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Eine kalkulierte Provokation

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung sorgte mit umstrittenen Aussagen zu den Hochschulen für Aufregung. Warum hat er das gemacht?

ES WAR EIN INTERVIEW von seltener Direktheit, das der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung vergangene Woche der Neuen Osnabrücker Zeitung gab. Den umstrittenen Gaza-Plan von US-Präsident Donald Trump kommentierte Felix Klein mit den Worten, es sei nicht verkehrt, "radikal und einmal völlig neu zu denken".

Radikal klang auch die Forderung, die Klein ein paar Sätze später erhob, um den Antisemitismus an den deutschen Hochschulen zu bekämpfen. Die Verharmlosung von Islamismus und Terror "in der linken, gerade auch akademischen Welt" sei zwar bekannt, doch sei das Ausmaß der "kritiklosen Blindheit" gegenüber der Hamas "wirklich atemberaubend". Auch die "Sympathien im Lehrpersonal" für Anti-Israel-Demonstrationen schockierten ihn. "Was wir an Straftaten, der Verwendung von Symbolen, der Verbreitung von Positionen in Universitäten sehen, hat mit Wissenschaftsfreiheit nichts zu tun." Neben Ansprechpersonen an den Universitäten seien die Sicherheitsbehörden wie der Verfassungsschutz gefragt.

Mit den "Sympathien im Lehrpersonal" spielte Klein offensichtlich auch auf den Offenen Brief an, den Berliner Lehrende Anfang Mai 2024 zur Unterstützung eines von der Polizei aufgelösten propalästinensischen Protestcamps an der Freien Universität (FU) verfasst hatten. Eben jener Brief, der die damalige Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) laut BILD-Zitat "fassungslos" gemacht und zu der Aussage veranlasst hatte, "gerade Lehrende müssten auf dem Boden der Verfassung stehen". Es folgten ministeriumsinterne Vorgänge, die als "Fördermittelaffäre" in die BMBF-Geschichte eingingen und in deren Rahmen unter anderem festgehalten wurde, dass die Briefeschreiber keineswegs gegen die Verfassung verstoßen hatten.

HRK: Arbeiten schon mit Verfassungsschutz zusammen

Klein weiß das sicherlich, er weiß auch um die Empfindlichkeit der Hochschulleitungen, wenn sie sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, nicht genug gegen antisemitische Umtriebe zu tun. Er hat die Proteste von Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Fachverbänden und Wissenschaftlerinitiativen gegen die beiden vom Bundestag beschlossenen Antisemitismus-Resolutionen verfolgt, die zwar gut gemeint waren, doch laut ihrer Kritiker kaum der Prävention dienten, dafür aber umso mehr die Wissenschaftsfreiheit gefährden könnten.

Von Kleins wohlwollender Kommentierung des Gaza-Plans hat sich die Bundesregierung nur einen Tag nach dem Interview distanziert. Die Äußerungen stellten die außenpolitische Haltung der Bundesregierung nicht dar, teilte das Auswärtige Amt mit, und Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte, Klein habe "nicht für die Bundesregierung gesprochen, sondern er hat seine Position als unabhängiger Beauftragter dargelegt".

Mit den Statements des Antisemitismusbeauftragten zu den Hochschulen ist die Sache komplexer. Wie HRK-Präsident Walter Rosenthal in Research Table sagte, arbeiteten die Hochschulen "schon jetzt vertrauensvoll mit allen Partnern zusammen, die einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung des Antisemitismus gewährleisten – dazu gehört neben Polizei und Strafverfolgungsbehörden auf staatlicher Seite unter anderem grundsätzlich auch der Verfassungsschutz."

Ein Thema wieder in den Vordergrund bringen, das gerade aus der Wahrnehmung zu verschwinden droht

Doch ging es Klein, so scheint es, auch weniger um die konkrete Forderung als vielmehr darum, eine Welle zu erzeugen: um ein Thema wieder in den Vordergrund zu bringen, das gerade aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verschwinden droht.

Neulich sagte etwa die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) der Jüdischen Allgemeinen, dass sie Deutschland verlassen werde. Bei der Bundestagswahl habe jeder Fünfte AfD gewählt. "So viele Menschen, mit denen ich im Supermarkt an der Kasse stehe, mit denen ich zusammen zur Uni gehe, die meine Nachbarn sind, haben wissentlich einer in großen Teilen gesichert rechtsextremen Partei ihre Stimme gegeben." Für sie sei deshalb "eine rote Linie überschritten", sie werde gehen.

Fast zeitgleich wiesen die JSUD und das American Jewish Committee Berlin (AJC Berlin) in ihrem gemeinsamen Lagebericht "Antisemitismus an deutschen Hochschulen" auf die "andauernde Ausnahmesituation" hin, in der sich jüdische Studierende sei dem 7. Oktober 2023 befänden. Der Antisemitismus an den Hochschulen sei in erster Stelle eine Gefahr für Jüdinnen und Juden in Deutschland, "er gefährdet aber auch die Universität als Ort der freien Meinungs- und Wissensbildung", sagte AJC-Direktor Remko Leemhuis. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) erfasste 2023 etwa 150 antisemitische Vorfälle an Hochschulen, siebenmal so viele wie im Vorjahr. Die Zahlen für 2024 liegen noch nicht vor, doch erwarten JSUD und AJC Berlin einen weiteren Anstieg.

Nein, Antisemitismus ist kein spezielles Phänomen der Hochschulen. Eine Online-Studie der AG Hochschulforschung der Universität Konstanz etwa ergab im März 2024, dass von den 2000 teilnehmenden Studierenden bundesweit acht Prozent antisemitische Einstellungen teilten, in der Vergleichsgruppe der allgemeinen Bevölkerung seien es deutlich mehr, nämlich 18 Prozent gewesen.

Kein Verfassungsschutz und kein Blaming von Hochschulleitungen wird die Wende bringen

Und dennoch: Ist den nichtjüdischen Studierenden und Lehrenden wirklich klar, wie bedroht und alleingelassen sich viele ihrer jüdischen Kommilitonen und Kollegen fühlen? Verstehen sie, welchen enormen menschlichen und intellektuellen Verlust es bedeutet, wenn Juden sich auch aus den Hochschulen zurückziehen, wenn sie gar mit dem Gedanken spielen, das Land zu verlassen?

Nur wird hier kein Einsatz des Verfassungsschutzes, ob er tatsächlich schon stattfindet oder nicht, die Wende bringen. Ebenso wenig ein öffentliches Blaming von Hochschulleitungen, wenn sie in Extremsituationen um Deeskalation und Ausgleich kämpfen. So wie umgekehrt die regelmäßig wiederholten Bekenntnisse der Präsidien oder Rektorate, dass sie entschieden jegliche Form von Antisemitismus verurteilen, wahrscheinlich kaum einem von Antisemitismus Betroffenen das Sicherheitsgefühl wiedergeben.

Am Ende sind es die kleinen Gesten im Alltag, die adhoc organisierten Solidaritätsaktionen oder auch der spontane Widerspruch bei scheinbar nebensächlich-abfälligen Bemerkungen von Mitstudierenden. Sie drücken die Wahrhaftigkeit aus, die der Kampf gegen den gesellschaftlichen – und den universitären – Antisemitismus so dringend braucht – und die leider noch oft genug fehlt.

Dieser Kommentar erschien in einer kürzeren Fassung zuerst im ZEIT-Newsletter Wissen3.

Kommentare

#1 -

Friedrich K. | Mo., 10.03.2025 - 13:14
Verhält sich die Sache wirklich so viel komplexer? Herrn Klein dürfte auch nicht entgangen sein, wovon das hier etwa nur der vorläufig letzte Konsequenz ist, no?

https://www.theguardian.com/us-news/2025/mar/09/ice-arrests-palestinian-activist-columbia-protests

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