Direkt zum Inhalt

Die Rektoren und das Kreuz

Wie gehen Bayerns Hochschulen mit Söders umstrittener Kruzifix-Verordnung um? Sie betrifft sie nicht direkt, aber...

DIE FRAU IST nicht zu beneiden. Marion Kiechle ist eine international geachtete Forscherin, Humanmedizinerin, Mitglied der Nationalakademie Leopoldina. Sie ist aber auch seit ein paar Wochen bayerische Wissenschaftsministerin, berufen von Markus Söder, und nun muss sie den Kabinettsbeschluss, dass künftig in jeder Behörde des Freistaats ein Kreuz hängen soll, gut finden. Das gelang ihr erst im zweiten Anlauf. In der Talkshow "3 nach 9" hatte sie am vergangenen Freitag laut Süddeutscher Zeitung noch von "keiner besonders klugen Idee" gesprochen, einen Tag später stellte sie klar, dass sie den Beschluss unterstütze. Das Kreuz stehe "für die christliche Tradition Bayerns", sie habe auch in ihrem eigenen Ministerium und in ihrem Büro Kreuze an der Wand.

Tatsächlich, und das hat Söder schon mehrfach betont, ist die Entscheidung am 24. April im Ministerrat einstimmig gefallen. Also inklusive der Stimme von Kiechle. Was ihre Zerrissenheit zwischen politischem Anpassungsdruck und ihrer Gesinnung als Wissenschaftlerin noch deutlicher zu Tage treten lässt.

Der nonchalante und offenbar wahlkampfbedingte Umgang eines neuen Ministerpräsidenten mit der im Grundgesetz geregelten Trennung von Staat und Religion ist atemberaubend. Wieso Religion?, so lautet Söders Argumentation. Es geht hier doch nur um Kultur.

Wie aber ist das eigentlich mit den Hochschulen? Der Bayerische Rundfunk berichtet, die Universitäten könnten frei entscheiden, wie sie es mit dem Kreuz halten wollen. Schließlich sind sie ja keine Behörden. Womöglich gilt für sie die gleiche Ansage, die Kommunen, Landkreise und Bezirke bekommen haben. Denen wurde laut Bericht aus der Kabinettssitzung lediglich "empfohlen, entsprechend zu verfahren." Meine Anfrage beim Innenministerium, ob dem tatsächlich so ist, blieb gestern allerdings unbeantwortet.

Die Verwirrung ist da. Der Ärger auch. Die von einem Regensburger Student gestartete Online-Petition hat innerhalb weniger Tage über 44.000 Gegenstimmen gesammelt. "Wir müssen klarstellen, dass die Universität ein säkularer, weltoffener Raum für alle Religionen ist", sagt Initiator Tarek Carls. Die Zeit ist knapp: Die Kreuz-Verordnung gilt vom 1. Juni an.

Behörden oder nicht: Wird die Landesregierung auf die Hochschulrektoren genauso Druck ausüben wie Söder auf diejenige Ministerin, die die Perspektive der Wissenschaft am Kabinettstisch vertritt? Und wenn: Bleiben die Hochschulchefs trotzdem standhaft?

Alles andere wäre eine Enttäuschung – und würde in der Community schnell die Runde machen. Zum Glück haben die Hochschulen auch die Wissenschaftsfreiheit auf ihrer Seite. Fest steht dennoch: Wer in den nächsten Wochen ein bayerisches Hochschulgebäude betritt, wird erstmal genau hinschauen, wer da was neben die Tür genagelt hat.

Neuen Kommentar hinzufügen

Ihr E-Mail Adresse (wird nicht veröffentlicht, aber für Rückfragen erforderlich)
Ich bin kein Roboter
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.

Vorherige Beiträge in dieser Kategorie


  • Wir können nur dort etwas machen, wo die Not am größten ist

Wir können nur dort etwas machen, wo die Not am größten ist

Warum kämpfen Deutschlands Hochschulen mit einem 35-Milliarden-Sanierungsstau? Gabriele Willems ist Chefin über den NRW-Landesbetrieb, der die Gebäude eigentlich in Ordnung halten sollte. Sie sagt, woran die Modernisierung scheitert – und appelliert an die Politik. Ein Interview aus der Praxis.


  • Es geht um sehr viel Geld

Es geht um sehr viel Geld

Es sagt sich so leicht: Ein neuer Hochschulpakt soll Qualität und Quantität in der Lehre versöhnen. Wie das praktisch gehen könnte, dazu hat sich der Wissenschaftsrat Gedanken gemacht – und sie in ein brisantes Positionspapier gefasst. Ein Interview mit der Vorsitzenden Martina Brockmeier.


  • Nicht immer nur hinterherlaufen

Nicht immer nur hinterherlaufen

Heute haben die Hochschulrektoren Peter-André Alt zu ihrem neuen Präsidenten gekürt. Der attestiert der HRK in seinem ersten Interview nach der Wahl eine ausgeprägte Profilschwäche und skizziert seine Agenda für die nächsten Jahre.