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"Am Rande der Armutsgefährdungsschwelle"

Promotionsstipendiaten der Begabtenförderungswerke wenden sich in einem Brandbrief an Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger: Die versprochene Erhöhung der Fördersätze sei unzureichend, es brauche weitreichende Reformen und eine angemessene Finanzierung.

Logo des Netzwerks Stipendienerhöhung (Screenshot von der Website der Online-Petition).

ZUM ERSTEN MAL seit 2016 erhalten die Promotionsstipendiaten der 13 Begabtenförderungswerke mehr Geld. Doch anstatt dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) dankbar zu sein, haben 130 Geförderte jetzt einen offenen Protestbrief geschrieben. Adressaten: BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger und die Mitglieder des Bundestagsforschungsausschusses. Parallel haben sie eine Online-Petition gestartet.

 

Wie berichtet hatte das BMBF auf das Drängen der Förderwerke hin einer Erhöhung der Fördersätze sowie einer Verlängerung der Stipendienlaufzeiten zugestimmt – aber (wie übrigens 2016 auch schon) ohne dafür zusätzliches Geld bereitzustellen. Mit dem Ergebnis, dass internen Berechnungen der Förderwerke zufolge bis zu 20 Prozent der Stipendien wegfallen könnten.

 

Stipendiaten: Kein gegeneinander Ausspielen
von Fördersätzen und Stipendienzahlen

 

Was die Briefeschreiber des förderwerkübergreifenden Netzwerkes Stipendienerhöhung kritisieren: Die dringend notwendigen Reformen dürften weder die Promotionsbedingungen aktueller Stipendiaten gegen die Anzahl ausspielen noch zu Lasten der ideelen Förderung gehen, also der Bildungs- und Mentoringsangebote zusätzlich zu den Stipendien.

 

Vor allem aber warnen die unterzeichnenden Stipendiaten, dass die Erhöhung in "keinem Verhältnis" zu den deutlich gestiegenen Lebenshaltungskosten, den allgemeinen Preissteigerungen und den "explodierenden Mietpreisen", stehe. Derzeit beträgt der Fördersatz 1.350 Euro monatlich, in einem ersten Schritt soll er von Oktober an um 100 Euro steigen, im Herbst 2024 und Herbst 2025 dann um jeweils weitere 100 Euro. "Auch nach der diesjährigen Anhebung bewege sich die Stipendienhöhe weiter "am Rande der Armutsgefährdungsschwelle", heißt es in dem Offenen Brief, der deshalb die vollen 300 Euro Erhöhung auf einen Schlag verlangt – finanziert vom BMBF mit frischem Geld.

 

Weiter machen die Stipendiaten aufmerksam auf eine soziale Schieflage, die Forschungsorganisationen wie die Max-Planck-Gesellschaft bei der Finanzierung ihrer Doktoranden längst weitgehend behoben haben: Immer noch unterliegen Promotionsstipendien keiner Sozialversicherungspflicht, was bedeutet: Die Stipendiaten müssen ihre Kranken- und Pflegeversicherung in der Regel selbst bezahlen. Zwar bestehe die Möglichkeit, bei den Stiftungen dafür einen Zuschuss von 100 Euro pro Monat zu beantragen. "Dieser deckt jedoch lediglich gut ein Drittel der realen Beitragshöhe ab."

 

Den Rest müssen sich die Doktoranden also von dem ohnehin schon knappen Stipendium abknapsen. Und weil die Kranken- und Pflegeversicherung sich prozentual am Einkommen bemisst, bedeute das: Von den 100 Euro Fördersatzerhöhung gingen gut 20 Euro gleich wieder für die gestiegenen Beiträge drauf. Die Forderung des Offenen Briefs: die volle Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für alle Stipendiaten, die nicht anderweitig gesetzlich versichert sind.

 

Sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse statt Stipendien

 

Wie macht das etwa die Max-Planck-Gesellschaft? Sie hat ihr System von Stipendien auf sozialversicherungspflichtige Arbeitsverträge umgestellt, was nebenbei den Effekt hat, dass die Doktoranden auch rentenversichert sind. Im Gegensatz zu den Stipendiaten der Begabtenförderungswerke, was laut Netzwerk Stipendienerhöhung sogar noch nach erfolgreich abgeschlossenen Promotionen regelmäßig "zu äußerst prekären Lebenslagen" führe. Deshalb müssten die Stipendien  "mittelfristig in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse überführt werden! Bis dahin müssen Maßnahmen zur akuten sozialen Absicherung der Stipendiat*innen ergriffen werden." Konkret fordert der Brief die Anregung der geförderten Promotionszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung.

 

Was die Briefeschreiber noch fordern:

 

Eine Stipendienlaufzeit für Promovierende von drei Jahren mit der Option einer einjährigen Verlängerung. Tatsächlich sieht der Plan von BMBF und Begabtenförderungswerken die Anhebung der Regelförderzeit von zwei auf drei Jahre vor, allerdings nur mit einer sechsmonatigen Verlängerungsoption. 

 

Auch die aktuellen Stipendiaten müssten von der geplanten Verlängerung der Stipendien profitieren. Hier herrsche Unklarheit, weil die Nebenbestimmungen zur konkreten Ausgestaltung noch Mitte September nicht vorgelegen hätten. "Die Ankündigungen der verschiedenen Förderungswerke lassen jedoch vermuten, dass die sechsmonatige Verlängerung lediglich für jene Stipendiat*innen verpflichtend festgelegt ist, die ab Oktober 2023 in die Promotionsförderung aufgenommen werden." Für die aktuellen Stipendiaten hätten einige Förderwerke die Verlängerung angekündigt, andere nicht. Diese "massive Ungleichbehandlung" sie nicht akzeptabel, die Verlängerung müsse für alle gelten, ebenfalls mit Extra-Geld finanziert.

 

Eine regelmäßige Überprüfung der Höhe der Promotionsstipendien durch das BMBF alle drei Jahre und eine daraus folgende Anpassung an die Preisentwicklung.

 

Nächste Baustelle:
Forschungskostenpauschale

 

Interessanterweise lassen die Briefeschreiber die Forschungskostenpauschale, die jeder Doktorand und jede Doktorandin zusätzlich erhält, bei ihren Forderungen noch unberücksichtigt. "Zunächst", wie sie betonen. Dieses Brett ist ihnen zum gleichzeitigen Anbohren dann doch zu dick. Die Forschungskostenpauschale, 100 Euro pro Person, wurde nämlich schon seit einem Jahrzehnt nicht mehr erhöht. Kaufkraftverlust seitdem: gut ein Viertel.

 

Die Petition des Netzwerks Stipendienerhöhung hatte bis Mittwoch, 14 Uhr von 621 Menschen unterschrieben. 

 

 

Nachtrag am 20. September 2023

BMBF reagiert defensiv, stellt aber stellt klar: Verlängerung gilt für alle


Auf Anfrage sprach die Sprecherin von Bettina Stark-Watzinger von einer spürbaren Entlastung der Stipendiaten durch die Erhöhung der Fördersätze, auch werde die "Attraktivität des Promotionsstipendiums und seine zentrale Rolle bei der Qualifikation des wissenschaftlichen Spitzennachwuchses nachhaltig gestärkt" – und all dies "in Zeiten besonders angespannter öffentlicher Haushalte". Auf die Frage, ob das BMBF die stufenweise Erhöhung für ausreichend halte, ging die Sprecherin nicht direkt ein. 

 

Die Forderungen nach der Einführung einer Sozialversicherungspflicht oder die Anrechnung der Promotionszeiten in der Rentenversicherung beantwortete das BMBF mit der Aussage, beides sei nicht geplant. Im Vergleich zu sozialversicherungspflichtigen Doktorandenstellen seien Promotionsstipendien unter anderem deshalb attraktiv, "weil sie, im Gegensatz zur institutionellen Einbindung, ein hohes Maß an Freiheit bei der Einteilung der Arbeitszeit sowie zusätzlich eine ideelle Förderung bieten." Zudem sei für Promotionsstipendiaten eine Beschäftigung an einer wissenschaftlichen Einrichtung im Umfang von bis zu einer Viertelstelle zulässig, "die eine gewisse soziale Absicherung ermöglicht".

 

Schließlich stellte das BMBF klar: Die vom 1. Oktober 2023 geltende Erhöhung der Regelförderungsdauer von zwei auf drei Jahre gelte genau wie die sechsmonatige Verlängerungsoption für alle aktuellen und künftigen Stipendiaten – und somit auch für Stipendien, die vor dem 1. Oktober 2023 begonnen hätten. 



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