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Das Sonnenkönig-Prinzip

Ein deutscher Professor muss im Schnitt 66 Studenten betreuen. Darauf hat vor einigen Tagen der Deutsche Hochschulverband, die wichtigste deutsche Professorengewerkschaft, hingewiesen, und seitdem meldet sich eine Uni nach der anderen und sagt: Bei uns ist es sogar noch schlimmer.

Zweifelsohne: Die aktuellen Zahlenverhältnisse, berechnet vom Statistischen Bundesamt, sind ein weiterer, ein ärgerlicher Beleg für die anhaltende Mangelfinanzierung der Hochschulen. Aber eben nicht nur. Sie zeigen auch, wie feudalistisch es an vielen deutschen Universitäten immer noch zugeht. Wer übernimmt denn vielerorts die Betreuung der Studenten, wer bewertet ihre Bachelorarbeiten und leitet die Seminare? Nein, nicht vor allem Herr oder Frau Professor. Sondern die unzähligen von ihnen abhängigen, meist über Drittmittel befristet angestellten wissenschaftlichen Mitarbeiter. Die in keiner Professorenstatistik auftauchen. In anderen Ländern dürften sich viele dieser Mitarbeiter selbst längst Assistenzprofessoren nennen und wären auf dem Weg zur Dauerstelle. In Deutschland reiben sie sich, oft unter Aufopferung ihrer eigenen Karriereperspektiven, für ihre Universitäten auf. Und für ihre Professoren, deren Gewerkschaft dann darüber klagt, jeder von ihnen sei allein für 66 Studenten zuständig.

Das vom Bund versprochene Tenure-Track-Programm möchte hieran etwas ändern. Wenn Kritiker einwenden, 1000 neue Professorenstellen, die dadurch entstünden, seien nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, der hat es nicht verstanden. Das Programm kann, das Programm muss den Wandel in die Universitäten tragen. Um es kurz zu sagen: her mit den gestuften Professorenkarrieren, weg mit Lehrstühlen nach dem Sonnenkönig-Prinzip. Dann verbessert sich die Professor-Studenten-Relation ganz von allein.

Dieser Kommentar erschien heute auch im ZEIT Chancen Brief.

Kommentare

#1 -

SeTh | Di., 01.03.2016 - 10:11
"Tenure track" finde ich tendenziell gut, habe aber meine Zweifel, ob das wirklich für planbare Karriere-Chancen steht. Wenn die "Evaluationskriterien" schwammig beschrieben sind usw. ist die Zukunft für den Nachwuchs auch irgendwie schwierig zu planen. Bei schwierigen Fächern und Themen, wo bspw. keine Top-Journals bedient werden, bedarf es einer gewissen Sensibilität für alternative Kriterien.

Blöd ist auch, dass davon nur nachfolgende Generationen profitieren. Was machen wir mit dem Nachwuchs, der jetzt - aktuell - an der gläsernen Decke klebt? Bezogen auf Tenure-Track bedürfte es sicher Interims-Lösungen.

Insgesamt denke ich, dass es Sinn macht, die Rollen und Funktionen in der Hochschule anders zu verteilen, den Mittelbau wieder zum Mittelbau auszubauen, z. B. mit ausreichend unbefristeten Stellen, die Forschung ermöglichen, ohne Prof. sein zu müssen. Das sollte dann parallel zur Etablierung eines Tenure-Track umgesetzt werden.

#2 -

Jakobskaffee | Fr., 18.03.2016 - 10:31
Ist eigentlich mal beleuchtet worden, wie es zu der Betreuungsrelation 1:66 (oder nach Lesart der Hochschulen 1: >66) kommt? Mir scheint hier eine gewisse Willkür vorzuherrschen. Der Betreuungsanspruch der Studierenden in Stunden und die mathematischen Rahmenbedingungen für die Zahl der Studienplätze sind gesetzlich geregelt. Verschlechtert sich die Betreuungsrelation möglicherweise durch das Verhalten der Hochschulen? Nach meiner Einschätzung ist die Präsenzzeit in den Studiengängen vielfach sehr hoch. Viele Studiengänge bestehen faktisch nur aus Vorlesungen und anderen Großgruppenveranstaltungen. Zudem könnte der Hochschulpakt und die versprochenen Prämien für überkapazitäre Studienplätze Fehlanreize geschaffen haben?

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