Jung, männlich, abgehängt
Sie brechen öfter ab, landen seltener an der Uni: Jungen sind die Verlierer im Bildungssystem. Die Forschung warnt seit langem – doch bildungspolitisch spielt das Thema kaum eine Rolle.
Bild: gpointstudio / Freepik.
WENN IN DEUTSCHLAND heute von "Bildungsverlierern“" die Rede ist, denken viele an Kinder aus prekären Verhältnissen, an Jugendliche mit Migrationshintergrund. Was kaum einer dazusagt: Der größte gemeinsame Nenner unter den Bildungsverlierern ist ihr Geschlecht. Sie sind männlich. Und das ist nicht neu. "Seit fast dreißig Jahren dokumentieren Bildungs- und Jugendstudien eine sich ständig steigernde Leistungsbilanz von Mädchen und jungen Frauen, während die Jungen und die jungen Männer auf der Stelle treten", warnte der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann bereits 2012 in seinem mit Tanjev Schultz herausgegebenen Buch "Jungen als Bildungsverlierer".
Vom Aufholen zum Überholen
Ein Befund, der damals kaum für große Schlagzeilen sorgte. Warum nicht? Vielleicht, weil er nicht ins gewohnte Narrativ passte. Seit die Soziologen Hansgert Peisert und Ralf Dahrendorf Ende der 60er Jahre das "katholische Arbeitermädchen vom Land" als Symbolfigur addierter Bildungsrisiken beschrieben hatten, drehte sich auch die bildungspolitische Debatte über viele Jahre um die Frage, wie die strukturelle Benachteiligung der Mädchen und Frauen im Bildungssystem und, daran anknüpfend, im Berufsleben bekämpft werden konnte. Und tatsächlich: Erst Anfang der 80er holten die Mädchen beim Abitur auf, erst Ende der 90er stellten sie die Mehrheit der Studienanfängerinnen. Doch damit war der Bildungsaufstieg der Mädchen noch lange nicht beendet. Aus dem Aufholen der Mädchen ist in weiten Teilen ein Überholen, ja ein Deklassieren geworden.
Heute liegt der Anteil männlicher Abiturienten laut Statistischem Bundesamt bei nur noch 45 Prozent und das bei einem Bevölkerungsanteil von 51 Prozent. Junge Frauen machen nicht nur häufiger Abitur, sondern erzielen auch die besseren Noten. Dafür stellen Jungen 59 Prozent der Absolventen mit Hauptschulabschluss und 60 Prozent der Schulabbrecher. 52 Prozent der Frauen zwischen 25 und 34 verfügen laut OECD über einen tertiären Abschluss – wie einen Uniabschluss oder einen Meister –, aber nur 39 Prozent der Männer. Umgekehrt haben 15 Prozent der Männer in dieser Altersgruppe weder Abitur noch eine abgeschlossene Ausbildung – gegenüber 11 Prozent der Frauen. Noch 2016 war letzterer Unterschied statistisch kaum erfassbar.
Abgehängt und anfällig für Radikalisierung
Was das bedeutet? Ohnehin wächst die Gruppe der Abgehängten, die deutliche Mehrheit davon sind Männer. Wer ohne Abschluss und Ausbildung bleibt, wer sich als Hilfsarbeiter durchschlagen muss oder ohne Job bleibt, bei dem leidet das Selbstwertgefühl. An der Stelle droht der Bildungsabstieg der Männer zum gesellschaftlichen Problem zu werden. Denn junge Männer neigen statistisch gesehen viel häufiger zu Gewalt, und das umso mehr, je schlechter sie sozial gestellt sind.
Jennifer Bosson und Joseph Vandello von der University of South Florida haben hierfür den Begriff der "prekären Männlichkeit" geprägt. Die Betroffenen reagieren häufig mit Aggression, wenn sie ihren Status eines "richtigen Mannes" in Gefahr sehen. Gewalt ist demnach eine Methode, das bedrohte Geschlechterbild wiederherzustellen.
Auch bei den politischen Einstellungen und dem Wahlverhalten werde der Statusverlust deutlich, den viele junge Männer heute empfänden, sagt Klaus Hurrelmann. "Sie spüren, dass Anerkennung durch Leistung und Engagement erarbeitet werden muss und nicht mehr wie zur Zeit ihrer Großväter nur durch ihre Geschlechtszugehörigkeit gewonnen wird." Und es stimme ja auch: "Junge Frauen können punkten, wenn sie sich männliche Rollenmuster aneignen. Junge Männer haben den Eindruck, sie können dabei nur verlieren."
Das MOTRA-Projekt (Monitoring zu Radikalisierungstendenzen), gefördert vom Bundesfamilienministerium, warnt ausdrücklich: "Geringe Bildung ist ein Risikofaktor für rechtsextreme Orientierungen – besonders bei jungen Männern mit schwachen Schulabschlüssen und fehlender Berufsperspektive." Wer sich chronisch übersehen fühlt, orientiert sich neu – und wendet sich allzu oft jenen zu, die vermeintlich einfache Antworten bieten: Populisten und Verschwörungsideologen.
Bildungsbremse beginnt schon im Kindergarten
Die Schweizer Bildungsforscherin Margrit Stamm verwendet statt "Bildungsverlierer" für Jungen lieber den Begriff "Underachiever": Schüler, deren tatsächliche Leistung deutlich hinter ihrem Potenzial zurückbleibt. Ihre These: Jungen und Mädchen werden unterschiedlich angesprochen und gefördert. "Jungen fallen bereits im Kindergarten zurück, holen in der Primarzeit oft nicht auf – trotz vergleichbarer Intelligenz." Wie früh diese Rückstände einsetzen, macht auch eine aktuelle CORRECTIV-Auswertung von Schuleingangsuntersuchungen über sieben Jahre hinweg in zwölf Bundesländern deutlich. In fast allen Ländern hatten Jungen deutlich häufiger erhebliche Sprachprobleme als Mädchen, im Durchschnitt lag der Unterschied bei knapp sechs Prozentpunkten. Den größten Unterschied gab es 2021 in Thüringen: Während bei rund 19,5 Prozent der Mädchen eine Sprech-, Sprach- oder Stimmstörung festgestellt wurde, traf dies bei rund 30 Prozent der Jungen zu. Die Tests, so CORRECTIV, seien allerdings zu grob, um individuelle Förderbedarfe präzise zu erfassen – und ihre Ursachen systematisch zu erklären.
Dass Jungen und Mädchen in der Grundschule unterschiedlich behandelt werden, ergab zuletzt eine international vergleichende Längsschnittstudie mit rund 17.000 Kindern unter Beteiligung der Universität Halle-Wittenberg. Lehrkräfte überschätzten demnach Mädchen in sprachlichen Fächern und Jungen in Mathematik – und zwar systematisch im Vergleich zu objektiven Testergebnissen. Diese Verzerrungen verstärken sich im Zeitverlauf und führen zu sogenannten selbsterfüllenden Prophezeiungen – mit der Folge, dass Jungen in sprachlichen Fächern weniger gefördert werden und ihre Potenziale dort unterentwickelt bleiben.
Besonders groß ist der Geschlechterunterschied unter leistungsschwächeren Schülern. Unter diesen haben Jungen laut einer bereits 2015 veröffentlichten Expertise des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung den geringsten Vorsprung in Mathe, aber den größten Rückstand bei den Lesefähigkeiten.
Ungleiche Chancen trotz gleicher Leistung
Und insgesamt gilt: Auch wenn die Jungen in Kompetenztests in Mathematik und in den Naturwissenschaften immer noch besser abschneiden als Mädchen, spiegelt sich das nicht in gleicher Stärke in ihren Noten wider, zeigt eine Analyse der Leistungs- und Notendaten von über 14.000 deutschen Neuntklässlern durch Schweizer Forscher: "Mädchen erhalten bessere Noten als Jungen bei gleicher Testleistung – besonders in Deutsch, Mathematik und Biologie." Nur in Physik hätten Jungen einen leichten Vorteil. Besonders benachteiligt seien dabei Jungen mit hohem BMI, mit Migrationshintergrund oder aus Haushalten mit niedrigem sozioökonomischem Status. Das Fazit der Autoren: Jungen müssten im Schnitt mehr leisten, um dieselbe Note zu bekommen – ein struktureller Nachteil, der sich über Jahre hinweg verstärke.
Dahinter steckt auch eine Unterrichtspraxis, die bestimmte Verhaltensweisen belohnt. "Mädchen erleben Schule positiver als Jungen, und sie sind motivierter zu lernen. Sie investieren mehr Zeit in schulische Dinge und stören seltener den Unterricht", schreibt das Berlin-Institut. All das hat Folgen, die über die Notenvergabe weit hinausreichen. "Vieles deutet darauf hin, dass das vorherrschende Bild von Männlichkeit weniger zum System Schule passt als das gesellschaftliche Bild von Weiblichkeit", meint Margrit Stamm.
Stereotyp: schutzbedürftige Mädchen und widerstandsfähige Jungen
Wissenschaftler des DIPF Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation haben in einer 2022 veröffentlichten Studie Lehrkräfte befragt, wie sie sich verhalten würden, wenn eines der Kinder in ihrer Klasse von den anderen ausgegrenzt wird. Einer Hälfte der Studienteilnehmer wurde ein Szenario beschrieben, in dem das Kind Lukas hieß. Für die andere Hälfte ging es um eine Julia. Das Ergebnis: Bei Julia wollten deutlich mehr Pädagogen dazwischengehen als bei Lukas. Obwohl sich beide laut den vorgelegten Texten in exakt der gleichen Situation befanden. Studienleiterin Hanna Beißert sagte damals, aus der nicht repräsentativen Untersuchung mit 101 teilnehmenden Lehrkräften aus unterschiedlichen Schulen lasse sich eine Erklärung nicht gesichert ableiten, aber: Die abweichenden Reaktionen passten "zu bestimmten sozialen Zuschreibungen", zu Stereotypen also. Etwa, dass Mädchen schutzbedürftiger und Jungen widerstandsfähiger seien.
Die Schweizer Erziehungswissenschaftlerin Stamm fordert, die Bildungspolitik müsse sich an den Fakten zu Geschlechtsunterunterschieden orientieren und entsprechend handeln. Dazu gehöre auch die Einsicht, dass Chancengerechtigkeit alle Gruppen einschließen müsse, die im Bildungssystem zurückfallen – ausdrücklich auch Jungen. Oder wie Stamm es auf den Punkt bringt: Das "Postulat der Bildungsgerechtigkeit“ gebiete, "sich mit allen Gruppen zu befassen, die im Vergleich zu anderen Gruppen im Hintertreffen sind.“
All das bedeutet nicht, dass die Bildungserfolge junger Frauen relativiert werden sollen. Im Gegenteil. Dass mehr Frauen das Abitur schaffen, die besseren Noten erzielen, häufiger studieren – das ist Ergebnis eines langen gesellschaftlichen Lernprozesses. Es geht um etwas anderes: Gleichwertige Chancen für alle, auch für jene, die nicht mehr automatisch im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Die Tatsache, dass Männer auf dem Arbeitsmarkt bevorteilt sind, dient häufig als Argument, sich nicht mit der schulischen Benachteiligung der Jungen zu befassen. Doch verschiedene Benachteiligungen lassen sich nicht gegeneinander aufrechnen“, mahnte die Studie des Berlin-Instituts schon vor zehn Jahren.
"Statisches Selbstbild" als Problem
Die Lösungen liegen ebenfalls seit vielen Jahren auf dem Tisch. Margrit Stamm fordert eine geschlechtersensible Förderung ab der Kita, nicht erst in der Schule. Viele "Underachiever-Jungen", sagt sie, hätte ein sogenanntes "statisches Selbstbild", sie glaubten, dass Intelligenz und Begabung von Geburt an festgefügt und unveränderbar seien. Entsprechend müssten sie sich nicht anstrengen. "Doch in Wirklichkeit haben sie Angst, bei höheren Anforderungen zu scheitern." Bei der Förderung dieser Jungen müsse es darum gehen, sie zu einem anderen, einem dynamischen Selbstbild zu bringen: "Dann ist Scheitern keine Bedrohung mehr, sondern ein natürlicher Teil des Lernprozesses und deshalb ein Ansporn für mehr Selbstvertrauen und Anstrengung."
Doch dazu braucht es Vorbilder. Klaus Hurrelmann sagte bereits 2012 auf dem Deutschen Präventionstag: Es wäre "viel gewonnen, wenn wir mehr Männer für Erziehungs- und Bildungsberufe gewinnen könnten." Damit Jungen nicht nur Rollenbilder, sondern auch Bezugspersonen erleben, die ihnen Wege aufzeigen. Seit 2012 hat sich der Anteil der männlichen Erzieher innerhalb von zehn Jahren tatsächlich verdoppelt – und lag 2022 trotzdem nur bei 7,9 Prozent. An den Grundschulen dagegen hängt der Anteil der männlichen Lehrer bundesweit bei um die zehn Prozent fest.
Was fehlt, ist eine Bildungsdebatte ohne Scheuklappen. Die Auseinandersetzung mit einer Frage, die sich immer drängender stellt: Was passiert mit einer Gesellschaft, in der immer mehr junge Männer den Anschluss verlieren? Denn wer sich heute nicht um die Jungen kümmert, wird sich morgen um die jungen Männer sorgen müssen.
Dieser Artikel erschien in einer kürzeren Fassung zuerst im Tagesspiegel.
Kommentare
#1 - Jungs - Verlierer des Bildugssystems
Lieber Herr Wiarda,
ich habe 2010 >extra für Jungs< eine Schreiblernmethode entwickelt und verlegen lassen. Hier schicke einen kurzen Ausschnitt dieses Buches, der zeigt, dass ich seit damals auf die gravierenden Ungerechtigkeiten in der Grundschule hinweise. Können wir nicht einmal einen gemeinsamen Anlauf nehmen, um den Jungen zu helfen? Ich bin daran extrem interessiert. - Hier der Text: Die Weichen für männliche Schreibabstinenz werden schon kurz nach der Einschulung gestellt. Es droht eine Art Analphabetismus light, und zwar auf eine Weise, die so subtil ist, dass zunächst gar nicht auffällt, dass diese Kinder wohl gut Lesen und Rechnen lernen, Schreiben aber nicht. Nun, der Schreibunterricht in der Grundschule ist zwar nicht explizit für Mädchen konzipiert worden, fällt aber eindeutig zu ihren Gunsten aus: »Jungs«, heißt es, »hinken eben immer etwas hinterher.« Soll und darf das als Begründung für pädagogisches Missmanagement gelten? Jungen sind Jungen – Mädchen sind Mädchen. Jungen sind also auch keine langsamen Mädchen.
Diese den Jungen leichtfertig angeheftete, angeblich generelle Lernverzögerung – weil sie nicht so sind wie Mädchen, ist keine Erklärung und kein sinnstiftendes Argument für kollektives Versagen in Sachen Schreiben lernen. Das klingt nach: »Weil du männlich bist, bist du motorisch und geistig nur begrenzt in der Lage, Schreiben zu lernen, und deshalb vom Schreiben können leider ausgeschlossen.« Heißt das nicht, sie werden aufgrund angeborener, geschlechtsspezifischer Eigenschaften benachteiligt? Dürfen typisch männliche Eigenschaften Jungen als Nachteil ausgelegt werden? Und darf das dann dazu führen, dass Mädchen Schreiben lernen, und die Jungen nicht? Nein, natürlich nicht! – Aber so ist es.
Viele Grüße Susanne Dorendorff
#2 - Interessant
Gerade selbst erst wieder im privaten und beruflichen Kontext erlebt, wie sehr man selbst einfach nicht glaubt, dass auch Männer oder eben Jungs benachteiligt sein können. Es war ja auch jahrzehntelang anders herum und im Berufsleben sind Frauen auch weiterhin benachteiligt, insb. bei Führungspositionen. Gibt es derzeit spezifische Förderprogramme für Jungs?
#3 - Eigene Erfahrungen
Habe zwei Söhne. Der Jungere war im Kindergarten Stuttgart Palotti. Als ich die KG Leiterin nach dem Gespräch über die Sprachentwiklung meines Sohnes vor dem Besuch zum Kinderarzt gefragt habe (mein Sohn hatte mit 2,5 jahren open am Ohr. I'm KG bekannt) war die Antwort so. Ich zitiere "Ihr Sohn hat Sprachentwiklungsprobleme, aber ich habe andere Prioritäten". Als ich ein Jahr später gebeten habe, dass wenn die Kinder basteln, das er dazu genommen wird. Ich habe erklärt. Es ist Kleinmotorik, bessere Kognitive Entwicklung. Die Jungs laufen lieber, aber es ist auch Vorbereitung für Schule. Antwort war "Wir sind kein Schulzulieferumgsbetrieb". Die lage mit Kindergärten Plätzen ist so, daß ich mir nicht leisten kann, Katolischen Dekanat anzuschreiben. In der Grundschule Birkach, bei dem Grossem Sohn, hat die Lehrerin gelabert. Die Kinder in der Grundschule brauchen doch keine Hausaufgaben. Im Zeugnisse von meinem Sohn steht. "Der XY ist ein ruhiger Junge, aber er hört auf die Lehrer". Die Frau unterrichtet Deutsch 3-4Klasse. Sie beherrscht Deutsch auf dem Level von zehnjährigen. Im Gimnasium PGH ca. ab der 9 Klasse, auf alle Fragen der Eltern kommt die Antwort "Wir bereiten auf das Studium vor".
#4 - Alles alt bekannt. Schon so…
Alles alt bekannt. Schon so lange, dass man es schon vor meiner Einschulung hätte angehen können. Oder zumindest vor der Einschulung meines Sohnes. Der hat dieses Jahr den Realschulabschluss gemacht. Der den Genderstern benutzende Schuler*in hat auf der Abschlussfeier so manche Missetaten der Schüler angesprochen. Die Klasse war zweitweise sehr schwierig. Bei dem Mädchen, welches den Getränkeautomaten geknackt hat meint er, man erwischt nicht immer die, die man erwischen möchte.
Tja es ist schwierig als Junge, wenn es nicht nach Leistung und Taten geht, sondern vorher schon definiert wird wer gut und wer schlecht zu sein hat.
Ich bin mittlerweile sehr müde. Deshalb werde ich jetzt nicht alles zusammentragen was ich alles an Feindseligkeiten gegenüber den Jungs erlebt habe. Und würde ich es tun, es ergäbe das wohl ein ganzes Buch. Von den Benachteiligungen als Junge/Mann/Vater außerhalb der Schule brauch ich auch nicht anfangen.
Da wundern dann so Sätze wie "Wer sich chronisch übersehen fühlt". Das hat doch nichts mit Gefühlen zu tun wenn man die Diskriminierung mit Studien, Statistiken und im späteren Leben auch mit Gesetzestexten klar und deutlich benennen kann.
Vielen Dank für den Artikel!
#5 - Männlichkeit von Erstklässlern
"Vieles deutet darauf hin, dass das vorherrschende Bild von Männlichkeit weniger zum System Schule passt als das gesellschaftliche Bild von Weiblichkeit", meint Margrit Stamm.
Da frage ich mich, ob Jungs schon bei der Einschulung natürlicherweise solch ein "Bild von Männlichkeit" haben oder ob man denen das einredet oder gar mit Gewalt anerzieht. Gibt es nicht die Formulierungen "Männlichkeitswahn" bzw. "toxische Männlichkeit" ? Einen Aspekt blendet der Artikel aus, aber die Bundeszentrale weiß mehr dazu:
https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/migration-und-maennlichkeit/322587/erziehung-und-sozialisation-konservativ-traditioneller-muslimischer-jungen-in-deutschland/
#6 - Long story short
"Mädchen erleben Schule positiver als Jungen, und sie sind motivierter zu lernen. Sie investieren mehr Zeit in schulische Dinge und stören seltener den Unterricht", schreibt das Berlin-Institut."
That's the story.
Die Jungen erwarten eben Belohnung für Missverhalten. Genauer: dass die Lehrer über ihr Verhalten hinwegsehen, nur auf "Leistung" achten (was immer das sein mag), ihnen quasi einen Geschlechterbonus geben. Aber weshalb sollten Lehrer das tun, zumal dann, wenn die Jungen die Mitschülerinnen und andere Jungen, die weniger "männlich" auftreten, von der Arbeit abhalten? Dieses Problem gab es bei den katholischen Mädchen vom Lande nicht.
Wer hier eine Lösung will, könnte z. B. auf einen Unterricht setzen, der stärker diszipliniert und instruiert, damit das Problem nicht so groß wird. Klagen der Eltern vorprogrammiert.
#7 - Ihr Artukel: jung, männlich, abgehängt
Trotzdem, dass mehr Frauen studieren als Männer sogar mehr Frauen promovieren, aber nur um die 20 % der Professuren besetzen und in anderen wichtigen Führungspositionen von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft hoffnungslos unterrepräsentiert sind, gibt mir zu denken. Führt man den Gedanken weiter, würde dies bedeuten, auf die wichtigsten Post in unserem Land kommen überwiegend Männer, die aus einer Gruppe, die schlechter ausgebildet ist, wesentlich weniger Personen umfasst, stammen. Sieht man sich die Lage in Deutschland an, könnte man zynisch sagen: kein Wunder, weil keine Bestenauslese stattfindet, sondern überwiegend aus der eher kleinen Gruppe (die abgehängten sindmehnschon draußen) der ehemals benchteiligten Jungs sich die Elite unseres Landes rekrutiert. Die exzellenten Frauen spielen wie an der Debatte um Quoten zu sehen ist, fast keine Rolle. Für mich allemal ein ErklärungErklärungsansatz für die Misere in so vielen Bereichen.
#8 - Nicht geeignet, um daraus Lösungsvorschläge abzuleiten
@Marion Holzhauser:
"Für mich allemal ein ErklärungErklärungsansatz für die Misere in so vielen Bereichen."
Das ist eine naheliegende Erklärung, vernachlässigt aber die Zeitdimension und hilft deswegen nicht wirklich weiter. Eine kluge Frau hat mal gesagt "Das Patriarchat ist für alle sch***." und das trifft es m.E. besser. Frauen, die jetzt in dem Alter sind, Führungspositionen zu übernehmen (40+), haben schlechtere Chancen, weil es immer noch die Tendenz zur Homogenisierung gibt, und Jungen, die jetzt vor dem Wechsel auf weiterführende Schulen stehen (~ 10 Jahre), laufen Gefahr, ihr ganzes Leben lang durch schlechtere Bildungschancen gehemmt zu werden.
Starre Rollenbilder (Jungen sind "Rabauken", deswegen muss man ein "braves" Mädchen mit schöner Handschrift neben sie setzen ...) sind gerade in den Schulen absolutes Gift: Weibliche Führungskräfte sind Erwachsene, die solche Sachen thematisieren können und sich z.B. gegen das Verdonnertwerden zum Kaffeekochen und Protokollschreiben wehren können, auch wenn es mal unangenehmen wird. Kinder können das nicht und das rächt sich vor allem für diejenigen, bei denen die Eltern nicht eingreifen können. Wenn wir also nicht wollen, dass eine Bevölkerungsgruppe abgehängt wird, ist es sinnvoll, sich die Probleme in den Schulen getrennt von der Frage des Zugangs zu Führungspositionen anzugucken.
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