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Was macht die Politik?

Der Bundesrechnungshof erhebt schwere Vorwürfe gegen Fraunhofer und das Bundesforschungsministerium. Der Imageschaden reicht längst über die Forschungsgesellschaft hinaus. Wo bleibt der unbedingte Wille zur Aufklärung?

Was ist hier los? Turm der FhG-Zentrale in München (Aufnahme von 2013). Rufus46, CC BY-SA 3.0

DER SCHADEN der Affäre um die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) und ihren Präsidenten Reimund Neugebauer trifft inzwischen nicht nur die Forschungsorganisation selbst. Je mehr Vorwürfe mutmaßlichen Fehlverhaltens auftauchen, je schwerer sie wiegen, desto größer wird der Vertrauensverlust für Deutschlands außeruniversitäre Forschungslandschaft insgesamt. 

 

In einem neuen 61-seitigen Bericht des Bundesrechnungshofs (BRH), über den ich am Montag zuerst im Tagesspiegel berichtet hatte, sind sehr viele genau jener Punkte enthalten, die Whistleblower seit mindestens zwei Jahren gegenüber Journalisten und Bundesforschungsministerium


berichtet hatten. Neue kommen nach den akribischen Ermittlungen der Beamten hinzu. Nur drei Beispiele:

 

o 313.000 Euro soll Fraunhofer allein in den Jahren 2016 bis 2021 für Bewirtungen ausgegeben haben, an denen das Vorstandsmitglied X beteiligt war – wobei wegen der Vielzahl überhaupt nur Belege von mindestens 60 Euro gezählt wurden. Häufig soll in Restaurants des oberen bis obersten Preissegments gespeist und – laut den Prüfern zu einem "verhältnismäßig hohen Kostenanteil"  – Alkoholisches getrunken worden sein. Eine dienstliche Veranlassung? Laut Rechnungshof in vielen Fällen nicht erkennbar oder zweifelhaft.

 

o Dasselbe Vorstandsmitglied X soll allein 2019 bei 37 von 37 Reisen den zulässigen Kostenrahmen überzogen haben, wodurch Zusatzkosten von über 12.000 Euro entstanden seien. Mit zunehmender Häufigkeit habe X in "Hotels der obersten Kategorie" übernachtet. Fast 15.000 Euro habe Fraunhofer im selben Jahr für die Reise- und Hotelkosten der Gattin von Vorstandsmitglied X ausgegeben, die ihn immer wieder, angeblich dienstlich veranlasst, begleitet habe. 16 mal seien auch dabei die Kostenrahmen überschritten worden. 

 

o Obwohl Fraunhofer hierfür nicht die behauptete Ausnahmegenehmigung des Bundesfinanzministeriums habe vorlegen können, seien für die Beförderung der Vorstandsmitglieder hauptsächlich Fahrzeuge der Oberklasse angeschafft worden. 2019 sei mit fast 114.000 Euro für Leasing und Betrieb der Ausgabenhöhepunkt erreicht worden, wovon ein Großteil des Betrages auf formal dem Vorstandsmitglied X zugewiesene Autos entfallen sei.

 

Ist Präsident Neugebauer
Vorstandsmitglied X?

 

Wie gesagt: Nur drei Beispiele der langen Liste an Vorwürfen der BRH-Prüfer. In meinem Artikel im Tagesspiegel habe ich am Montag weitere nicht weniger ernüchternde Punkte aus dem Bericht aufgeführt, und die Sonderausgabe von Table.Media gestern Abend enthält noch mehr – teilweise fast skurrile – Details. Dass der Bundesrechnungshof keine Klarnamen nennt, geht auf einen Wunsch der FhG nach Pseudonymisierung zurück. Ob es sich bei Vorstandsmitglied X um Präsident Neugebauer handelt, sagt die Fraunhofer-Zentrale auf Anfrage nicht. Die Frage, ob Neugebauer persönlich zu den Vorwürfen des Rechnungshofs Stellung nehmen wolle, verneint die FhG.

 

Fest steht, dass Vorwürfe von Whistleblowern gegenüber Neugebauer sich ebenfalls unter anderem um überhöhte Reisekosten, die Rolle seiner Ehefrau bei Fraunhofer oder auch die Nutzung der Dienstfahrzeuge und Chauffeure drehten – und dass die Fraunhofer-Gesellschaft die meisten dieser Vorwürfe stets sehr entschieden zurückgewiesen hatte. Auch als im Herbst bekannt wurde, dass Neugebauer, identifiziert als FhG-Präsident, im Imagefilm eines Unternehmens aufgetreten war, das ihm zum Zeitpunkt der Veröffentlichung teilweise gehörte, ohne dass dies in dem Video transparent geworden war, beteuerte die Pressestelle, davon hätten Neugebauer und Fraunhofer nichts gewusst. Kurz darauf erklärte der Präsident seinen vorzeitigen Rücktritt zum 30. September 2023. Jetzt teilt Fraunhofer unter anderem mit: "Wir möchten betonen, dass Vorstand und Beschäftigte jederzeit in der Überzeugung der Regelkonformität ihres Tuns handelten." Die im jüngsten BRH-Bericht genannten Vorwürfe systematischer Verstöße gegen interne und externe Vorgaben oder einer mangelnden Governance könne man nicht teilen und halten diese "in ihrer Pauschalität für nicht gerechtfertigt".

 

Die Frage ist, wie lange sich die verantwortlichen Politiker dieses Drama inklusive solcher Stellungnahmen weiter anhören wollen. Pikant ist dabei nicht nur, dass es schon einmal Ermittlungen des Bundesrechnungshofs bei Fraunhofer gab, Mitte der Zehnerjahre, und einige der damals vorgeworfenen Mängel offenbar nicht abgestellt oder, so scheint es, teilweise sogar durch neue, noch extremere ersetzt wurden. Hinzu kommt: So schwerwiegend, wie viele der mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten sind, so fahrlässig und längst nicht mehr nachvollziehbar ist die Geduld, mit der vor allem das Bundesforschungsministerium Fraunhofer bislang behandelt hat.

 

Kein Statement von
Ministerin Stark-Watzinger

 

Der Bundesrechnungshof wirft dem BMBF in seinem neuen Bericht jetzt sogar eine Behinderung seiner Arbeit vor, weil es die Herausgabe bestimmter Akten und den Zugriff auf elektronische Laufwerke verweigert habe. Trotzdem gibt Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) auf Nachfrage immer noch kein persönliches Statement zur Fraunhofer-Affäre ab – während ihr früherer Staatssekretär Thomas Sattelberger (ebenfalls FDP) am Montag sagte, jetzt entstehe "fast der Eindruck der Kollusion" – und forderte, die heutige Ministeriumsleitung müsse "diese möglichen Missstände radikal aufklären". Unter anderem listen die Rechnungshofprüfer auf, dass drei der Bewirtungen von Vorstandsmitglied X mit einem ehemaligen BMBF-Leitungsmitglied stattgefunden hätten, das zum Zeitpunkt der Bewirtungen für die Vergabe der Zuwendungen an die FhG zuständig gewesen sei. Die drei Essen zu zweit kosteten laut BRH 330, 480 und 460 Euro.

 

Schon im Januar hatte Sattelberger im sozialen Netzwerk "Linkedin" Stark-Watzinger gewarnt: "Irgendwann ist der Fraunhofer-Skandal auch Ihr #Skandal, liebe Frau Ministerin!" Er bezog auch auf die weiter ausstehende Veröffentlichung des Prüfberichts der BMBF-eigenen Ermittlungen bei Fraunhofer, die er – wie auch den Bericht des Rechnungshofs – selbst in seiner Zeit als Staatssekretär angestoßen hatte. Auch dessen Inhalt ist in weiten Teilen brisant und kommt, wie von mir berichtet, zu ähnlichen Ergebnissen wie der Rechnungshof. Doch sind die Ermittlungsergebnisse der Ministerialbeamten trotz mehrerer Anträge per Informtionsfreiheitsgesetz (IFG) offiziell weiter unter Verschluss. 

 

Zwar hatte das Ministerium mir fast einem halbes Jahr nach dem ersten IFG-Antrag kurz vor Weihnachten mitgeteilt, den Bericht "demnächst" übersenden zu wollen, inklusive der Weitergabe verschiedener personenbezogener Daten, da deren Schwärzung "den Informationsgehalt deutlich schmälern" würde und dazu geeignet wäre, "das öffentliche Vertrauen in staatlich geförderte Forschungseinrichtungen zu gefährden". Ende Januar teilte das BMBF Ende Januar dann allerdings mit, dass unmittelbar vor Ablauf der Widerspruchsfrist von "beteiligten Dritten" Widerspruch eingelegt worden sei. Dieser müsse jetzt erst einmal bearbeitet werden. Zeitliche Perspektive: unklar. Wer die Beschwerde eingelegt hat, wollte das Ministerium auf Nachfrage nicht mitteilen – hat bislang aber auch nicht die Rechtsgrundlage genannt, die ihr überhaupt erlaubt, diese Information zu verweigern. 

 

Zum Bundesrechnungshof-Bericht teilt das BMBF auf Anfrage mit, es unterstütze den Rechnungshof selbstverständlich in seinen Prüftätigkeiten und habe ihm in dieser Prüfung alle von ihm angeforderten Unterlagen vorgelegt, was "nicht immer zum gewünschten Zeitpunkt möglich" gewesen sei. Der Rechnungshof sagt allerdings, auf das Laufwerk des BMBF-Fachreferats habe er bis heute keinen Zugriff nicht erhalten. 

 

Seine Verantwortung als größter Zuwendungsgeber der FhG nehme es ernst, betont das Ministerium unterdessen. Deshalb habe man schon vor Fertigstellung des BRH-Berichts im Oktober 2021 damit begonnen, die Umsetzung zuwendungsrechtlicher Vorgaben "in noch größerem Umfang zu prüfen als bisher und dabei auch den Vorstandsbereich einbezogen".

 

Wobei der Rechnungshof in seinem Bericht bemängelt, das Ministerium habe sich in der Vergangenheit bei den vorgelegten Aufstellungen und Erstattungen zu den Reisekosten "allein auf die Angaben der FhG verlassen. Zu den in dieser Prüfung behandelten Bewirtungen, Veranstaltungen und Geschenken hat es keine eigenen Erkenntnisse."

 

Weiter teilt das BMBF mit, im Oktober 2022 "die Prüfung eines Teilwiderrufs der gewährten Zuwendungen an die FhG für die letzten Jahre eingeleitet" zu haben. Und es fügt hinzu: Die Verantwortung für Personalangelegenheiten, welche den Fraunhofer-Vorstand betreffen, lägen nicht beim BMBF, sondern beim Senat der Forschungsgesellschaft.

 

Laute Töne auch

aus dem Bundestag

 

In dem das BMBF freilich Mitglied ist und Experten sagen, dass hier gegen das ausdrückliche Votum des Ministeriums praktisch nichts laufe. Warum also bekommt man angesichts der Dimensionen der Vorgänge bei Fraunhofer nicht den Eindruck, dass die Ministerin sich persönlich hinter die Aufklärung klemmt?

 

Und warum äußern sich selbst führende Forschungspolitiker im Bundestag immer noch teilweise erstaunlich geduldig? "Der Bericht steht für sich und zeigt, dass es bei Fraunhofer wirkungsvollere Compliance-Regelungen braucht", sagte etwa der Grüne Kai Gehring, immerhin Vorsitzender des Bundestagsforschungsausschuss, am Dienstagabend zu Table.Media. CDU-Wissenschaftsexperte Thomas Jarzombek sagte: "Richtlinien müssen eingehalten werden und Verstöße sanktioniert werden."

 

Nach der Erkenntnis der wahren Dimensionen der Vorgänge bei Fraunhofer hört sich all das nicht an. Nur die linke Wissenschaftspolitikerin Petra Sitte wurde gegenüber Table.Media wirklich deutlich: Mit einem Rücktritt Neugebauers sei es nicht getan. Die Fraunhofer-Gesellschaft habe vor allem ein strukturelles Problem, das geradezu dazu einlade, Regelungen zu ignorieren und zu umgehen. "Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Vorstände agieren wie kleine Fürsten."

 

Tatsächlich sind die der Forschungsgesellschaft vorgeworfenen Unregelmäßigkeiten, sollten sie sich auch nur annähernd in dem berichteten Umfang bestätigen, atemberaubend und für Deutschlands Forschungssystem insgesamt beschämend. Gleichzeitig macht der Umgang mit der Affäre durch die Politik immer deutlicher: Das dahinter liegende strukturelle Problem der Fraunhofer-Gesellschaft könnte auch weite Teile ihres politischen Controllings umfassen. Es wäre an der Angelegenheit das Besorgniserregendste.


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