute vorgestellten Zahlen machen klar, dass wir davon noch meilenweit entfernt sind."

 

Das Doktoranden-Netzwerk THESIS forderte in einer ersten Reaktion auf den BuWiN 2021 eine stärkere wissenschaftliche Unabhängigkeit von Nachwuchsforschenden, transparente und berechenbarer Karrierewege inklusive Entfristungsmöglichkeiten nach der Promotion sowie Tenure-Track-Verfahren "generell für Promovierte in der Wissenschaft – und nicht nur für ein paar hundert Tenure-Track-Professuren in Deutschland". Kurzfristig sei eine "Corona"-Vertragsverlängerung als Rechtsanspruch der (Nachwuchs-) Forschenden nötig, anstatt sie im Ermessen der einzelnen Wissenschaftseinrichtungen zu belassen. 

 

Künftige Bundesberichte, so THESIS, sollten die Promotionsabbruchquote mindestens differenziert nach Fächern und Geschlecht ausweisen, dazu die Berufungswahrscheinlichkeit "von entsprechend qualifizierten Promovierten, ebenfalls entsprechend differenziert (ggf. durch Verbesserung notwendiger Voraussetzungen)".

Kommentar schreiben

Kommentare: 5
  • #1

    René Krempkow (Samstag, 20 Februar 2021 10:06)

    Lieber Herr Wiarda,

    ein sehr schönes Interview, das viele kritische Punkte prägnant herausarbeitet! Es regt dazu an, diese Diskussion noch weiter führen zu wollen. ;-) Ich möchte hier nur einen Punkt ansprechen, der m.E. in der weiteren Diskussion noch wichtig zu benennen wäre, da auch die Pressekonferenz gestern dies als zweites von zwei Themen (neben Karrierewegen/ Beschäftigungsbedingungen) benannte, aber dann letztlich recht wenig bzw. nur eindimensional darauf einging: Die Chancengerechtigkeit!

    Hier gibt es auch über die Kategorie Geschlecht hinaus Probleme, so z.B. – worauf Mayer in der Pressekonferenz zu Recht hinwies – bezogen auf eine Herkunft aus dem Ausland (als ein Maß für Internationalität), sowie auch bezogen auf die soziale Herkunft (insbes. Bildungsherkunft, v.a. Nichtakademikerkinder), und Menschen mit Behinderung. Dazu finden sich – wie eine erste Durchsicht des BuWiN 2021 anhand entspr. Stichworte ergab - trotz Vorliegen von Studien mit sehr ernüchternden Ergebnissen (s. z.B. Überblick in https://scilogs.spektrum.de/wissenschaftssystem/leistungsselektion/ bzw. ausführlicher QiW-Journal 1/2019, S. 28-31, www.researchgate.net/publication/333163357) nur wenige Aussagen, geschweige denn eine durchgehende Differenzierung der Ergebnisse zumindest zu den zentralen Indikatoren.
    Dies erscheint schwer nachvollziehbar, es sei denn man sieht dies im (politischen) Zusammenhang mit dem Wahljahr 2021. ;-)

    Einige Vertreter der Promovierenden und Promovierten, so das interdisziplinäre Netzwerk THESIS, wollen dies so nicht hinnehmen und haben dazu Forderungen formuliert, zumindest zentrale Ergebnisse in der Bundesberichterstattung künftig differenziert auch nach internationaler und sozialer Herkunft darzustellen. Dies gilt dann insbesondere auch für die immer noch nicht ausgewiesene Promotionsabbruchquote (wofür es bereits im ersten BuWiN 2008 immerhin eine Schätzung gab) und die noch nicht genug aussagekräftigen Berufungschancen. (Zu weiteren Forderungen und ersten Einschätzungen zum BuWiN gibt es auch einen Blogbeitrag auf Scilogs: https://scilogs.spektrum.de/wissenschaftssystem/buwin-2021/).

  • #2

    Karla K. (Sonntag, 21 Februar 2021 21:05)

    Lieber Herr Mayer,

    wenn Sie sagen, dass früher/noch vor einigen Jahren die meisten Doktoranden Stipendien hatten, könnten Sie dies eventuell zeitlich konkretisieren? Ich bin nun nicht mehr die Jüngste, kann mich aber an eine solche Situation nicht erinnern.

    Und: Wenn Sie im Zusammenhang mit Corona sagen, Bund und Länder hätten unbürokratisch die Verlängerung von Vertragslaufzeiten beschlossen, dann wissen Sie entweder mehr (von dem, was da noch kommen möge), oder Sie missverstehen das, was bisher beschlossen wurde fundamental: Beschlossen ist bisher nämlich lediglich die Verlängerung der Höchstbefristungsdauer - ein Automatismus für oder ein Anrecht auf eine Verlängerung ergeben sich daraus nicht, jede*r einzelne muss diese für sich vor Ort erkämpfen, da es sich lediglich um eine Ermöglichung handelt (wie Herr Wiardas Nachfrage es aufgreift).

    Schließlich: Gibt es etwas Belastbares dazu, wofür Internationalisierung (hier ja definiert als junge Wissenschaftler*innen aus dem Ausland an deutschen Hochschulen) wichtig sein könnte? Da Sie zwischen den Kategorien wechseln: Meines Sie Promovierende? Oder Postdocs?

    Mit besten Grüßen
    Karla K.

  • #3

    pb (Montag, 22 Februar 2021 13:23)

    Vorab: Für mich sind die Zahlen der befristet Beschäftigten im Wissenschaftsbereich nach wie vor zu hoch. Es wäre deshalb an der Zeit die ZSL-Mittel (HSP-IV-Mittel) jetzt wirklich dazu zu nutzen, um für die nun dauerhaft eingerichteten Studienplätze nun auch Dauerstellen einzurichten. Leider wurde daraus kein Parameter für ZSL-Mittel und leider hat sich auch die EFI-Kommission in ihrem Bericht aus dem letzten Jahr nicht
    eindeutig positioniert.

    "Die Expertenkommission hat Sorge, dass dies einen überproportionalen Aufwuchs der dauerhaften Beschäftigungsverhältnisse im wissenschaftlichen Mittelbau zur Folge hat. Sie ist der Auffassung, dass Beschäftigungsverhältnisse im wissenschaftlichen Mittelbau in der Regel mit Qualifizierungszielen verbunden sein sollten."

    Bleibt zu hoffen, dass in dem an diesem Mittwoch, den 24.2. erscheinenden EFI-Bericht, etwas mehr Klarheit geschaffen wird.

    In diese Richtung: Ich würde sehr begrüßen, wenn man bei den Zahlen der Befristungen etwas differenzierter diskutieren würde.

    Es wäre m.E. sehr sinnvoll, wenn man die Qualifizierungsbefristungen (Promotionen, Habilitationen.) herausrechnet. Denn wie der gerade
    erschienene BuWin-Bericht zurecht festhält, ist in gewissen Fächern, wie z.B. der Biologie und Chemie die Promotion der eigentliche Regel-*Studium*-Abschluss. Viele Promovierende haben dabei auch nicht die Absicht, eine Universitätskarriere zu verfolgen.

  • #4

    of (Dienstag, 23 Februar 2021 12:13)

    Ich halte es für sehr unglücklich, in diesen Zusammenhängen den Begriff „Balkanisierung“ zu verwenden.

  • #5

    jcs (Sonntag, 14 März 2021 23:23)

    Die Meinung Herrn Mayers, dass ein 12-Monats-Vertrag für Doktorand(inn)en als Einstieg akzeptabel sei, ist schlicht nicht gesetzeskonform. Es ist vorgeschrieben, dass der Zeitraum der Befristung dem Qualifizierungszweck entspricht. Bei einer experimentellen naturwissenschaftlichen Promotion muss demzufolge der Arbeitsvertrag über einen Zeitraum von mindestens 36 Monaten laufen. Der von Herrn Mayer favorisierte Einjahresvertrag ist eine derzeit oft praktizierte, aber nicht rechtskonforme Ausdehnung der Probezeit, die interessanterweise von den Personalabteilungen und Personalräten an deutschen Universitäten regelmäßig übersehen wird.