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Durch die Brille der Gutverdiener

Die Regierung kürzt bei der jungen Generation? Ja, stimmt. Umso mehr wundert, dass sich die öffentliche Empörung auf die geplanten Einsparungen beim Elterngeld konzentriert.

AN DIESEM MITTWOCH soll das Bundeskabinett den Haushaltsentwurf für 2024 beschließen. Was das für Bildung und Forschung bedeutet, habe ich bereits aufgeschrieben. Die Kernaussage: BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger hat sich in den Verhandlungen insgesamt gut geschlagen. Vielleicht weil sie wie Finanzminister Christian Lindner FDP ist, vielleicht weil die Ampel das mit der Prioritätensetzung für Bildung und Forschung ernst meint. Wobei letztere Vermutung zumindest bei der Bildung nur mit Blick auf die eingeplante zusätzliche ( in 2024 zunächst halbe) Bildungsmilliarde aufrechtzuerhalten ist.

Nicht aber mit Blick auf das BAföG: Die Ausbildungsförderung soll rechnerisch den gesamten Sparbeitrag des Ministeriums erbringen (rund 500 Millionen Euro) und sogar noch mehr. Vor dem Hintergrund, dass vor allem das Studierenden-BAföG schon jetzt faktisch kaputt ist, ist das bitter. Nicht bitter, aber nachdenklich stimmt mich, dass darüber bislang kaum diskutiert wird, es dafür aber eine massive öffentliche Debatte über die geplante Kürzung beim Elterngeld gibt. Gestern Abend der Aufmacher in der Tagesschau, heute Morgen allein beim Spiegel dazu drei Top-Meldungen. Die Aufregung ist so groß, dass sich FDP und Grüne inzwischen gegenseitig vorhalten, wer die Kürzung (nicht) erfunden hat.

Um einmal die Dimensionen zu vergleichen: Nur etwas mehr als elf Prozent der Studierenden bezogen zuletzt BAföG, obwohl je nach Statistik ein Drittel und mehr als armutsgefährdet gilt. Umgekehrt wären von der Elterngeldkürzung, so kritikwürdig sie aus gleichstellungspolitischer Perspektive ist, nach Schätzungen maximal fünf Prozent der potenziellen Eltern betroffen. Die mit dem höchsten Einkommen – während 95 Prozent die Leistung weiter bekämen. Können Sie verstehen, warum ich die Verteilung der öffentlichen Aufmerksamkeit schräg finde?

Natürlich wäre es am besten, wenn gar nicht bei der jungen Generation oder den Familien gespart würde. Aber jene, die sich nach eigener Aussage genau deshalb über die Elterngeld-Kürzung erregen, müssten sich dann mit gleicher Verve fürs BAföG einsetzen –und erst recht dafür, dass die versprochene Kindergrundsicherung bald kommt, und zwar in einer vernünftig ausgestatteten, nicht um Milliarden gekürzten Version.

So bleibt der Eindruck, dass Gesellschaft und Medien auch den Ampel-Sparhaushalt durch die Brille der gut verdienenden Mittelschicht betrachten – und das Wohlergehen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus ärmeren Familien in der Debatte bestenfalls eine Außenseiterrolle spielt.

Dieser Kommentar erschien heute zuerst in meinem Newsletter.

Kommentare

#1 -

Marcel | Do., 06.07.2023 - 01:51
Ja Leute was regts ihr euch denn so auf, wir müssten ja nunmal die Banken retten und jetzt müssma eben sparen. Wenn ma alle den Gürtel bissl enger schnallen dann wird's das schon gehen. Außerdem kleben sich die Studenten ja sowieso hauptsächlich auf die Straßen. Das habt ihr nun davon. Wenn hier jemand das Klima rettet, dann unser neues Heizungsgesetz. Weil wenn die Oma bald nicht mehr mit Holz heizen darf, dann können ma uns auch noch die Renten sparen.

Wacht auf Leute ... sonst ist's bald z spät.

#2 -

Eine Hanna | Do., 06.07.2023 - 13:45
Ohne in die Medienschelte abrutschen zu wollen, kommt mir die Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Online-Medien ebenfalls verstärkt auf Polarisierung angelegt vor. Wichtiger wäre es aber, zu informieren und die systemischen Zusammenhänge nach Priorität und Auswirkungen politischer Projekte sachlich zu diskutieren. (Ich kann z.B. das Wort "Streit" im Zusammenhang mit Diskussionen/demokratischen Findungsprozessen/Verhandlungen/Aushandlungen unterschiedlicher Positionen, wie es auch in den öff.-rechtlichen u.a Tagesschau in gefühlt jedem Kontext bemüht wird, nicht mehr hören. Konnotation: Streit ist schlecht, streiten tun sich nur Kinder... - Gleiches gilt für die Frage, wer sich "durchgesetzt" habe oder wessen "Führungsstil" angeblich zu zögerlich wäre etc.). Man kann ja von der Regierung halten, was man will, aber das Niveau der Berichterstattung war einmal informativer. Polarisieren und Klicks generieren gehört offenbar auch immer stärker zum öff-rechtl. Werkzeugkasten. Schade.

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