Der Gaspreis ist nicht entscheidend
Die Bundesnetzagentur hat klargemacht: Auch Hochschulen wird im Winter das Gas nicht abgestellt. Damit gibt es keine Begründung mehr für Distanzlehre. Es sei denn, uns ist die Bildung der jungen Generation nicht genug wert.
JETZT IST DIE SACHE KLAR. Auch Hochschulen sind geschützte Kunden. Auch Hochschulen wird, falls im Winter das Gas knapp werden sollte, die Energie nicht abgestellt. So hat es der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, in einem Spitzengespräch den Kultusministern der Länder bestätigt. Lehre und Forschung gehören gleichermaßen zum "lebenswichtigen Bedarf". KMK-Präsidentin Karin Prien sagte im Anschluss: "Jetzt bin ich sehr zufrieden." Schulen und Hochschulen hätten Planungs- und Rechtssicherheit.
Klar ist damit auch: Falls im Winter doch irgendwo Hörsäle oder Seminarräume kalt bleiben sollten mit Hinweis auf die Gaskrise, ist die wirkliche Ursache eine andere: Uns ist als Gesellschaft die Bildung der jungen Generation nicht so viel wert, dass wir sie in Zeiten hoher Energiepreise sie noch zu finanzieren bereit sind.
Denn ja, die Gaspreise an den Börsen sind enorm, sie drücken erst zum kleineren Teil auf die Endkundenpreise durch. Doch schon jetzt belaufen sich die Zusatz-Energiekosten für große Hochschulen auf zweistellige Millionenbeträge. Beispiel RWTH Aachen: Vergangenes Jahr hat sie knapp 30 Millionen Euro für Gas, Strom und Fernwärme ausgegeben. Bis nächstes Jahr wird sich dieser Betrag voraussichtlich mehr als verdoppelt haben.
Wenn einem aber auch schon der Präsident einer großen nichttechnischen Universität in Norddeutschland sagt, die Kostensteigerungen bei der Energie könne er eigentlich nur ausgleichen, indem er zwei Fakultäten zumache, sollte man genau hinhören. Das kann, will und wird dieser Präsident nicht. Aber es zeigt die Dimensionen, um die es geht.
Was also, wenn das Gas jetzt zwar sicher weiterfließt, die Hochschulen es aber nicht mehr bezahlen können? Weil, wie es tatsächlich aussieht, etliche Landesregierungen sie mindestens teilweise auf den Kosten sitzen lassen wollen? Weil sie sagen: Ihr habt doch genug Geld im Cashflow, ihr könnt auch mal ins Minus gehen? Als ob, nebenbei gesagt, die Preisexplosion nächstes Jahr wieder vorbei wäre.
Es wäre ein Armutszeugnis für unser Land, wenn das Ergebnis wirklich darin bestehen sollte, dass dann junge Menschen wieder wie in der Corona-Zeit zu Hause hocken und dort allein vor sich hinstudieren sollen. Obwohl die Folgen der Distanzlehre überall noch spürbar sind: in Form voller psychologischer Beratungstellen, verlängerter Studienzeiten, persönlicher Krisen. Trotzdem haben einige Hochschulleitungen in Aussicht gestellt, die Weihnachtsferien gegebenenfalls "zu verlängern", wie sie das euphemistisch nannten. Auf vier Wochen und mehr. Auch die meisten Wissenschaftsminister wollten dies laut einer Spiegel-Umfrage nicht ausschließen – oder erwägen einen solchen Schritt für die Hochschulen ihres Landes sogar konkret.
Bereits angekündigte Schließungen müssen jetzt zurückgenommen werden
Nach der Versicherung des Präsidenten der Bundesnetzagentur müssten sie solche Überlegungen aber nun eigentlich widerrufen. Denn auch das Argument, zugunsten der Allgemeinheit die knappe Energie sparen zu wollen, ist keines, wenn doch der Status "geschützte Kunden" signalisiert, dass der normale Hochschulbetrieb, nicht das Zulassen der Hörsäle, in der Gaskrise im Interesse der Allgemeinheit liegt. Anders mag es bei der Verwaltung sein, die, sollte die Gas-Notallstufe ausgerufen werden, wohl zum Energiesparen ins Homeoffice geschickt werden könnte. Denn ihren Verbrauch verringern müssten dann auch die geschützten Kunden – aber eben nur außerhalb des "lebenswichtigen Bedarfs".
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Es ist Aufgabe der Länder, die Budgets der Hochschulen so aufzustocken, dass sie die Gas- und Stromrechnungen weiter bezahlen können. Das aber wird nur der Fall sein, wenn die Hochschulen jetzt keinerlei Zweifel daran lassen, dass sie ganz und gar aufbleiben werden im Winter. Der Druck auf die Politik muss maximal sein, die Botschaft immer neu wiederholt werden: Jetzt geht es darum zu zeigen, was uns die Bildung der jungen Generation finanziell wert ist.
"Das kann und wird nicht so sein", sagte KMK-Präsidentin Prien, im Hauptberuf Bildungs- und Wissenschaftsministerin von Schleswig-Holstein, im Interview auf die Frage nach Schließ-Szenarien. "Es werden aber sicherlich noch harte Verhandlungen mit den Finanzministerinnen und Finanzministern, doch wir können die Schüler und Studierenden einfach nicht im Regen stehen lassen."
Jetzt ist die Sache klar. Nicht der Gaspreis entscheidet darüber, ob unsere Schüler und Studierenden normal zur Schule und Uni gehen können. Wir als Gesellschaft tun es.
Kommentare
#1 - Wie das gehen soll, einen Lehr- und Forschungsbetrieb in…
#2 - Achtung Ironie!Warum denn nicht Fakultäten schließen? Wir…
Warum denn nicht Fakultäten schließen? Wir hätten dann vielleicht genügend HandwerkerInnen …
Das sich überhaupt jemand traut von Schließungen oder HomeOffice zu reden, ja daran zu denken, ist ein Armutszeugnis für diese Gesellschaft.
#3 - @ "Die Verwaltung": ja, voellig korrekt, es ist…
#4 - @Michael P. Krause: dass sich jemand traut, zu denken und…
#5 - @ Naja: Forschung und Lehre funktionieren ohne Verwaltung…
#6 - @Die Verwaltung: Wenn Sie mit 'Wertschätzung' freundliche,…
#7 - Teile der Debatte sind mir zu ideologisiert. Wir wissen…
In allen Bereichen der Hochschule ist also ein Mix möglich und je nachdem, wie sie das Wintersemester entwickelt, muss man flexibel mal das eine, mal das andere priorisieren - und nicht jetzt ideologische Gräben aufmachen: die Präsenzlehre ist heilig, die Verwaltung kann zu Hause bleiben oder frieren. Das ist doch unwürdig und hilft niemandem.
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