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"Eine Wissenschaftsdiplomatie, die sich von keiner Regierung einspannen lässt"

Muss Deutschlands Wissenschaft ihre Beziehungen mit China neu austarieren? Der Südafrikaner Daya Reddy ist Vorsitzender des Internationalen Beirats der Humboldt-Stiftung. Wie blickt er auf die deutsche Debatte? Ein Interview.

Daya Reddy. Foto: Lerato Maduna / University of Cape Town.

Herr Professor Reddy, Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) forderte die deutschen Universitäten auf, alle existierenden Wissenschaftskooperationen mit China auf den Prüfstand zu stellen. Erste Universitäten schließen chinesische Staatsstipendiaten vom Austausch aus, während die Hochschule Bielefeld sich für die Eröffnung einer Niederlassung in China rechtfertigen muss. Haben Sie in Südafrika eine vergleichbare Debatte?

 

Nein. Zumindest nicht annähernd auf dem Level, wie wir sie in Deutschland oder auch den Vereinigten Staaten erleben. 

 

Woran liegt das?

 

China wird bei uns in Südafrika vor allem als Wirtschaftspartner und Investor gesehen. Dass die Gegenleistung etwa im Zugang zu Bodenschätzen besteht, beunruhigt viele Bürger viel mehr als die Gestaltung wissenschaftspolitischer Beziehungen. Hinzu kommt, dass Südafrika gerade in der Coronakrise wissenschaftlich sehr gut mit chinesischen Partnern zusammengearbeitet hat, das schafft Vertrauen. 


Daya Reddy ist emeritierter Professor für Angewandte Mathematik an der University of Cape Town. Seit März 2023 fungiert er als Interims-Vizekanzler seiner Universität. Er war Präsident der Academy of Science of South Africa und erster Präsident des International Science Council (ISC). Daya Reddy ist Vorsitzender des Internationalen Beirats und Träger des Georg-Forster-Forschungspreises der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. 


Vor wenigen Jahren herrschte in Deutschland noch eine ausgeprägte China-Euphorie. Sie sind der Vorsitzende des Internationalen Beirats der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und regelmäßig in Deutschland. Haben Sie eine Erklärung für den rasanten Stimmungsumschwung?

 

Fest steht: Nicht China hat sich verändert, sondern Deutschland. Das 


 Bewusstsein ist gewachsen, dass China mit seiner Außenpolitik strategische Interessen verfolgt und dass auch die chinesische Wissenschaft von den Machthabern eingespannt wird, den internationalen Einfluss zu erhöhen. Die Grenzen zwischen Grundlagenforschung, angewandter Forschung und technologischen Innovationen verschwimmen, die Gefahr wächst, dass aus Deutschland stammende Forschungsergebnisse von China gegen deutsche Interessen eingesetzt werden. Umgekehrt müssen wir uns aber vor Überreaktionen gegenüber einzelnen Wissenschaftlern hüten, wie wir von US-Sicherheitsbehörden bereits erlebt haben. 

 

Sie stimmen Ministerin Stark-Watzinger aber prinzipiell zu?

 

Sie ist Politikerin, und so ist ihre Äußerung einzuordnen. Sie betont selbst, dass am Ende die Wissenschaft in der Verantwortung steht, ihre Beziehungen zu China zu gestalten. Und dabei nur selbst entscheiden kann, mit wem man wie zusammenarbeitet. Das entspricht der Wissenschaftsfreiheit. Aber aus dieser Freiheit folgt selbstverständlich die Verpflichtung, die Standards wissenschaftlicher Integrität zu bewahren, auch im Austausch von Wissenschaftlern und von Forschungsergebnissen. 

 

"Was wir brauchen, ist eine neue Form des Dialogs

zwischen Wissenschaftlern, Forschungseinrichtungen, Politikern und Regierungsinstitutionen."

 

Was bedeutet das konkret für eine Organisation wie die Humboldt-Stiftung?

 

Was sicher nicht reicht, ist einfach die Arme zu verschränken und zu sagen: "Was die Politik sagt, interessiert uns nicht. Wir pochen auf unsere Unabhängigkeit." Was wir stattdessen brauchen, ist eine neue, kontinuierliche Form des Dialogs zwischen Wissenschaftlern, Forschungseinrichtungen, Politikern und Regierungsinstitutionen. In dieser Situation braucht es absolutes Vertrauen zwischen beiden Seiten. Das Vertrauen der Wissenschaft, dass die Politik sich nicht in wissenschaftliches Handeln einmischt. Und das Vertrauen der Politik, dass die Wissenschaft den geostrategischen Fragen nicht ausweicht, die sich stellen.

 

Besteht dann nicht die Gefahr, dass die Wissenschaft in Deutschland genauso zum verlängerten Arm der Sicherheitspolitik wird wie in China? Ist das gleichbedeutend mit dem Ende der Wissenschaftsdiplomatie?

 

Die Gefahr sehe ich nicht. In der Geschichte gibt es wunderbare Beispiele erfolgreicher Wissenschaftsdiplomatie in absoluten Krisenzeiten. Die internationale Zusammenarbeit von Forschern, deren Länder sich in einem Konfliktzustand befanden. Denken Sie an die USA und den Iran, an die USA und Kuba oder der Westen und die Sowjetunion.

 

Diesmal hat der Westen seine wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Russland weitgehend abgebrochen. 

 

Es gibt aber glücklicherweise Organisationen wie den International Science Council, in dem Akademien, Wissenschaftsorganisationen und Forschungsförderer wie die DFG aus 150 Ländern Mitglied sind und der auch in dieser Krise die Wissenschaftsdiplomatie hochhält. Und die Mission der Humboldt-Stiftung passt perfekt dazu. Sie ist einzig und allein dazu da, die internationale Zusammenarbeit zu fördern, und zwar auf der Ebene von Menschen. Keine Projekte, keine Institutionen. Nur Menschen. Dadurch ist sie zu einer Wissenschaftsdiplomatie in der Lage, die sich von keiner Regierung einspannen lässt.

 

Bitte erklären Sie das.

 

Die Humboldt-Stiftung ist ein weltumspannendes Netz, und wenn Sie einmal dazu gehören, bleiben Sie für immer Mitglied der großen Humboldt-Familie. Es ist eine Gemeinschaft, in der wissenschaftliche Exzellenz und Kooperation im Mittelpunkt stehen, und diese Ideale will sie in der ganzen Welt verbreiten. Weil wir als Humboldtianer davon überzeugt sind, dass dieses Verständnis von Offenheit auch auf andere Lebensbereiche ausstrahlt. 

 

"Lassen Sie uns an den Klimawandel denken.

Dann ist doch sofort klar: Es gibt zu dieser Art

der globalen Zusammenarbeit gar keine Alternative."

 

Glauben Sie nicht, dass es auch Humboldtianer gibt, die sich für die nationalen Interessen Ihres Heimatlandes einspannen lassen?

 

Lassen Sie uns doch mal weggehen von den umstrittenen Themen wie der Dual-Use-Forschung. Lassen Sie uns an den Klimawandel denken. Dann ist doch sofort klar: Es gibt zu dieser Art der globalen Zusammenarbeit gar keine Alternative. Wir brauchen Wissenschaftsdiplomatie, sonst wäre ein Gremium wie der Weltklimarat (IPCC) komplett unwirksam.

 

Sie sagen also: Wir müssen das Risiko wissenschaftlicher Kooperationen mit China eingehen, weil die Folgen der Nicht-Zusammenarbeit viel gefährlicher für uns wären? 

 

Exakt. Im Großen und Ganzen kommt die Zusammenarbeit beiden Ländern zugute. Das gilt auch für Dual-Use-Forschung, die wir mit dem zuvor beschriebenen Realismus betreiben sollten. Also kein Abbruch der Kooperation. Sondern eine Vergewisserung unserer eigenen Interessen im Dialog, der die Freiheit und die Verantwortung der Wissenschaftler gleichermaßen betont, aber ohne gegenseitige öffentliche Belehrung von Politik und Wissenschaft. 



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