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Warum wir einen Bildungsrat fordern

Lehrer, Wissenschaftler und Bildungsforscher haben eine Petition für mehr Bildungsgerechtigkeit gestartet. Was genau sie von der Bundesregierung und den Ländern erwarten: ein Gastbeitrag von Mitunterzeichner Benjamin Rott.

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Artikelbild: Warum wir einen Bildungsrat fordern

Foto: Stilla Seis | Skulpturen: Judith Haman

DIE SONDIERER VON Union und SPD haben es als Ziel in ihr Ergebnispapier geschrieben, doch wissen sie auch, was sie da formuliert haben? Ja, es ist dringend Zeit, über Bildungsgerechtigkeit und einen Bildungsrat zu diskutieren. Ein aktueller Grund liegt in der Migration: Auch wenn die Anzahl der Menschen, die jedes Jahr nach Deutschland kommen, momentan wieder ein wenig abgenommen hat und die sogenannte Flüchtlingskrise (vorerst) überwunden scheint, bleibt das Thema brandaktuell. Es sind viele Menschen – darunter viele im schulpflichtigen Alter – nach Deutschland gekommen und werden zumindest eine ganze Weile hier bleiben. Wie integriert man diese Kinder und Jugendlichen am besten in die Schulen, und wie fördert man sie bestmöglich? Wie können Schülerinnen und Schüler, die schon länger hier sind oder hier geboren wurden, von mehr Bildungsgerechtigkeit profitieren?

Unser Bildungssystem steckt aber noch aus ganz anderen Gründen in der Krise. Lange vor den aktuellen Migrationsbewegungen haben mehrere unabhängige Untersuchungen - die besonders öffentlichkeitswirksamen PISA-Studien sind nur ein Teil davon mit großer Beständigkeit konstatiert, dass die Bildung in Deutschland in viel zu hohem Maße von der sozialen Herkunft abhängt. Es gibt zu wenig (wissenschaftlich fundierte!) pädagogische Konzepte, um die mangelnde Unterstützung vieler Schüler durch ihr Elternhaus aufzufangen und Schulen bei der Umsetzung der politisch geforderten Inklusion zu unterstützen.

Ein weiteres, davon sicherlich nicht unabhängiges Problem, ist die Entwicklung unserer Schulen. Die Gymnasien sind faktisch zu Gesamtschulen geworden, auf die zu Beginn der Sekundarstufe mehr als 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs gehen. Nicht für alle von ihnen ist es die richtige Wahl, Misserfolgserfahrungen sind vorprogrammiert. Auch auf diese Entwicklung gibt es kaum gute Antworten. Einerseits werden die Anforderungen an die Lernenden immer weiter abgesenkt, damit möglichst viele von ihnen (auf dem Papier) Lernerfolge verbuchen können - schließlich sind hohe Absolventen- und Abiturquoten gewünscht. Andererseits werden mangelnde Kompetenzen von Abiturienten angemahnt, beispielsweise in Bezug auf mathematische Grundfertigkeiten. Auch für dieses Problem fehlen (wissenschaftlich fundierte) Lösungen (und die im zitierten Brandbrief geforderte Abkehr von der "Kompetenzorientierung" ist sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss).

Wie sollen diese und weitere Probleme unseres Bildungssystems, ja unserer Gesellschaft, gelöst werden? Sind diese Probleme (ausschließlich) in den Händen der Politiker gut aufgehoben? Letztere haben es in den vergangenen Wahlperioden nicht geschafft, überzeugende Antworten zu liefern. Stattdessen könnte man sogar den Eindruck gewinnen, dass anstelle von Konzepten eher Aktionismus an den Tag gelegt wird, insbesondere kurz vor und nach Wahlen, oder dass einige Verantwortliche Klientelpolitik betreiben und etwa in Bezug auf die Gymnasien den Status Quo mit aller Macht aufrechterhalten wollen.

Eine Antwort auf viele dieser Fragen könnte die Einsetzung eines unabhängigen Bildungsrats sein, in dem Experten aus Schulpraxis, Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik, aber auch aus Verwaltung, Zivilgesellschaft und Politik vertreten sind. Ein solcher Rat könnte dem Bund und den Ländern Empfehlungen für eine koordinierte Bildungspolitik geben und sollte auch selbst Studien bei Forschungsinstituten in Auftrag geben dürfen.

Diese wichtigen Themen, Bildungsgerechtigkeit und die Schaffung eines Bildungsrats, werden nun endlich diskutiert! Am 08. Januar hat Susanne Eisenmann als scheidende Präsidentin der Kultusministerkonferenz in diesem Blog ein Interview gegeben. Unter anderem wurde sie gefragt, ob es eine Neuauflage eines Bildungsrats geben sollte. Auch wenn sie dieser Idee eine klare Absage erteilt – ein Bildungsrat wäre in ihren Augen kaum handlungsfähig, da nicht entscheidungsbefugt –, ist die Debatte damit nicht zu Ende.

Im Ergebnispapier der schwarz-roten Sondierungsverhandlungen steht explizit, dass sie "die Bildungschancen in Deutschland im gemeinsamen Schulterschluss von Bund und Ländern verbessern [und] [d]afür […] einen nationalen Bildungsrat einrichten [wollen]". Aber auch das ist natürlich noch keine Entscheidung, sondern zunächst erst einmal nicht mehr als eine Absichtserklärung. In den anstehenden Koalitionsverhandlungen kann noch so manche Absicht unter den Tisch fallen und längst nicht alles, was es in einen Koalitionsvertrag schafft, wird tatsächlich umgesetzt werden. Daher gilt es jetzt, dieses Thema publik und den Politikern und Politikerinnen klar zu machen, dass akuter Handlungsbedarf besteht.

Spannend wird auch die Reaktion der Länder sein auf die Absicht, einen Bildungsrat einzurichten. Einige Kultusministerien setzen sich sehr deutlich dafür ein, dass Bildung weiter ausschließlich der Länderhoheit unterliegt; sie könnten in einem zentralen Bildungsrat eine unerwünschte Einmischung und Einflussnahme des Bundes sehen und versuchen, seine Initialisierung zu verhindern.

Am 12. Januar gab es dann – wieder in diesem Blog – einen Kommentar zum Bildungsrat: "ja – aber richtig!" mit drei Lehren, die aus dem Scheitern des Bildungsrates der 1960er und 70er Jahre gezogen werden sollten. Auch wenn in dem genannten Beitrag bereits ein Link auf die Initiative Bildungsrat für Bildungsgerechtigkeit" gesetzt wurde, möchte ich an dieser Stelle noch einmal dafür werben: Derzeit gibt es eine Initiative von Pädagoginnen und Pädagogen für mehr Bildungsgerechtigkeit, für die Einrichtung eines unabhängigen Bildungsrates. Lesen kann nicht schaden, unterzeichnen könnte helfen.

Benjamin Rott ist Professor für Mathematik und ihre Didaktik an der Universität zu Köln.


Wer hat unterzeichnet?

Stand Mittwochabend haben 3400 Menschen die Petition "Bildungsrat für Bildungsgerechtigkeit unterschrieben, darunter die Bildungsforscher Hans Brügelmann, Klaus Klemm und Klaus Hurrelmann, der Hochschuldidaktiker Ludwig Huber, die ehemalige didaktische Leiterin der Bielefelder Laborschule Annemarie von der Groeben, der

Mathedidaktiker Heinrich Bauersfeld, die Dekanin des Fachbereichs Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg, Eva Arnold, und Heinrich Brinker, der die Grundschule auf dem Süsteresch in Schüttorf (Hauptpreis des Deutschen Schulpreises 2016) leitet. Hier der direkte Link zur Petition.


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