Was in der Antwort des Forschungsministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Liberalen steht – und wieso jetzt der frühere FDP-Staatssekretär Mario Brandenburg Grünen und SPD "mangelnden politischen Willen" vorwirft.

DIE FDP-BUNDESTAGSFRAKTION wirft Übergangs-Forschungsminister Cem Özdemir (Grüne) vor, für die anhaltenden Verzögerungen bei der Gründung der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) verantwortlich zu sein.
Nicht nur habe Özdemir in seiner Rolle als Chef des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) drei Monate lang die Verabschiedung des DATI-Gründungskonzepts durch das Kabinett blockiert. Nachdem die Bundesregierung das Konzept schließlich am 6. November 2024 doch beschlossen hatte, habe Özdemir in seiner hinzugekommenen Funktion als BMBF-Chef weitere drei Monate ungenutzt verstreichen lassen.
Erstmals äußert sich in dem Zusammenhang nun auch der frühere parlamentarische Staatssekretär, der bis zum Platzen der Ampelkoalition im BMBF für die DATI-Umsetzung und die Koordination der Transfer- und Innovationspolitik verantwortlich war. "Es schmerzt zu sehen, wie ein von der Forschungscommunity sehnsüchtig erwartetes Projekt an mangelndem politischem Willen scheitert", sagt der FDP-Bundestagsabgeordnete Mario Brandenburg.
Die FDP hatte in einer kleinen parlamentarischen Anfrage von der aus SPD und Grünen bestehenden Restregierung wissen wollen, welche Planungsschritte und Maßnahmen das BMBF seit dem Kabinettsbeschluss unternommen habe. Explizit fragten die Liberalen nach dem von Özdemir im Sommer 2024 eingelegten sogenannten Leitungsvorbehalt, über den ich hier im Blog berichtet hatte, und wollten wissen, welche Rolle dabei die vom BMEL geplanten Änderungen am Bundeswaldgesetz gespielt haben. Im Raum steht offenbar der Vorwurf, Özdemir habe mit seinem Leitungsvorbehalt die Zustimmung der FDP zu dieser Gesetzesänderung erzwingen wollen.
Erst wenn die neue Bundesregierung
einen Haushalt hat?
Die Antwort aus Özdemirs BMBF auf die insgesamt 19 Fragen liegt mir nun exklusiv vor, und sie fällt recht kurz angebunden aus.
Mit der Umsetzung des vom Bundeskabinett beschlossenen DATI-Konzeptes könne "erst nach erfolgter Regierungsneubildung im Lichte der weiteren Aufstellung des Bundeshaushalts 2025 sowie der Finanzplanung begonnen werden", heißt es darin. "Sodann kann u.a. auch über einen Antrag gemäß § 65 Abs. 2 BHO entschieden werden." Das BMBF stehe weiterhin im Austausch mit der DATI-Gründungskommission und ihrem Vorsitzenden, Stefan Groß-Selbeck.
Gemeint ist der Antrag gemäß Paragraph 65 der Bundeshaushaltsordnung. Für die Einrichtung einer bundeseigenen GmbH, wie die DATI eine werden soll, ist ein Genehmigungsverfahren unter Beteiligung von BMBF und Finanzministerium erforderlich, das offenbar bis heute auf Eis liegt. Als dies kurz vor Weihnachten bekannt wurde, herrschte in der ehrenamtlichen DATI-Gründungskommission dem Vernehmen nach Überraschung, wäre dies doch der logische nächste Schritt nach dem Kabinettsbeschluss gewesen, und zwar völlig unabhängig von einer Haushaltsaufstellung.
Hatte das BMBF noch unter FDP-Führung versäumt, das Verfahren vorzubereiten? Nein, versichert Ex-Staatssekretär Brandenburg: "Das vom Ampel-Kabinett geeinte Konzept, inklusive des erwähnten Antrags gemäß Bundeshaushaltsordnung liegt seit dem 6. November ungenutzt herum. Drei Monate lang ist somit nichts passiert, gar nichts."
In der BMBF-Antwort heißt es hingegen, ein Beschluss des Bundeskabinetts – wie der zur Gründung der DATI – begründe "keine rechtliche Verpflichtung des Bundes mit Außenwirkung", doch dürften im Rahmen der aktuellen vorläufigen Haushaltsführung Ausgaben nur dann geleistet werden, um solche rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen.
Aber trifft dieses Argument wirklich? Welche Ausgaben würden den allein durch den BHO-Antrag ausgelöst? Würden nicht im Gegenteil sogar Kosten gespart, weil eine neue Bundesregierung bei Vorliegen der Gründungsvoraussetzungen schneller mit der DATI loslegen könnte?
Kein Wort zu
Özdemirs Waldgesetz
Auf Özdemirs Leitungsvorbehalt als Landwirtschaftsminister geht die Stellungnahme der Bundesregierung nicht explizit ein, obwohl Claudia Müller sie unterzeichnet hat, Özdemirs parlamentarische Staatssekretärin im BMEL, die das BMBF derzeit mitbetreut.
Zusammengefasst werden alle diesbezüglichen Fragen so beantwortet: "Für die Ausarbeitung des DATI-Konzepts, vom ersten Eckpunktepapier des BMBF im Frühjahr des Jahres 2022 und umfangreicher konzeptioneller Vorarbeiten im BMBF, auch mit Stakeholdern, bis zur Ressortabstimmung mit Kabinettsbeschluss am 6. November 2024, war eine sorgfältige Klärung der administrativen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Agenturgründung erforderlich. Eine gründliche und iterative Befassung mit intensivem konstruktivem Austausch im Ressortkreis sowie das Verhandeln von Kompromissen sind inhärenter Bestandteil einer solchen Ressortabstimmung. Im Zuge dieser Ressortabstimmung haben auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und das BMBF über verschiedene fachliche Aspekte Einvernehmen erzielt."
Stephan Seiter ist Sprecher der FDP-Fraktion für Forschung, Technologie und Innovation. Die BMBF-Antwort bezeichnet er als "ein klares Misstrauensvotum" Özdemirs "gegen die Mitglieder der Gründungskommission der DATI, gegen die zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seines Hauses, gegen die beratenden Stakeholder und gegen die beratende Wissenschaft sowie gegen alle anderen Ressorts der Bundesregierung." Nur Özdemir habe sich "angemaßt", ein gründlich beratenes und mehrheitsfähig geeintes Gründungskonzept in Frage zu stellen und über drei Monate lang die Gründung der DATI als Landwirtschaftsminister zu blockieren. "Unserer Bitte um Begründung seiner Blockade durch Leitungsvorbehalt weicht Herr Özdemir aus und verweist auf den eben gründlichen Beratungsprozess mit Expertinnen und Experten aus allen Bereichen der deutschen Innovationslandschaft, denen er offensichtlich nicht vertraut." Die DATI müsse jetzt haushalterisch und ministerialintern auf ihre Gründung durch die neue Bundesregierung vorbereitet werden."
Zur Wahrheit angesichts der FDP-Aufregung gehört allerdings, dass die Özdemir vorgeworfene Verzögerung von rund sechs Monaten geschätzte 28 gegenüberstehen, die das BMBF unter Führung von FDP-Ministerin Stark-Watzinger schon vorher hatte verstreichen lassen, angefangen von den ersten Eckpunkten, die noch Brandenburgs Staatssekretär-Vorgänger Thomas Sattelberger im März 2022 vorgelegt hatte.
Wer ist schuld an der
"T!Raum"-Misere?
Und apropos haushalterische Vorbereitung: Um angesichts der sich immer weiter verzögernden DATI-Gründung die Gemüter zu beruhigen, hatte das BMBF unter FDP-Führung eine Projektförderung namens "DATIpilot" vorgeschaltet. Für die Jahre 2024 bis 2029 seien hierfür bis zu 190 Millionen Euro eingeplant, teilt das Ministerium in seiner Antwort auf die FDP-Anfrage mit. Rund 100 Millionen seien davon bereits bewilligt.
Im Sommer hatte das BMBF den schnellen Mittelabfluss dafür verantwortlich gemacht, dass anderen zentralen Förderlinien für Transfer und Innovation schon im April 2024 das Geld ausgegangen war. Denn weil die Mittel im DATI-Haushaltstitel verortet sind, wirke sich die vom Bundestagshaushaltsausschuss verhängte Sperre von 35,4 für die DATI vorgesehenen Millionen auch auf sie aus. Die wiederum, so die Ansage der Haushaltspolitiker, aufgehoben werden sollte, sobald ein schlüssiges DATI-Konzept beschlossen werde.
Doch sei auch nach dem 6. November nie ein entsprechender Antrag an den Haushaltsausschuss gestellt worden, kritisiert jetzt Brandenburg. "Dass der verbliebenen Rumpfregierung die Innovationsfähigkeit Deutschlands nicht einmal mehr eine Briefmarke für die Zustellung an den Haushaltsausschuss wert ist, entsetzt. Unter der Sperre leidet nicht nur die DATI, sondern auch verschiedene wichtige Initiativen wie "T!Raum" und ihre größere Schwesterinitiative "WIR!", welche durch die Deckungsfähigkeit im Titel bei einer Entsperrung der DATI auch direkt ausgezahlt worden wären."
Damit widerspricht der Ex-Staatssekretär auch der neuen Darstellung aus dem BMBF, über die ich zuletzt berichtet hatte, derzufolge die DATI-Haushaltssperre doch keine Auswirkung auf "T!Raum" und Co gehabt habe. Was die Schlussfolgerung nahelegte, das Ministerium habe unter Stark-Watzinger aus politischen Gründen zu wenig Geld eingeplant – und die Antragsteller tausende Seiten Anträge vollschreiben lassen in dem Wissen, dass sie in eine Mittelsperre hineinlaufen.
Für die CDU ist die DATI nur noch das
"Leuchtturmprojekt" einer zerbrochenen Koalition
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Lars Rohwer hatte kritisiert, die "selbsterklärte Fortschrittskoalition" habe "in die erfolgreiche Innovationsförderung strukturschwacher Regionen einen Bremsklotz geworfen, um das eigene Leuchtturmprojekt einer Transferagentur, die es bis heute nicht gibt, durchzudrücken".
FDP-Mann Brandenburg hält dagegen: "In einem liberalen BMBF hatten Forschung und Innovation noch Verbündete gegen jegliche Widerstände. Nun besteht das Risiko, dass Transferthemen nur noch zur politischen Spardose für rot-grüne Lieblingsprojekte verkommen."
Wahlkampf-Rhetorik allenthalben. Doch eine Schlussfolgerung zieht sich durch: Für die DATI wird es eng. Özdemirs Ministerium, weil es nicht will oder nicht darf, macht keine Anstalten, die Gründung noch voranzutreiben. Während andere Transfer-Förderlinien, wegen der nicht aufgehobenen DATI-Sperre oder mangels eingeplanter Mittel, ebenfalls trockenlaufen. Und die CDU, die derzeit die besten Chancen hat, die nächste Bundesregierung zu führen, bezeichnet die DATI nur noch als "Leuchtturmprojekt" der geplatzten Ampelkoalition. Was zeigt: Wenn jetzt noch nicht gegründet ist, dann wird womöglich gar nicht mehr gegründet.
Nachtrag am 21. Januar, 14.30 Uhr
Innovationspolitiker Mario Brandenburg und Anna Christmann liefern sich Schlagabtausch
Die grüne Innovationspolitikerin Anna Christmann reagierte auf die FDP-Kritik verärgert. An Mario Brandenburg gerichtet schrieb sie auf "X" das sei "ja nun peinlich": "Drei Jahre kriegt ihr die Gründung der #Dati nicht hin und nun behauptet ihr, es läge an Cem Özdemir – in einer Situation ohne Haushalt? Das glaubt ihr doch selbst nicht." Das sei "billiger Wahlkampf". Es müsse um sachorientierte Lösungen gehen "anstelle unnötiger Blame Games zu lasten der #Dati". Die Gründungskommission habe so wichtige Arbeit geleistet, die laut
BMBF schon Anfang 2024 in der Ausschreibung der Geschäftsführung habe münden sollen. "Ist nicht passiert." Ohne beschlossenen Haushalt könne nun offenkundig nicht gegründet werden. "Wie auch, nachdem BMBF und BMF sich auch in gelb-gelben Zeiten und mit beschlossenem Haushalt nicht einig waren." Der Antrag nach BHO sei ja "überraschender Weise" (sic) gar nicht gestellt worden. "Ich werbe sehr dafür, dass alle sich auf den Bedarf nach einer #Dati besinnen." Die Pilotlinien zeigten, wie groß das Interesse aus der Innovationscommunity sei. "Ich habe einige besucht, die sich auf die #Dati freuen. Und richtig ist ja: das darf nicht nochmal drei Jahre dauern."
Am Abend reagierte Brandenburg. Er wolle sich nicht mit Christmann streiten, aber, "gleichwohl gestatte mir bitte klarzustellen, dass drei Monate nichts passiert ist, obwohl der geplante Prozess wie folgt vorbereitet war: 1. Kabinettsbeschluss > politische Bestätigung; 2. BHO-Antrag ans BMF übermitteln > sobald politisch bestätigt; 3a. BMF schreibt Entsperrungsbrief an HH-Ausschuss; 3b. (parallel) Ausschreibung der Geschäftsführung." Schritt 1, also der Kabinettsbeschluss, sei am 6. November gegen 12 Uhr geliefert worden, fügt Brandenburg mit Bezug,"ca. 12 Stunden später durfte ich das BMBF nicht mehr betreten. Alles was seither passierte oder hätte in Angriff genommen werden können, sehe ich in Eurer Verantwortung."
Christmann schrieb umgehend zurück: "Fair, danke für die transparente Erläuterung." Nur stünden ersten drei Monate drei Jahre gegenüber, "was einen Blockadevorwurf absurd macht", und zweitens habe der von Brandenburg dargestellte Plan in der Welt mit Regierungsmehrheit und einem Haushalt 2025 bestanden. "Es kam anders."
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