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"Spezielles Näheverhältnis"

Warum konnte die mutmaßliche Steuergeld-Verschwendung in einer der wichtigsten Forschungsorganisationen Deutschlands so lange unbehelligt weiterlaufen? Eine Recherche über den Wert persönlicher Kontakte, Bundestagsabgeordnete im Fraunhofer-Senat – und die Frage, ob sie da überhaupt hineingehören.

Fraunhofer-Zentrale in München. Foto: Rufus46, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons.

REIMUND NEUGEBAUER LEGTE großen Wert auf engen Kontakt mit Bundestagsabgeordneten. Der Ex-Präsident der Fraunhofer-Forschungsgesellschaft wusste um ihre Bedeutung. Denn auch wenn die Bundesregierung den Haushaltsentwurf aufstellt – das letzte Wort haben die Abgeordneten, bei der Vergabe von Steuergeldern und darüber hinaus.

 

Das ideale Szenario war da natürlich, wenn führende Haushalts- und Wissenschaftspolitiker der jeweiligen Regierungskoalition in den Fraunhofer-Senat gewählt wurden. Das erhöhte ihre Identifikation mit der Forschungsorganisation und Neugebauer hatte stets einen guten Grund, sie bei Bedarf auch kurzfristig zu kontaktieren. 

 

Dass enge persönliche Kontakte nützlich sind, war bei Fraunhofer schon länger bekannt. Ein Vorstandsmitglied hatte mindestens einen leitenden Ex-Mitarbeiter des Bundesforschungsministeriums (BMBF), das zu diesem Zeitpunkt für die Vergabe der staatlichen Zuwendungen an Fraunhofer zuständig war, mehrfach fürstlich auf Spesenkosten bewirtet, berichtete der Bundesrechnungshof im Frühjahr.

 

Lang anhaltende Unterstützung für Neugebauer

 

Praktisch unverbrüchlich war zudem die Unterstützung, die Neugebauer von den Vertretern der Stahl- und Autoindustrie erhielt, etwa Heinz Jörg Fuhrmann, Ex-Vorstandsvorsitzender der Salzgitter AG und des Fraunhofer-Senats. Lag in solchen engen personellen Verflechtungen einer der Gründe, warum sich Neugebauer trotz aller Whistleblower-Beschwerden, trotz ungeklärter Sachverhalte und seines umstrittenen Führungsstils so lange der unbedingten Unterstützung des Fraunhofer-Senats sicher sein konnte? So sicher, dass das Gremium noch im November 2021 alle Vorwürfe gegen Neugebauer als "durchweg haltlos" erklärte und weitere Untersuchungen für nicht nötig hielt?

 

Für Bundesunternehmen gibt es die Richtlinie, dass Abgeordnete des Deutschen Bundestages, "soweit sie nicht die Funktion einer Parlamentarischen Staatssekretärin oder eines Parlamentarischen Staatssekretärs wahrnehmen, zur Vorbeugung von Interessenkonflikten im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz nicht in Überwachungsorgane von Unternehmen mit Bundesbeteiligung berufen werden" sollen.

 

Warum gilt dieselbe Richtlinie nicht für eine Forschungsgesellschaft, die sich in 90-prozentiger Trägerschaft der Bundesregierung befindet?

 

Immerhin sah man, nachdem die FDP-Politikerin Bettina-Stark-Watzinger Ende 2021 Bundesforschungsministerin geworden war, im BMBF Grund genug, die Besetzung des Fraunhofer-Senats mit Mitgliedern des Deutschen Bundestages einer rechtlichen Prüfung zu unterziehen.

 

Das in der Ministeriumsabteilung Z entstandene interne Gutachten, das mir vorliegt, kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Regel für Bundesunternehmen grundsätzlich auf "staatliche Mandate in Aufsichtsorganen von staatlich finanzierten Einrichtungen" übertragen werden sollte. 

 

Senatstickets für Geldverteiler

 

Laut Satzung sind nur sieben der gut 30 Plätze im Fraunhofer-Senat Mitgliedern aus dem staatlichen Bereich vorbehalten, davon drei aus den Ländern. Seine vier Repräsentanten entsendet der Bund ausnahmslos aus seinen Ministerien. Wie kommen dann die Abgeordneten in den Senat?

 

Laut Satzung gehören dem Gremium weitere bis zu 18 Vertreter aus der Wissenschaft, der Wirtschaft und dem öffentlichen Leben an, gewählt von der Mitgliederversammlung. Ausgerechnet diese (Gesellschafts-)Tickets nutzt man auch für die Bundestagsabgeordneten. 

 

Das BMBF-Gutachten stufte das als nicht im Sinne der Satzung ein: Für die anwendungsnahe Fraunhofer-Mission seien wissenschaftliche und wirtschaftliche Perspektiven neben der staatlichen Sicht von hoher Bedeutung. Hinzu komme die "Herausforderung des Parlaments, seine eigenen Vertreterinnen und Vertreter und somit sich selbst kontrollieren zu müssen".

 

Umso mehr erstaunt auf den ersten Blick, dass die Fraunhofer-Gesellschaft noch im August 2023, über ein Jahr nach Vorliegen des BMBF-Gutachtens, drei neue Bundestagsabgeordnete in den Senat gewählt hat, die ihr Amt im Januar 2024 antreten sollen. Es handelt sich, wie Fraunhofer bestätigt, um die Wissenschaftspolitiker Sönke Rix (SPD), Anja Reinalter (Grüne) und den FDP-Chefhaushälter Otto Fricke. 

 

Für die Union hatte 2022 zunächst Helge Braun auf der Wahlliste gestanden, der Vorsitzende des Haushaltsauschusses, doch 2023, als tatsächlich gewählt wurde, nicht mehr. Weil die Ampelparteien seine Wahl zu verhindern wussten? Insidern zufolge betrachten es die Fraktionen des Bundestags als ihr Recht, Kandidaten für den Senat zu nominieren. Obwohl es laut BMBF-Gutachten kein Benennungsrecht des Bundestages gibt und somit "keine parlamentsinternen Regularien zum Tragen" kämen.

 

Fraunhofer beruft sich auf eigenes Rechtsgutachten

 

Die Fraunhofer-Gesellschaft betont auf Anfrage, die Wahl von Senatsmitgliedern falle nicht in den Aufgabenbereich des Präsidiums.

 

Der damalige parlamentarische Staatssekretär Thomas Sattelberger (FDP) habe die Argumentation des BMBF-Gutachtens im Frühjahr 2022 dem damaligen Wahlausschuss und dem Ex-Senatsvorsitzenden Fuhrmann mitgeteilt, woraufhin man ein eigenes externes Rechtsgutachten beauftragt und bis zu dessen Vorliegen die Zuwahl neuer Abgeordneter zurückgestellt habe.

 

Auch "auf Basis dieses Rechtsgutachtens", demzufolge Bundestagsabgeordnete sehr wohl als Personen des öffentlichen Lebens wählbar seien, sei der Fraunhofer-Wahlausschuss dann die Vorbereitung der Senatswahlen für das Jahr 2023 angegangen. Das Gutachten, so ein Fraunhofer-Sprecher, sei jedoch "ein internes Dokument, das wir nicht weiterreichen können". 

 

Einen Interessenkonflikt könne man nicht sehen, teilt die Pressestelle zudem mit: "Im Gegenteil halten wir es für richtig, dass sich Parlamentarier auch in ihrer Aufgabe als legislative Kontrollinstanz der Fraunhofer-Gesellschaft durch die Mitarbeit im Senat einen vertieften Einblick in unsere Arbeit machen können. Dies gilt üblicherweise auch für viele andere Organisationen, wie beispielsweise bundeseigene Unternehmen oder Anstalten des Öffentlichen Rechts."

 

Ein "klassisches Eigentor"

 

Für den angesehenen Verwaltungsrechtler Ulrich Battis hat die Fraunhofer-Gesellschaft mit ihrer Antwort jedoch "ein klassisches Eigentor" geschossen. "Man bestreitet mögliche Interessenkonflikte, räumt sie zugleich aber mit der eigenen Argumentation ein. Wenn als ein Ziel der Senatsmitgliedschaft von Bundestagsabgeordneten genannt wird, dass diese einen vertieften Einblick erhalten, dann definiert das ein spezielles Näheverhältnis." Besonders kritisch sei das im Falle von Haushaltspolitikern, die im Bundestags-Haushaltsausschuss in dessen Schlussberatungen freihändig Geld verteilen könnten. 

 

Aber auch die Doppelfunktion von Wissenschaftspolitikern sei kritisch zu sehen, da der Forschungsausschuss des Bundestages die Vergabe von Forschungsaufträgen vorbereite. "Es ist ganz einfach", sagt Battis. "Vertreter der Gesellschaft im Aufsichtsgremium der Fraunhofer-Gesellschaft dürfen nicht zugleich für die Zuteilung staatlicher Gelder verantwortlich sein." 

 

Hat man nicht aus der verschleppten Aufklärung der Neugebauer-Ära gelernt? Auch wenn man sich im Recht fühlt, warum verzichtet man nicht freiwillig auf die Zuwahl von Bundestagsabgeordneten für den Senat, auch als Zeichen des institutionellen Neuanfangs?

 

Thomas Sattelberger hat das Forschungsministerium schon im Sommer 2022 verlassen. Inzwischen geht man im BMBF auf Nachfragen zum ministeriumseigenen Gutachten nicht einmal mehr ein. Eine Sprecherin sagt lediglich, die Fraunhofer-Satzung schließe nicht aus, "dass eine Vertreterin oder Vertreter dieser Mitgliedergruppe auch Mitglied in einem Parlament ist. Grundsätzlich muss jedes Mitglied des Senats dafür Sorge tragen, alle Compliance-Regelungen zu erfüllen, denen es unterliegt." 

 

Dieser Beitrag erschien in leicht kürzerer Fassung zuerst im Tagesspiegel.



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