Weg von den Ministerien
Es ist Zeit, die Forschungsförderung der Bundesregierung völlig neu zu denken. Ein Vorschlag, was das bedeuten könnte.
ZWEI DINGE SCHEINEN derzeit Konsens zu sein, sobald das Gespräch auf die Forschungsförderung der Bundesregierung kommt. Erstens: Sie hat finanziell in den vergangenen 16 Jahren enorm zugelegt, auch und gerade dank einer Bundeskanzlerin, die in ihrem früheren Leben selbst Wissenschaftlerin war. Zweitens: Das Mehr an Geld hat nicht zwangsläufig zu einem vergleichbaren Plus an Performance geführt, vor allem nicht, was die Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse in wirtschaftliche und gesellschaftliche Innovationen angeht.
Mit dem Abschied Angela Merkels endet zugleich eine Ära in der der Wissenschaftspolitik. Eine gute Gelegenheit, die bestehenden Förderstrukturen einmal ganz grundsätzlich zu hinterfragen.
In der ZEIT hat das vor ein paar Monaten der Innovationsforscher Dietmar Harhoff gemacht, der bis 2019 die Expertenkommission Forschung und Innovation geleitet hat, also den Rat der Wissenschaftsweisen der Bundesregierung. "Das neue Zauberwort der Forschungs- und Innovationspolitik heißt Agenturen", hat Harhoff geschrieben, die unabhängig agieren und die Forschung "strategisch planen, fördern und koordinieren sollen". Als einen ersten Schritt nannte Harhoff die neu gegründet Bundesagentur für Sprunginnovationen, um gleich hinzuzufügen: "Wenn solche Institutionen jedoch vom Forschungsministerium an die Kette gelegt werden, können sie nicht erfolgreich arbeiten.“
Womit Harhoff den eigentlichen Punkt berührt. Das Zauberwort einer neu strukturierten Forschungspolitik heißt nicht allein "Agenturen", sondern vor allem "Entmachtung der Ministerialbürokratie".
Die Beamten wachen mit Argusaugen über "ihre" Forschungsorganisationen
Im Augenblick ist es doch so: Die großen Forschungsorganisationen von Helmholtz bis Max Planck stehen alle unter der Aufsicht auch eines Bundesministeriums, meist des Ministeriums für Bildung und Forschung.
Die dortigen Beamten wachen mit Argusaugen über "ihre" Forschungsorganisationen und bestimmen oft nach wenig durchsichtigen Kriterien mit, welches Institut mit wem Kooperationen eingeht, gemeinsame Projekte betreibt und Forschungsaufträge erhält. Und weil das so ist, leisten sich die anderen Ministerien fast alle noch eigene sogenannte Ressortforschungseinrichtungen, die sie wiederum wie nachgeordnete Behörden behandeln.
Wobei die Kriterien der Ministerialbürokratie dann doch so undurchsichtig wiederum nicht sind: Es geht um die Sicherung persönlichen Einflusses, im Zweifel auch im Kampf der Ministerien gegeneinander, und es geht um die Vermeidung von Risiken, die einem irgendwer, seien es Politiker oder Rechnungshöfe, eines Tages vorwerfen könnten. Gemessen wird die eigene Bedeutung an der Höhe der zu verteilenden Budgets. Die abstrakte (und noch dazu nie garantierte) Ermöglichung wissenschaftlicher Spitzenleistungen ist demgegenüber kaum eine Kategorie.
Das muss so nicht sein. Zum Beispiel wenn sich an der Spitze eines Ministeriums Persönlichkeiten befinden, die Forschung und deren Freiheitsgrade verstehen und die, ohne diese zu verletzen, trotzdem in der Lage sind, die Forschungsförderung strategisch zu betreiben. Diesen Persönlichkeiten folgen dann auch ihre Ministerien.
Raus aus dem Verantwortungsbereich einzelner Ministerien
Die strukturelle Lösung ist aber eine andere: Die Forschungseinrichtungen müssen raus aus dem Verantwortungsbereich einzelner Ministerien, sie müssen in eine Art übergeordnete Trägerschaft der gesamten Bundesregierung, die sich auf die Grundfinanzierung und die juristischen Rahmenbedingungen beschränkt. Verbindet man dies mit der Idee der Agenturen, so folgen wiederum zwei Dinge.
Erstens: Die Forschungsorganisationen wären frei von ministeriellen Machtspielchen. Gerade die Ressortforschungseinrichtungen (wie zum Beispiel das Robert-Koch-Institut) hätten die Chance, sich endlich wirklich zu vollen Forschungseinrichtungen zu entwickeln. Denn den Fachministerien (in dem Fall das Gesundheitsministerium) wären sie dann nur noch in Hinblick auf ihre hoheitlichen Aufgaben Rechenschaft schuldig.
Zweitens: Die Freiheit, verbunden mit den neuen unabhängigen Förderagenturen, würde den Wettbewerb anregen, bei der Erforschung wissenschaftlicher Grundlagen bis hin zum Wissenstransfer. Die Leistungen der Institute würden transparenter, und die Institute wären stärker gefordert – weil die einzelnen Ministerien nicht mehr "ihre Forschungseinrichtungen" und das darin vorhandene Führungspersonal protegieren könnten.
Eine Vision am Reißbrett? Noch nicht bis ins Letzte zu Ende gedacht, vor allem was die künftige Rolle des BMBF angeht oder die Schnittstellen zur Forschungspolitik der Länder? Mag sein. Doch die Debatte müssen wir jetzt führen. So wie es ist, kann es nicht bleiben.
Dieser Kommentar erschien zuerst im Newsletter ZEIT WISSEN 3.
Kommentare
#1 - Ein schönes Gedankenspiel. Doch wenn man ohne einen…
#2 - Dieser Ansatz wäre auch dort sinnvoll, wo Forschung auf…
Aufgaben gibt es genug: Es könnte die Wartung und Weiterentwicklung der Lernplattformen (LMS) koordiniert und finanziert werden (https://netzpolitik.org/2020/gemeinsame-erklaerung-der-open-source-bildungsplattformen-lernplattformen-fordern-nachhaltige-finanzierung/). Entwicklung und Pflege einer Plattform für elektronische Prüfungen. Systeme für hybride Lehrveranstaltungen. Weiterentwicklung eines LMS mit Elementen zur Interaktivität, Studierendenzentrierung, Learning Analytics.
Das sollte die Agentur natürlich nicht selber programmieren, sondern die vorhandenen Aktivitäten fördern und vernetzen.
#3 - Ich bin skeptisch, was die "Agenturen" als Allheilmittel…
#4 - Weil vielleicht die Frage aufkommt, was ich statt einer…
#5 - @Skeptisch, #3:Die USA haben eine ausgeprägte…
Die USA haben eine ausgeprägte Start-Up-Kultur. Deutschland lernt in den letzten Jahren davon, aber dennoch sind die Verhältnisse schwer zu vergleichen. Parallelen aus der Geschichte können von ihrer Natur her nur anekdotisch sein.
#6 - @Marco Winzker: Die pharmazeutische Industrie ist auf der…
#7 - Liebe Leserinnen und Leser,aus gegebenem Anlass mal wieder…
aus gegebenem Anlass mal wieder der Hinweis: Inhaltliche Kritik an Personen ist in den Kommentaren jederzeit willkommen. Herabwürdigende Kritik aber und wird nicht toleriert. Entsprechende Kommentare werden nicht freigegeben. Ich danke Ihnen für die überwiegend sehr gute Diskussionskultur und freuen mich auf mehr davon.
Beste Grüße
Ihr Jan-Martin Wiarda
#8 - Hinsichtlich der Ressortforschung verkennt der Vorschlag,…
Die Unterschiede liegen (u.a.) in:
- dem Anteil der Forschungstätigkeiten (offenbar zwischen 5 % und 90 %);
- dem Anteil der hoheitlichen Tätigkeiten (die Verteilungsbreite dürfte ähnlich derjenigen in der Forschung sein);
- außerdem werden in unterschiedlichem Ausmaß Dienstleistungen für Wirtschaft und Gesellschaft angeboten , die weder hoheitlich noch Forschung sind.
Die allein mit der Forschung begründete Anbindung an eine Agentur würde dem Aufgabenspektrum nicht gerecht werden. Im Übrigen gibt es Forschungsaufgaben, die mit hoheitlichen Tätigkeiten ziemlich untrennbar verbunden sind.
Die lange zurückliegende Entscheidung der Bundesregierung, Grundsätze für eine moderne Ressortforschung aufzustellen, ist an sich eine sachgerechte Lösung zur Qualitätsverbesserung, wenn diese Grundsätze nur von allen Ressorts ernst genommen und regelmäßig an die Entwicklungen im Wissenschaftssystem angepasst werden würden.
Die Rechtsform einer nachgeordneten Behörde muss dabei keine Einschränkung bedeuten; selbst die Forschungsfreiheit kann dort größer sein als in manchem eingetragenen Verein.
#9 - Die Idee mit den. Agenturen kann gut sein. Mehr…
Wer aber jemals Sitzungen z.B. des Vereins der Helmholtzgemeinschaft beiwohnen durfte, darf auch Zweifel daran haben, ob die Forschungs- und Innovationspolitischen Entscheidungen, die z.B. dort gemacht werden und potenziell gemacht werden würden, den Standort wirklich weiter voranbringen.
Hier ist man sich selbst am nächsten und organisiert die Beutegemeinschaft.
Spricht nicht bsw. die Ausgründungsbilanz Bände oder die Beiträge zur Covid Impfstoffentwicklung, die letztlich aus einem An- Institut einer Universität ihren Anfang nahm?
Wo bleiben - die Frage ist schon legitim - die greifbaren Beiträge für den Standort und ja- let‘s face it - den Steuerzahler? Wohlgemerkt: auf die ganz lange Frist - sagen wir: 20, 30 Jahre?
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