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Was heißt hier Eckpunkte?

Die Kultusminister beschließen diese Woche, wie es mit den Startchancen-Verhandlungen weitergeht. Alle wissen: Bis Dezember muss das Programm endgültig stehen. Weitere KMK-Themen: IQB-Bildungstrend, Lehrerbildung, Ganztag – und das Verhältnis zur Konferenz der Familienminister.

Hier treffen sich die Kultusminister: In der Taubenstraße in Berlin-Mitte befindet sich das Sekretariat der KMK im einstigen Verwaltungsgebäude einer Brauerei.  Foto: Jörg Zägel, CC BY-SA 3.0

AM ABEND VORHER hatten sich die Verhandlungsführer von Bund und Ländern endlich auf Eckpunkte zum Startchancen-Programm verständigt, doch die Hakeleien waren am Morgen des 21. Septembers nicht vorbei. Denn jetzt gab es Unmut bei einigen der zwölf Kultusministerien, die nicht zu der Verhandlungsgruppe gehört hatten. Sie fühlten sich überrumpelt, dass die Eckpunkte-Einigung schon Stunden später von BMBF und Kultusministerkonferenz per Pressekonferenz öffentlich gemacht werden sollte. Sie hätten noch gar nicht ausreichend Zeit gehabt, sich mit den Ergebnissen vertraut zu machen, so lautete die Kritik, darüber hinaus sehe man an verschiedenen Stellen der Eckpunkte durchaus noch Klärungsbedarf.

 

So ging es hin und her, die geplante Pressekonferenz verschob sich nach hinten, man stritt sich über den Wortlaut der Einladung. Mit Verspätung wurde diese dann doch noch versandt, die verbleibende Vorwarnzeit bis zum angekündigten Beginn: 54 Minuten.

 

Was einigen Beobachtern in der Eile nicht auffiel: Im Einladungstext stand dann gar nichts von einer Einigung von Bund und Ländern. Sondern, dass "die gemeinsame Verhandlungsgruppe aus Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und Ländern" sich "nach intensiven Verhandlungen über das Startchancen-Programm auf entscheidende Eckpunkte geeinigt" habe. Eine Formulierung, die kein Zufall war. Sondern die Beschreibung des Ist-Zustands: Es gab gar keine Einigung aller Länder mit dem Bund über die Eckpunkte. Sondern nur der Verhandlungsgruppe.

 

Die Skeptiker dimmen die Bedeutung
der Eckpunkte herunter

 

Wortklauberei oder von Bedeutung? So genau wussten das die Kultusminister vor der 383. Sitzung der Kultusministerkonferenz (KMK) diese Woche selbst nicht. Denn dafür müsste man sich erst einmal einig darüber sein, wie wichtig die Eckpunkte überhaupt sind. Buchstabieren sie das Programm nahezu umfänglich und bis in Details aus? So sehen das viele Minister – und verweisen auf immerhin 13 eng beschriebene Seiten. Zum Vergleich: Die fertige Verwaltungsvereinbarung von Bund und Ländern zum Fünf-Milliarden-Digitalpakt war ohne Anhänge nur zwei Seiten länger.

 

Doch die Skeptiker, die im Lager von Union und Freien Wählern anzusiedeln sind, dimmen die Bedeutung der Eckpunkte herunter. Es sind zugleich die Länder, die sich von Beginn an besonders schwer getan hatten mit einer auch nur teilweisen Abweichung vom vertrauten Königsteiner Schlüssel zur Verteilung der Bundesgelder – weil sie durch das Anlegen von Sozialkriterien weniger als sonst bekommen. Allerdings: Sie bekommen trotzdem immer noch viele Millionen pro Jahr vom Bund.

 

So hieß es Anfang der Woche auf Anfrage aus dem Ministerium von Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU), viel entscheidender als die Eckpunkte werde eine Verwaltungsvereinbarung sein, "die dann konkrete Festlegungen trifft. Es braucht Absprachen, wie die mit einem erheblichen Finanzvolumen ausgestatteten Landesprogramme, die sich ebenfalls an Schulen in herausfordernden Lagen richten, bei der Erbringung des Eigenanteils zur Gegenfinanzierung des Bundesprogramms einbezogen werden können. Auch muss sich der bürokratische Aufwand für die Schulen in Grenzen halten."

 

Während ein Sprecher von Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) betont, zum jetzigen Zeitpunkt lägen "lediglich" Eckpunkte vor. Insgesamt seien im gesamten Verfahren noch einige Punkte offen und unklar, "insbesondere die Finanzierung ist noch nicht abschließend geklärt." Die weiteren Verhandlungen und Ausgestaltungen im Detail seien noch abzuwarten.

 

Weitgehend unverbindliches
Bekenntnis

 

Aber was heißt das jetzt? Gilt all das, was in den Eckpunkten vereinbart wurde? Wird es nur noch ergänzt und "kleingearbeitet", wie Hessens Kultusminister Alexander Lorz, Koordinator der CDU-Bildungsministerien, am 21. September in der Pressekonferenz formulierte? Oder könnten einige der in der AG vereinbarten Eckpunkte gar noch wieder aufgeschnürt werden? 

 

Kaum vorstellbar. Auch wenn das formale Bekenntnis zu den Eckpunkten, auf das sich die Kultusminister laut KMK-Sitzungsvorlage diese Woche verständigen sollen, so unverbindlich gestaltet ist, dass dafür nicht einmal das bei allen wichtigen (soll heißen: haushaltsrelevanten) KMK-Entscheidungen vorgesehene Einstimmigkeitsprinzip angewandt wird. 

 

Wörtlich heißt es in dem Beschlussvorschlag, die KMK nehme das Eckpunktepapier "zur Kenntnis". Und sie bitte die auf Länderseite federführenden Staatssekretäre aus Hamburg (Rainer Schulz), Nordrhein-Westfalen (Urban Mauer), Rheinland-Pfalz (Bettina Brück) und Schleswig-Holstein (Dorit Stenke), die weiteren Verhandlungen mit dem Bund (sprich BMBF-Staatssekretärin Sabine Döring) "auf der Grundlage des Eckpunktepapiers" aufzunehmen und zu führen.

 

Wieder zum Vergleich: Zu den Digitalpakt-Eckpunkten hatten sich die Kultusminister 2017 als "ausverhandelt" bekannt, mit ihnen liege "die Voraussetzung" für die Umsetzung des Programms vor. Allerdings sollten die Länder damals auch nur zehn Prozent oben drauflegen, nicht 50 Prozent des Gesamtvolumens bestreiten.

 

Die Startchancen-Uhr tickt
unerbittlich weiter

 

Zug in den "Startchancen"-Beschluss kommt allerdings durch den weiteren Zeitplan hinein: Die Staatssekretäre sollen laut Textentwurf den Auftrag, die ausgearbeiteten Rechtsgrundlagen – Rahmenvereinbarung mit Verwaltungsvereinbarung" – zur KMK-Sitzung am 8. Dezember vorzulegen.

 

Womit klar ist: Jetzt gilt es, alle verbliebenen Vorbehalte schnell abzuarbeiten. Bis dahin bleibt ein Stück Rest-Unsicherheit, während die Uhr bis zum geplanten Startchancen-Beginn im August 2024 unerbittlich weitertickt. Klappt es im Dezember nicht, das wissen alle Beteiligten, wäre der August kaum noch zu halten angesichts all der gesetzlichen und organisatorischen Vorarbeiten – inklusive der nötigen Änderung des Umsatzsteuergesetzes, der geplanten Einzelvereinbarungen aller 16 Länder mit dem Bund und der Auswahl zumindest der ersten 1000 Schulen. 

 

Ihr Kommen zur Sitzung der Kultusminister am Donnerstag angekündigt hat unterdessen auch BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger. Eine Stunde ist für das Gespräch angesetzt, es könnte aber auch mehr werden – denn es gibt viel zu besprechen. Etwa den Stand der Verhandlungen um den Digitalpakt 2.0, die vielen Kultusministern zufolge so schleppend vor sich gehen, dass es an ein Zeitspiel des Bundes grenze. CDU-Politikerinnen wie Schleswig-Holsteins einflussreiche Bildungsministerin Karin Prien hatten sogar mehr oder minder explizit damit gedroht, den formalen Abschluss der Startchancen-Verhandlungen von einer Finanzzusage des Bundes für den Digitalpakt abhängig zu machen.

 

Zwar hatte Stark-Watzinger  zuletzt mehrfach demonstrativ und öffentlich versprochen, sich "mit Nachdruck" für eine Umsetzung des Digitalpakts einzusetzen. Wichtiger aus Sicht der Länder ist wohl aber das Treffen der Staatskanzleichefs von Bund und Ländern am 18. Oktober, bei dem auch der die Digitalpakt-Fortsetzung besprochen werden soll – als Vorbereitung auf die Konferenz der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler am 6. November. Gebe es da keine Einigung, könne sich das auch auf die Startchancen auswirken, heißt es im Hintergrund. In der Gemengelage hilft sicherlich, dass Stark-Watzinger bei der KMK-Sitzung dabei ist, hatte doch etwa Karin Prien genau ein solches Spitzengespräch von Stark-Watzinger gefordert: Nur dann ließen sich die offenen Punkte verlässlich abräumen – und die Irritationen beim Digitalpakt überwinden. 

 

IQB-Bildungstrend, Lehrerbildung
und Ganztagsqualität

 

Gemeinsame Themen haben die Kultusminister und ihre Kollegin aus dem Bund freilich noch mehr: Sie müssen Schlussfolgerungen ziehen aus den Ergebnissen des IQB-Bildungstrends, die am Freitag veröffentlicht werden. Wie haben sich die Kompetenzen der Neunklässler in Deutsch und Englisch seit 2015 entwickelt? Bei der Testung der Viertklässler im November 2022 waren die Ergebnisse jedenfalls ernüchternd ausgefallen: Die Grundschüler konnten deutlich schlechter lesen, schreiben und rechnen als vor fünf Jahren, die soziale Schere ging weiter auf. 

 

Außerdem ist das Jahrestreffen mit den Forschern der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK geplant, die kurz vor Fertigstellung ihrer mit Spannung erwarteten Empfehlungen zur Zukunft Lehrkräftebildung stehen und den Kultusministern erste Anhaltspunkte geben dürften. Sobald die SWK-Empfehlungen – voraussichtlich Ende des Jahres – fertig sind, beginnt die heiße Reformphase, einige Länder haben sich mit neuen Studienmodellen längst warmgelaufen. 

 

Und dann sind da zwölf Empfehlungen zur "Weiterentwicklung der pädagogischen Qualität der Ganztagsschule und weiterer ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter", die die Kultusminister diese Woche beschließen wollen und über deren Entwurf heute Bildung.Table vorab berichtet. Die Weiterentwicklung der pädagogischen Ganztagsqualität ist das Thema der Berliner KMK-Präsidentschaft, schon vor Verabschiedung will KMK-Präsident und Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) am Mittwoch in einer Berliner Grundschule eine Preview geben. 

 

Wie hältst du es
mit der JFMK?

 

Klar ist aber auch: Beim Thema Ganztag geht wenig ohne die Jugend- und Familienminister, und so ist es nur folgerichtig, dass Familien- und Kultusministerkonferenz sich am Freitag erstmals zu einer gemeinsamen Sitzung in Berlin treffen. Warum erst jetzt?, will man freilich fragen, zumal es mehrere personelle Überschneidungen zwischen den Ressorts gibt. So ist der aktuelle JFMK-Vorsitzende, der Brandenburger Steffen Freiberg (SPD) zugleich Bildungsminister.

 

Allerdings war in den vergangenen Monaten auf Arbeitsebene viel von Friktionen zwischen Kultus- und Familienseite zu hören mit gegenseitigem Verantwortlichmachen für die atmosphärischen Probleme. Was fast schon absurd ist, denn haben Bildungs- und Jugend-/Familienpolitik, vom Fachkräftemangel über den Einsatz für mehr Chancengerechtigkeit bis hin zur besseren Verknüpfung von frühkindlicher Bildung und Schule, oft mehr gemein miteinander als Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Doch nur letztere sind zusammen mit der Kultur in der KMK vereint.

 

Ein Thema womöglich für die Neuaufstellung der Kultusministerkonferenz, die hinter den Kulissen weiter betrieben wird? Wollen wir nicht gleich übermütig werden.



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Kommentare: 3
  • #1

    Klutentreter (Mittwoch, 11 Oktober 2023 12:13)

    Kleiner Hinweis: FMK ist die Finanzministerkonferenz (von überragender Bedeutung für alle anderen Länderfachministerkonferenzen). In Rede steht hier wohl eher die Jugend- und Familienkonferenz JFMK (ganz früher nur JMK).

    P.S.: Die Diskussionen innerhalb der KMK gehen eher dahin, wie man die Themen Schulen, Hochschule und Kultur in Balance hält/bringt und insgesamt etwas mehr Ordnung für mehr Schlagkraft schafft. Dazu wird man wohl nicht zusätzlich noch in anderen Fachministerkonferenzen wildern.

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 11 Oktober 2023 12:41)

    @Klutentreter: Vielen Dank für den Hinweis, bitte entschuldigen Sie das Versehen, ich habe die Abkürzung korrigiert. Beste Grüße Ihr J-M Wiarda

  • #3

    oliver (Montag, 16 Oktober 2023 13:08)

    Hallo Herr Wiarda
    Re. Digitalpakt 2.0, von Seiten der Schulen hört man, dass hier nur Geräte finanziert werden, aber der ganze Support dann auf den Schulen hängen bleibt. Ist das so korrekt?
    Falls ja, dann ist es ja klar warum die Gelder dann nicht komplett abgerufen werden.