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Macht es wie Kanada

Offene Türen reichen nicht: Wie strategisch ist Deutschlands Antwort auf den US-amerikanischen Brain Drain? Ein Gastbeitrag von Julian Dierkes.
Screenshot von der Website der

Foto: Screenshot von der Website der "Canada Research Chairs".

SEIT EINIGEN WOCHEN wird über mögliche Reaktionen auf die wissenschaftspolitischen Entscheidungen der Trump-Regierung diskutiert – auch hier im Wiarda-Blog. Besonders im Fokus: Programme zur Gewinnung und Rettung gefährdeter Wissenschaftler*innen aus den USA. Prominente Idee: das Schaffen zusätzlicher Stellen, etwa im Rahmen des geleakten "1.000-Köpfe-Programms" oder des Vorschlags eines "Meitner-Einstein-Programms".

Als jemand, der vor kurzem aus Kanada an die Universität Mannheim gewechselt ist – und dort als hauptamtlicher Dekan Berufungsverfahren begleitet – verfolge ich diese Diskussion mit großem Interesse. Die Sozialwissenschaften in Mannheim wären für die Rekrutierung internationaler Wissenschaftler*innen gut aufgestellt: internationale Ausrichtung, englischsprachige Studiengänge plus meine eigenen Netzwerke aus 20 Jahren Kanada-Erfahrung. Doch die derzeit diskutierten Instrumente, um zusätzliche Stellen zu generieren, hinterlassen mich ratlos, wie eine Fakultät oder ein Institut damit agieren sollte.

Vorgriffsprofessuren: strategisch ungeeignet

Viele der Diskussionen sehen die Schaffung von Vorgriffsprofessuren vor. Die Idee der Vorgriffsprofessur basiert auf dem Prinzip, Professuren vorzeitig auszuschreiben – also bevor Amtsinhaber*innen altersbedingt ausscheiden. Es werden hier also keine neuen Stellen geschaffen. 

Porträtfoto von Julian Dierkes.

Das Problem: Bei der üblichen Operationalisierung als ein sechs-Jahres-Vorgriff bleibt der Erfolg dem Zufall überlassen. Ob eine Professur in den nächsten Jahren frei wird, lässt sich nicht steuern. Ein demografischer Zufall ist aber keine Grundlage für strategisches Handeln.

Zudem bleibt die Vorgriffsprofessur an das klassische Berufungsverfahren gebunden. Das heißt: Interessierte Forscherinnen erhalten kein konkretes Angebot, sondern allenfalls eine unverbindliche Perspektive – kombiniert mit der Frage: "Hättest Du eventuell Interesse, falls Du Dich in einer Ausschreibung durchsetzt?" Gerade angesichts der aktuellen geopolitischen Lage reicht das nicht aus. Wissenschaftlerinnen, die heute überlegen, Europa den Vorzug zu geben,  brauchen Klarheit – nicht vage Möglichkeiten. Oder, wie das Nicola Fuchs-Schündeln und ihre Mitautoren formulieren im Spiegel: "Wer denkt, wir müssten nur die Türen zu unseren Forschungslaboren und Universitäten aufsperren, damit die Forschungselite der USA munter hineinspaziert, irrt. " Für aktive Rekrutierung brauchen Fakultäten und Universitäten mehr als eine offene Tür.

Kanada zeigt, wie es besser geht
 

Ein Blick nach Kanada zeigt, dass es anders geht. Das dortige Canada Research Chair-Programm existiert seit 2000 und schafft gezielt neue Professuren – unabhängig von konkreten Vakanzen. Die Professuren sind auf lange Zeiträume angelegt (Fünf plus fünf  Jahre für Junior-, sieben plus sieben Jahre für Senior-Chairs) und bieten Hochschulen echten Handlungsspielraum. Die Unterscheidung nach dem Karrierestatus ist hier also so vorgesehen, wie das die Autoren des Vorschlags für ein Meitner-Einstein-Programm formuliert haben. Ein sehr wichtiger Aspekt: Die Hochschulen entscheiden eigenverantwortlich über Denominationen, ohne Zustimmung von Ministerien. Das erlaubt schnelle und strategische Entscheidungen und damit auch die Anwerbung von Spitzenforschern – aus den USA oder von anderswo.

Zudem werden die Lehrstühle nicht auf Antrag vergeben, sondern nach einem klaren, leistungsbasierten Verteilungsschlüssel – orientiert am Erfolg in der Forschungsförderung, schlank, unbürokratisch und transparent.

Das kanadische Programm umfasst jährlich rund 300 Millionen kanadische Dollar und zielt auf die Schaffung von fast 3.000 solcher Lehrstühle. Proportional auf Deutschland übertragen entspräche das einem jährlichen Budget von etwa 400 Millionen Euro – angesichts von 21 Milliarden Euro im BMBF-Haushalt kein unrealistischer Betrag.

Mehr als Wissenschaft – mehr als der Bund

Ein solches Instrument wäre nicht nur für den Bund sinnvoll, sondern auch für andere Akteure in der Wissenschaftsförderung. Längere Vorgriffszeiträume könnten zum Beispiel auch strategische Investitionen in sicherheitsrelevante Forschung ermöglichen:  zur Logistik, zu internationalen Beziehungen oder zu den gesellschaftlichen Folgen eines Wehrdiensts. Alternativ könnten andere sogenannte "strategische Zukunftsfelder" spezielle Zuwendungen erhalten, wie das angedachte Meitner-Einstein-Programm es vorzusehen scheint. Längere Vorgriffszeiträume ermöglichen Reaktionsfähigkeit, etwa bei der gezielten Unterstützung von Wissenschaftler*innen, deren Freiheit bedroht ist.

Fazit: Es braucht echte Gestaltungsmöglichkeiten

Wer strategisch handeln will – sei es zur Unterstützung gefährdeter Wissenschaftler*innen oder zur Stärkung des Forschungsstandorts Deutschland – braucht passende Instrumente. Derzeit fehlt es daran. Die Diskussion über Vorgriffsprofessuren greift zu kurz. Es braucht echte Gestaltungsmöglichkeiten, langfristige Planungssicherheit und eine neue Governance der Professurenzuweisung. Kanada macht vor, wie das gehen kann.

Julian Dierkes ist Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim. Von Hause aus Soziologe, hat er sich in seiner Forschung vor allem mit dem japanischen Bildungssystem und der Demokratisierung in der Mongolei beschäftigt. Foto: Universität Mannheim/Joseline Weinberg.

Kommentare

#1 -

Storb | Fr., 04.04.2025 - 17:35
"Die Hochschulen entscheiden eigenverantwortlich über Denominationen, ohne Zustimmung von Ministerien." Bald alle Hochschulen nur noch TU. Aber ernsthaft: Allein, dass hier national gedacht wird, ist irritierend. Es hätte längst ein EU-Programm aufgelegt werden müssen. Und natürlich ist es mit der Finanzierung von Besoldungen bei weitem nicht getan. Das System in Deutschland ist insg. dermaßen unterfinanziert, dass schwer vorstellbar ist, wie hier Dynamik entstehen soll. Derweil man sich mit der "Exzellenzinitiative" und ähnlichem befasst und darauf tausende von Arbeitsstunden verbrennt.

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