Wie man wirklich stark wird
Hochschulen brauchen wirkmächtige Chefs. Doch echte Macht erwächst ihnen nur, wenn gleichzeitig neue Formen der Mitbestimmung für alle etabliert werden. Eine Replik auf George Turner.
EINES MÖCHTE ICH vorab versichern. Ich bin keiner, der sich Universitäten zurückwünscht, wie sie in den 70er und 80er Jahren organisiert gewesen sein sollen. Teilweise unregierbar, gefangen in der Selbstblockade zwischen den Statusgruppen, schwachen Rektoren und Dekanen, die keine Lust zum Führen hatten. Keine Ahnung, ob und wann Hochschulen wirklich so eine miese Governance hatten, aber das ist das Bild, das viele heute von ihnen zeichnen.
Zum Beispiel mein Tagesspiegel-Mitkolumnist George Turner. Bereits im Februar warnte er: "Mitbestimmung nicht übertreiben", und vergangene Woche befand er sogar: "Mitbestimmung lenkt nur ab.“ Dass Berlin eine Arbeitsgruppe "Demokratische Hochschule" eingerichtet habe, zeige, "wie weit man sich von der Kernfrage entfernt". Die da laute: "Wie Einrichtungen zu organisieren sind, deren Aufgabe Forschung und Lehre ist".
Nun hat George Turner eindeutig den Erfahrungsvorteil. Ich kann dem vor allem meinen womöglich naiven Glauben entgegensetzen, dass nur eine Hochschule, die mit sich und allen ihren Mitgliedern im Reinen ist, eine starke, eine handlungsfähige Hochschule sein kann.
Eines weiß allerdings genau: In den vergangenen 20 Jahren war das vielerorts nicht der Fall. Die Macht der Rektoren und Präsidenten mag gestärkt worden sein, doch es ist eine Macht auf dem Papier, solange sie nicht Akzeptanz bei denjenigen findet, die geführt werden sollen. An einigen Hochschulen gelangten Persönlichkeiten an die Spitze, die trotz ihrer Machfülle (oder weil sie sie geschickt ausgenutzt haben) diese Akzeptanz gefunden haben. An anderen Hochschulen entstanden neue Formen des Gegeneinander-Arbeitens und der Verweigerung.
Was ich damit sagen will: Die Frage, wie Hochschulen idealerweise organisiert sein sollten, um ihre Kernaufgaben möglichst effektiv erledigen zu können, ist – anders als Turner – nahelegt – eben genau nicht zu trennen von der Frage der Mitbestimmung. Auch der Wissenschaftsrat, dessen neulich veröffentlichte "Empfehlungen zur Hochschulgovernance" Turner zitiert, positioniert sich ganz bewusst nicht für oder gegen ein bestimmtes Governance-Modell. Die plakative Zustandsbeschreibung des Wissenschaftsrates lautet schlicht: "Es knirscht an vielen Stellen."
Ja, es knirscht, weil alle Reformen es bislang nur in Ansätzen und ganz sicher nicht flächendeckend vermocht haben, die notwendige Stärkung der Hochschulleitungen mit dem besonderen Wesen und dem Selbstverständnis akademischer Institutionen zu versöhnen. Das gelang, siehe oben, nur einigen besonderen Führungspersönlichkeiten. Systematik geht anders.
Gegen eine Arbeitsgruppe "Demokratische Hochschule" ist also nichts zu sagen. Solange sie den Blick nach vorn richtet und nicht nach hinten. Solange sie nicht nur der alten Gruppenuniversität neues Leben einhaucht, sondern fragt: Wie kann moderne Mitbestimmung im 21. Jahrhundert aussehen? Und welches Modell ist passt zu welcher Hochschule? Nur wenn diese Fragen angemessen beantwortet werden, können die starken Hochschulleitungen, die Turner zu Recht fordert, wirklich stark sein.
Dieser Kommentar erschien heute zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
Kommentare
#1 - Sehr geehrter Herr Wiarda, danke für Ihre differenzierte…
Daniel Siemens
#2 - Da ich seit vielen Jahren als Mentor und Coach…
Im Kern steht nach wie vor und immer wieder die mit Verantwortung wahrgenommene und auf das Gemeinwohl ausgerichte Freiheit der einzelnen Akteure.
Kreative Lösungen sind gefragt und Beteiligte, die einen Ausgleich der berechtigten Interessen herstellen wollen und können, weil sie u.a. einfühlsame Kommunikation, angemessene Partizipation und authentische Kooperation auf hohem Niveau beherrschen.
Da ist viel zu tun - auf allen Seiten!
#3 - Tatsächlich '"knirscht es an vielen Stellen". Und es gibt…
Aber das "Knirschen" werden wir in den Hochschulen als "spezifischen" Organisationen (C. Musselin) nicht weg bekommen, und sollten wir meiner Meinung nach auch nicht. Wichtig ist zu gucken, wo sich dadurch Reibungsverluste ergeben, und wo dadurch produktive Wärme entsteht.
Das Ziel guten Wissenschaftsmanagements und Governance muss es sein, möglichst große Freiräume für Motivation und Kreativität zu schaffen. Die Hochschulen sind so komplex, dass sie an manchen Stellen etwas mehr Führung / Strategie durchaus vertragen, gleichzeitig aber an anderen noch mehr Mitbestimmung benötigen.
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