Direkt zum Inhalt

TIMSS: Ungemütliche Zeiten für Schulreformer

Vor vier Wochen erst schmierten Baden-Württembergs Schüler im IQB-Ländervergleich ab, und die meisten Bildungsjournalisten hatten schnell die Ursache identifiziert: zu viele Reformen, die die Schulen durchgeschüttelt haben. „Reformitis“, diagnostizierte zum Beispiel die FAZ. Und heute nun die Ergebnisse der TIMS-Studie. Während Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und Kultusministerkonferenz (KMK) tapfer verkünden, die deutschen Schüler hätten „das Leistungsniveau in Mathematik und Naturwissenschaften“ gehalten, ist die Wahrheit profaner: Der Aufwärtstrend ist durchbrochen. Ein Aufwärtstrend, der die deutschen Schülerleistungen seit dem Pisaschock von 2001 eigentlich von Vergleich zu Vergleich ein Stück weiter Richtung internationale Spitzengruppe befördert hatte.

Was macht das schon?, könnte man jetzt fragen. Die Ergebnisse der "Trends in International Mathematics and Science Study" sind nicht dramatisch, ein paar Pünktchen weniger in Mathematik, in den Naturwissenschaften haben die deutschen Schüler exakt das Ergebnis von vor vier Jahren wiederholt. Und doch: Es macht eine Menge. Denn das zentrale Reformversprechen lautete: „Wir muten den Schulen etwas zu, aber wir machen die Schulen dadurch besser“, und dieser Satz gilt in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr. Dass die Reformen längst zum Erliegen gekommen sind, sich teilweise sogar in der Rückabwicklung befinden (siehe G8), dass die kausalen Zusammenhänge also etwas komplexer sein dürften, interessiert da wenig. Angesichts einer Stimmungslage an vielen Schulen, die mit „Reformmüdigkeit“ unzureichend beschrieben ist, gilt spätestens von heute an die Schlussfolgerung: „Uns wird eine Reform nach der anderen zugemutet, und am Ende bringt all das nicht mal etwas.“


Vor 15 Jahren steckten Deutschlands Schulen in der Krise, ihr Selbstverständnis war erschüttert durch Pisa. Aber es gab Hoffnung: die Hoffnung auf einen Neuanfang, auf Strukturveränderungen und mutige pädagogische Konzepte. Heute steht das deutsche Bildungssystem besser da, hat den Status der Mittelmäßigkeit jedoch nie verlassen können – vor allem und gerade was Chancengerechtigkeit und die Förderung der schwächeren Schüler angeht. Doch will das so recht keiner mehr hören. Und so kapriziert sich die Politik lieber auf Initiativen für leistungsstarke Schüler: Erst gestern hatten BMBF und KMK ein neues Förderprogramm für Begabte vorgestellt, was die WELT dennoch zum Kommentar veranlasste, für gute Schüler habe „in Deutschland niemand Zeit“. Als bestünde das eigentliche Drama unseres Bildungssystems nicht darin, dass schlechte Leistungen immer noch genauso stark wie 2007 von schlechteren Startbedingungen im Elternhaus abhängen. Heute sagte Bremens Bildungssenatorin und KMK-Präsidentin Claudia Bogedan immerhin, man müsse „sowohl am unteren als auch am oberen Ende des Leistungsspektrums ansetzen“.

Der TIMSS-Trend bei den deutschen Schülerleistungen ist negativ, und Reformen in der Breite sind nicht erwünscht: eine ungute, eine ungemütliche Mischung. Hoffentlich jedoch nur eine Momentaufnahme. Nächste Woche steht die Veröffentlichung der jüngsten Pisa-Ergebnisse an, und nun heißt es erst recht Daumen drücken: Hält der Aufwärtstrend bei den Leistungen der Neuntklässler, müssen die Reformer noch nicht ganz einpacken.

So oder so gilt, was ich nach der IQB-Debatte feststellte: Wer nicht will, dass der Begriff „Bildungsreform“ auf Jahre hinaus zum Schimpfwort wird, muss sich dringend ein paar gute Argumente einfallen lassen.

Neuen Kommentar hinzufügen

Ihr E-Mail Adresse (wird nicht veröffentlicht, aber für Rückfragen erforderlich)
Ich bin kein Roboter
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.

Vorherige Beiträge in dieser Kategorie


  • Wankas Digitalstrategie: Schlau eingefädelt, doch ohne Fachleute in den Schulen wird es trotzdem nix

Wankas Digitalstrategie: Schlau eingefädelt, doch ohne Fachleute in den Schulen wird es trotzdem nix

Im Grunde wissen wir noch nicht viel darüber, was Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) mit den fünf Milliarden vorhat, die sie den Bundesländern zur Digitalisierung der Schulen angeboten hat. Was damit zusammenhängen mag, dass sie selbst weiß: In dieser Legislaturperiode wird das nichts mehr mit dem Überweisen großer Summen.


  • Artikelbild: Was gute Schule mit Schulpolitik zu tun hat – oder gerade eben nicht

Was gute Schule mit Schulpolitik zu tun hat – oder gerade eben nicht

Wie viele Reformen von oben braucht die Schule? Wie viele Reformen verträgt die Schule? Vor einigen Tagen hatte ich in einer Analyse des IQB-Ländervergleichs davor gewarnt, den Begriff "Reform" zu einem Schimpfwort zu machen. Der Erziehungswissenschaftler Jürgen Oelkers hingegen glaubt, das Hauptproblem der Schulen liege in unserer Rhetorik mit ihrem starken Hang zur Übertreibung.


  • Artikelbild: Lehrermangel: Ist der polyvalente Bachelor die Lösung?

Lehrermangel: Ist der polyvalente Bachelor die Lösung?

Roberto Verzo: "Teacher", CC BY-ND-NC 2.0 Am 07. November habe ich im ZEITChancen Brief geschrieben, die gegenwärtige Debatte über Unterrichtsqualität habe alles mit der Qualität der Lehrer und viel mit dem gegenwärtigen Mangel an qualifizierten Lehrern zu tun.


Nachfolgende Beiträge in dieser Kategorie


  • allgemeines Artikelbild - Der Wiarda Blog

Schlechte Leistung, gute Leistung

Hamburgs Abiturienten schneiden in Mathe-Probeklausur unterirdisch ab. Warum Schulsenator Ties Rabe dennoch Lob verdient.


  • 30 Tage gefehlt und nix passiert

30 Tage gefehlt und nix passiert

Wenn ein Kind die Schule schwänzt, beginnt die Selbstblockade der Behörden. Die Politik schaut zu und schiebt die Verantwortung den Schulen zu. Ein Gastkommentar des Berliner Schulleiters Detlef Pawollek.


  • DigitalPakt#D: Das haben die Minister besprochen – und das sagt Wanka am Tag danach

DigitalPakt#D: Das haben die Minister besprochen – und das sagt Wanka am Tag danach

Sie saßen knapp zwei Stunden zusammen, dann war klar: Vor der Bundestagswahl wird das wohl nichts mehr mit der fertigen Vereinbarung. Immerhin: Bund und Länder haben großes Interesse an einer Einigung.