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Sherpas in der digitalen Lernwelt

Digitale Bildung ist das Buzzword dieses Herbstes. Wenn man mal von den Flüchtlingsströmen absieht. Es gibt Leute, die sagen, digitale Bildung gebe es gar nicht. Weil Bildung etwas Ganzheitliches ist, etwas Unteilbares und Umfassendes, das Ziel sozusagen. Während die Digitalisierung ein Prozess ist, der lediglich den Weg hin zur Bildung, zum Gebildetsein, verändert. Mir erscheint diese Argumentation stichhaltig. Darum möchte ich im Folgenden vom Digitalen Lernen sprechen. Dem Lernen mithilfe der neuen digitalen Möglichkeiten. Das, was da passiert in deutschen Klassenzimmern und Hörsälen, vor allem aber auch außerhalb der vertrauten Bildungsstätten, wird dadurch nicht geringer, nicht weniger grundsätzlich.


Was aber genau passiert da, und was bedeutet es?


Zunächst einmal bedeutet es, dass die Werkzeuge, mit denen man sich Bildung aneignen kann, und die Quellen, aus denen man sie bezieht, sich vervielfacht haben. Die Quellen, das sind zum Beispiel die Online-Archive, in denen alle Bücher, die unsere Zivilisation hervorgebracht hat, mehr und mehr digital vorliegen. Das sind die Datenbanken, aus denen sich die gesammelten Rohdaten aus immer mehr Forschungsprojekten weltweit abrufen lassen. Das sind die Udacitys, Courseras und edX dieser Welt, wo sich Massive Open Online Courses (MOOCS) oder ihre zunehmend beliebteren kleinen Brüder, die Small Private Online Courses (SPOCS) finden. Letztere zählen zu den Werkzeugen des digitalen Lernens und Lehrens, genau wie Soziale Lernplattformen und Netzwerke, E-Portfolios, Game-based Learning oder der Inverted Classroom.


Was da passiert, bedeutet auch und vor allem, dass sich die Rolle der Lernenden und Lehrenden wandelt. Genau darum ging es auch bei einer Konferenz von Stifterverband und Baden-Württemberg-Stiftung, die ich vergangene Woche moderiert habe. Wenn Lernen überall möglich ist, wenn Lernende aus der Vielfalt der Quellen und Werkzeuge wählen können, welche Rolle spielen dann noch die Lehrenden in den Hochschulen?


Vielleicht überraschend: Auf den ersten Blick verändert sich ihre Rolle gar nicht so sehr. So wie vor 30 Jahren die Aufgabe einer guten (Hochschul-)Lehrerin darin bestand, ihre Schüler oder Studenten mit den am besten geeigneten Formaten (Frontalvortrag? Gruppenarbeit? Oder doch den Film zeigen?) zum Lernen und Sich-Bilden anzuregen, so wird sie aus heute digitale Methoden nur dort einsetzen, wo sie einen Mehrwert gegenüber dem vertrauten bringen. Wo sie einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn gegenüber der analogen sozialen Interaktion erwarten lassen. Alles wie gehabt also. Lehren nicht um der Effekte willen, sondern nur für den echten Aha-Effekt.


Dass in letzter Konsequenz die Lehre am Ende doch eine vollkommen andere werden kann, ist da kein Widerspruch, sondern logisch, wenn man inhaltlich das Beste für seine Studenten herausholen möchte. Wie zum Beispiel der Marburger Anglistikprofessor Jürgen Handke, der vergangene Woche den Ars legendi-Preis für exzellente Hochschullehre erhalten hat. Er unterrichtet fast nur noch per Inverted Classroom. Was genau das heißt, kann man bei YouTube anschauen, und zwar hier.


Auf den zweiten Blick ist der Lehrerjob künftig also doch nicht mehr der alte. Denn wenn die Lehr- und Lernmethoden sich vervielfältig haben, dann wächst auch die Gefahr für die Lernenden, in dieser Vielfalt verloren zu gehen. Dann braucht es Sherpas, die einem den Weg weisen, die einen beraten und ermutigen. Die einem vielleicht auch erst die Landschaftskarte erklären, die da vor einem liegt. Sherpas in der Welt der Lernens sollten Lehrer schon immer sein, Lernbegleiter also, und die guten waren sich dessen auch schon immer bewusst.


Je höher die Berge potenziellen Wissens sich im Zeitalter der Digitalisierung auftürmen, desto verzweigter werden die Wege hinauf, und je schneller kann man sich verlaufen auf dem Weg nach oben. Wenn man sich einmal auf dieses Bild einlässt, dann wird auch schnell klar, dass das Prinzip der formalen Bildung, der sozialen Beziehung zwischen Lernenden und Lehrendem, zwischen Individuum und Bildungsinstitution, noch lange nicht am Ende ist. Einen Achttausender besteigen ganz ohne Sherpa, das macht man wahrscheinlich nur ein einziges Mal.

Kommentare

#1 -

Klaus Diepold | Di., 03.11.2015 - 11:48
Lieber Herr Wiarda,
die zukünftige Rolle der Lehrenden ist ein wichtiger Aspekt, den es zu diskutieren gilt, wenn wir über den Einfluss der Digitalisierung auf das Ökosystem der Bildung betrachten. Dazu finde ich die "Education Philisophy", die auf der Webseite der Kiron University formuliert wurde einen interessanten Schritt in diese Richtung. Auch das Modell des "idealen Studierenden" gilt es dabei neu zu fassen. Welche Bildung brauchen wir (d.h. die jungen Leute) und wie kann Digitalisierung dabei helfen ?

#2 -

Jan-Martin Wiarda | Fr., 06.11.2015 - 15:08
Lieber Herr Diepold, das ist in der Tat ein interessanter Aspekt: der "ideale Studierende". Welche Kompetenzen soll er/sie mitbringen, und wie können wir solche Erwartungen formulieren, ohne schon wieder die soziale Selektion beim Zugang zu Hochschulbildung zu verstärken? Die Diskussion, gerade zur Rolle der Digitalisierung in diesem Zusammenhang, ist noch am Anfang – aber sie nimmt Fahrt auf, glaube ich.

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