Eine Kultur des Wegschauens
Wie konnte es überhaupt zur Fraunhofer-Affäre kommen? Ein jetzt bekannt gewordener Briefwechsel verrät viel über Selbstverständnis, Anspruchshaltung und die Beziehung zwischen Forschungsgesellschaft und BMBF.
Scharfer Briefwechsel: Was Bundesforschungsministerium (links der Berliner Dienstsitz) und die Münchner Fraunhofer-Zentrale sich nach Abschluss der BMBF. Ermittlungen zu sagen hatten. Fotos: Fridolin freudenfett, CC BY-SA 4.0/Rufus 46, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons.
ES HAT BIS NACH DEM RÜCKTRITT Reimund Neugebauers gedauert, bevor das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) jetzt endlich Einsicht in seinen Fraunhofer-Prüfbericht gewährt hat. Rund ein Jahr nach meinem ersten diesbezügliche Antrag im Einklang mit dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Initiiert hatte die Ermittlungen in der Zentrale der Forschungsgesellschaft der frühere BMBF-Staatssekretär Thomas Sattelberger bereits kurz nach seinem Amtsantritt Anfang 2022.
Man wolle den Bericht ja veröffentlichen, versicherte das BMBF wiederholt. Doch Fraunhofer legte Widerspruch ein, der musste erst bearbeitet werden. Und obwohl größtenteils abgelehnt, dauerte es weitere Monate, bis der entsprechende Bescheid nun laut BMBF "Bestandskraft" erhielt.
Hat sich das Fraunhofer-Zeitspiel also gelohnt? Zumindest hat es den Rückzug Neugebauers womöglich hinausgezögert – obwohl bereits im Februar auch die Münchner Staatsanwaltschaft bestätigte, wegen des Verdachts der Verschwendung von Steuergeldern bei Fraunhofer zu ermitteln.
Weil der Bundesrechnungshof (BRH) seinen – später entstandenen – Bericht längst veröffentlicht hat, bietet das BMBF-Dokument selbst nicht mehr wirklich viel Neues. "Zahlreiche Verstöße gegen interne und externe Regeln" erkannte der BRH. Vor allem für Reisen, Dienstfahrzeuge, Bewirtungen und Veranstaltungen seien rechtliche Vorgaben unzureichend beachtet worden. Es habe eine Kultur des Wegschauens geherrscht, die interne Revision sei weitgehend untätig geblieben. Die BMBF-Prüfer listeten ihrerseits Beispiele für "immanente Umsetzungsfehler im Prozess" und "Besserstellung des Vorstandes" auf – über die ich erstmals im November 2022 im Tagesspiegel berichtete, nachdem mir der noch unveröffentlichte Ministeriumsbericht zugespielt worden war.
Die Stellung des Präsidenten sei zu "würdigen", beharrt die Fraunhofer-Vorständin für "Unternehmenskultur"
Umso aufschlussreicher ist dafür jetzt der schriftliche Schlagabtausch, den sich Fraunhofer und BMBF im Anschluss an das Prüfverfahren geliefert haben und den das Ministerium ebenfalls in seiner IFG-Antwort mitlieferte.
So beharrte die unter anderem für "Unternehmenskultur" zuständige Fraunhofer-Vorständin Elisabeth Ewen Anfang September 2022 in einem siebenseitigen Brief ans BMBF darauf, dass "eine mögliche Schadensbetrachtung nicht auf die reisekostenrechtliche Sichtweise" reduziert werden dürfe, sondern "ganzheitlich“" erfolgen müsse. Insbesondere sei die in der Fraunhofer-Satzung verankerte "Stellung des Präsidenten" zu "würdigen". Hier scheint es wieder durch, Fraunhofers großes Problem, dass man offenbar meinte, selbst die Maßstäbe definieren zu können, die man für angemessen hielt.
Woraufhin das BMBF scharf im Oktober 2022 antwortete: Das Bundesreisekostengesetz gelte "für alle Dienstreisenden gleichermaßen". Und: Man sei sich Ewens "Einverständnis sicher", dass es gemeinsames Interesse aller Beteiligten sei, "die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung" für den Empfang öffentlicher Gelder "nicht ansatzweise in Frage stellen zu können".
Der demonstrativ-moralische Zeigefinger des Ministeriums steht allerdings in einem auffälligen Gegensatz zu der Darstellung in Ewens Brief, das BMBF habe "das in der Vergangenheit praktizierte Verfahren" 2017 schriftlich so "intendiert" und trotz jährlicher Berichte bis zur Prüfung nicht hinterfragt.
War man lange allzu verständnisvoll im BMBF und will deshalb jetzt umso strenger wirken? Jedenfalls berichtete der BRH unter anderem: Dreimal habe ein Fraunhofer-Vorstand ein Ex-Leitungsmitglied des BMBF bewirtet, das zu dem Zeitpunkt für die Vergabe der Zuwendungen an Fraunhofer zuständig gewesen sei. Wobei man den BRH-Angaben zufolge für insgesamt 1270 Euro tafelte und trank.
Der Briefwechsel zeigt: Es gibt noch viel aufzuarbeiten. Bei Fraunhofer den Umgang mit Geldern und die Kultur, die dazu führte. Und im BMBF die eigene Rolle zwischen Hinsehen und Nicht-Sehen-Wollen.
Dieser Beitrag erschien in gekürzter Fassung zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
Kommentare
#1 - Die Feststellung, dass das BMBF fünf Jahre lang alles so…
#2 - @Thomas Kosoll: Sie betreiben da eine klassische…
#3 - "Das Bundesreisekostengesetz gelte "für alle…
Bestimmt auch, was den Höchstbetrag für Hotelübernachtungen angeht... Ach nein, wir wollen doch unsere Oberen nicht in Hotels für 70 Euro nächtigen sehen. Da wird sich eine "Notwendigkeit" sicher finden.
#4 - Die Vehemenz, mit der dieses Spesenthema verfolgt wird,…
#5 - Wenn es mal nur das Spesenthema in der Fraunhofer…
@Thomas Kosoll: Wenn das die Grundhaltung im Fraunhofer Vorstand über Jahre hinweg war, ist wirklich ein radikaler Neuanfang nötig. So ein Statement ist wirklich untragbar. Eigenverantwortung, Selbstkontrolle und die Einhaltung ethisch-moralischer Grundsätze kann und muss man erwarten. Zumindest gibt es solche Mitarbeitenden bei Fraunhofer noch - offensichtlich nicht ganz oben....
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